Vor 39 Jahren lernten sich Andrea und Ruedi Gmür in Paris kennen und lieben. Andrea ist heute 60-jährig, arbeitet auf der Kinderabteilung im Kantonsspital Baden. Ruedi ist zwei Jahre älter und Treuhänder. Die beiden machten damals gemeinsam ab, irgendeinmal zusammen von der Schweiz aus nach Paris zu laufen. In die Stadt ihrer Liebe. Beide sehr sportlich unterwegs, schoben den Plan jahrelang vor sich her.
Doch als klar war, dass die Olympischen Spiele in Paris stattfinden, da wurde es konkret. Die beiden schmiedeten einen Plan und hofften, dass im Optimalfall Nora, eines der vier Kinder der Gmürs, in Paris am Start stehen würde. Nora Gmür ist Triathletin, der Olympiatraum der 23-Jährigen hat sich nur halb erfüllt. Sie wurde als Reserve-Athletin ins Schweizer Team für Paris berufen. Falls sich die gesetzten Julie Derron oder Cathia Schär verletzt hätten oder krank geworden wären, wäre Nora Gmür eingesprungen. Den Traum vom ersten olympischen Einsatz muss sie nun vier Jahre aufschieben. Andrea Gmür: «Das wäre natürlich noch das i-Tüpfelchen auf unserer Reise gewesen, wenn Nora im Einsatz gewesen wäre.»
Bis zu dreissig Kilometer am Tag
Am 17. Juni sind Andrea und Ruedi in ihrem Wohnort im luzernischen Schenkon gestartet. 850 Kilometer haben die beiden zurückgelegt, dafür brauchten sie 40 Tage, pro Tag haben sie zwischen 22 und 30 Kilometer zurückgelegt, aber in Wahrheit das Dreifache: «Wir haben jeweils unseren VW-Bus an den nächsten Etappenort gefahren, sind mit dem Zug an den Ausgangspunkt zurückgefahren, und dann zu Fuss wieder bis zum Camper gelaufen», erklärt Ruedi die Taktik. Geschlafen haben sie also stets im VW-Bus. «Wir sind einfach mal losgezogen», sagt Andrea, «wollten schauen, wie weit wir es schaffen.»
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Sie haben durchgehalten, trotz Schwierigkeiten, trotz Blasen an den Füssen, trotz schlechtem Wetter und teils unbegehbaren Wegen. «Es war eine ziemlich einsame Reise», sagt Ruedi. «Wir haben praktisch niemanden angetroffen – keine Wanderer, keine Velofahrer. Das hat uns schon etwas überrascht.» Auf die Frage, ob sie denn jetzt wieder zurücklaufen würden, heim in die Schweiz, reagiert Andrea ohne zu zögern: «Nein, keinesfalls. Wir sind sehr glücklich, haben wir das gemacht und geschafft. Aber jetzt ist auch genug.»
Foto auf der Pariser Liebesbrücke
Zum Abschluss des Gesprächs setzen sich die beiden auf dem Pont Neuf aufs steinerne Brückengeländer über der Seine, die an diesem Sonntag einer Kloake gleicht. Dort, wo Anfang der 90er-Jahre von Regisseur Leos Carax der Film «Die Liebenden von Point-Neuf» gedreht wurde. Im Hintergrund sieht man den Eiffelturm. Die wunderschöne Ambiance lässt die beiden die Strapazen und die Blasen vergessen, und Ruedi verspricht bereits: «Sollte Nora in vier Jahren in Los Angeles im Triathlon für die Schweiz am Start stehen, werden wir uns ganz bestimmt wieder etwas Verrücktes einfallen lassen.»