Wer in Frankreich nach dem letzten Olympia-Wettkampf jeweils den Fernseher einschaltet, kommt nicht an einer Sendung vorbei: «Quels Jeux!» heisst sie. Übersetzt: Was für Spiele!
Und der Name ist Programm. La Grande Nation hat bereits über 50 Medaillen gesammelt, so viele wie nie in den letzten 100 Jahren. In der TV-Show wird viel gesprochen – mit Athleten, Experten oder irgendwelchen Promis, die man offenbar kennen sollte. Die Stimmung ist losgelöst, das Publikum klatscht und tobt und die geladenen Medaillengewinner werden wie Helden behandelt.
Zuletzt wurde es bei «Quels Jeux!» aber für einmal ernst. Dabei ging es um eine Vorschau auf das Volleyball-Finale zwischen Frankreich und Polen. «Wir müssen ihn irgendwie in den Griff kriegen», sagte ein Experte. Mit «Wir» meinte er selbstredend Frankreich und mit «ihn» den polnischen Angreifer León Wilfredo Venero (31). Dieser ist für viele der derzeit beste Volleyballspieler der Welt. Beim 3:2-Halbfinalsieg machte León alleine 22 Punkte und damit fast so viele, wie ein Team für einen Satzgewinn (25 Punkte) benötigt. Seine Smashs sind schlicht atemberaubend und seine Aufschläge an Härte und Präzision kaum zu überbieten.
Zum Waschen holte er Wasser aus dem Teich
Nun wird manch einer sagen: León ist doch kein polnischer Name. Stimmt. León wurde in Santiago de Cuba geboren und wuchs dort auch auf. Mit neun Jahren spielte er erstmals international mit einer kubanischen Junioren-Auswahl, mit 14 debütierte er im Fanionteam.
In einem Land, das Volleyballspieler vergöttert, wurde Leon als Heilsbringer gefeiert. «Ich war noch ein Kind, spielte aber mit fast 30-Jährigen. Sie machten Sprüche und Witze, die für mein Alter heftig waren. Aber so wurde ich schnell erwachsen», erzählt er.
León wurde grösser und grösser – physisch, aber auch spielerisch. Doch irgendwann entschied sich der Zweimetermann, seinem Land den Rücken zuzukehren. Er hielt die strengen Regeln und die miserable Infrastruktur im sozialistischen Inselstaat nicht mehr aus. «Um mich nach dem Training zu waschen, musste ich mit einem Kessel Wasser aus einem Teich holen», erinnert er sich. Die Trainings hätten oft acht Stunden gedauert. «Und danach erhielten wir nicht mal genügend Essen.»
In Kuba gilt er als Verräter
Was dazukam: Leóns damalige Freundin (und heutige Frau) war Polin – er durfte sie ausserhalb Kubas nicht sehen. Also flüchtete er nach Europa, heiratete und nahm die polnische Staatsbürgerschaft an. Der Preis? León wurde in Kuba als Verräter angesehen. Er musste sechs Jahre warten, ehe er 2019 die Spielerlaubnis für Polens Nationalmannschaft bekam. «Ich liebe dieses Land», sagt der Familienvater, der oft mit Fussball-Star Cristiano Ronaldo verglichen wird («das motiviert mich»).
Was er in Paris erreichen will, wurde der «Löwenkönig» vor dem Turnier gefragt. Seine Antwort: «Ich will Gold. Nicht Silber und nicht Bronze. Nur Gold.»
Frankreich hofft, dass León bei dieser Mission scheitert. Das viel erwartete Duell steigt am Samstag um 13:00 Uhr – es wird ein Spektakel.