Es ist ein Satz, der das ganze bisherige Leben von Célia Dupré (22) beschreibt. Die Ruderin und Social-Media-Queen aus dem olympischen Schweizer Frauen-Vierer sagt: «Mit meiner Teamkollegin Lisa (Lötscher, Anm. d.Red.) rudere ich seit fünf Jahren zusammen. Eine längere Bekanntschaft mit einer Kollegin hatte ich noch nie.»
Was Dupré mit einem Lachen erzählt, ist eigentlich traurig: Denn sie hat keinerlei überdauerte Freundschaften aus ihrer Kindheit und Jugend, keinen Sandkasten-Kumpel, keine beste Freundin seit Ewigkeiten aus der Nachbarschaft – weil sie als Kind unfassbare 17 Mal die Schule gewechselt hat und noch öfter umgezogen ist. Mehrfach auch von den USA nach Europa und wieder zurück. «Es gab Jahre mit drei verschiedenen Schulen», schildert die Genferin, als sie Blick von ihrem beispiellosen Nomadenleben mit ihren Eltern erzählt. Ebenso beschwerlich war ihr Weg ins Schweizer Ruder-Nationalteam, wo sie in Tim Roth (22), in Paris im Vierer ohne Steuermann ebenfalls Olympionike, ihre Liebe gefunden hat. Aber dazu später mehr.
Dupré kommt in den USA auf die Welt. Ihre Eltern sind da erst 21 Jahre alt, Vater Anthony ist Franzose, Mutter Evora Amerikanerin. Die Familie lebt im Staat Washington in der Stadt Vancouver. Und zieht mit der kleinen Célia immer wieder um, manchmal sinds nur wenige Monate am selben Ort. Die Mutter ist hauptsächlich Hausfrau, der Vater arbeitet in der Tech-Branche, findet so ortsunabhängige Jobs. 2005 kommt Célias Schwester Solenne auf die Welt.
Umzüge von den USA nach Europa – und wieder zurück
Doch die beiden kommen nie richtig im amerikanischen Schulsystem an. «In den USA geniesst die öffentliche Schule nicht denselben guten Ruf wie in der Schweiz», sagt Dupré heute. Die Eltern setzen auf Homeschooling. Lernen vom Vater französische Geschichte, von der Mutter Mathematik und Alltagsdinge wie Stricken. Und bei den Nachbarn Wissenswertes über die Tierwelt. Die Welt als Lehrer.
Doch dann gehts über den grossen Teich. Die Wahl fällt auf Luxemburg. Ein Fehlschlag. Nach wenigen Monaten brechen die Eltern die Übung ab. Dupré ist froh: «Ich war auf zwei verschiedenen Schulen und sprach kein Wort Luxemburgisch.»
Es geht zurück in die USA. Die Eltern versuchen es diesmal mit privaten Schulangeboten, doch irgendwie klappts nirgends richtig. Auch, weil man wieder mal umzieht. Nach Portland in Oregon, und dort auch wieder mehrfach die Wohnung in kurzer Zeit wechselt. Dann wieder Europa. Der Vater bleibt in den USA, die Mutter und die Töchter landen in Frankreich bei den Grosseltern. Wieder eine neue Klasse, wieder ein neues Schulsystem. Nach ein paar Monaten wieder zurück nach Portland.
Die beiden Schwestern begreifen nach und nach, dass sie ein anderes Leben führen als die meisten Altersgenossinnen. «Die Eltern sagten uns immer, das ist der letzte Umzug.» Als die Familie in Portland erstmals ein Haus kauft statt mietet, hoffen die Schwestern umso mehr, Wurzeln schlagen zu können.
Dupré entdeckt in Portland das Rudern
Célia auch, weil sie als Sechstklässlerin das Rudern entdeckt. «Meine Mutter hat gern als Hobby gerudert. Eines Tages ging ich mit und war zunächst in ihrem Boot die Steuerfrau. Als ich es selbst probiert hatte, wollte ich nach einer Woche hinschmeissen. Doch in der zweiten Woche hats Klick gemacht.»
Schnell wird ihr Talent sichtbar. Dupré ist happy, dass sie trotz erneuten Wohnort- und Schulwechsels im selben Ruderklub bleiben kann. Doch dann kündigen die Eltern an, dass es doch wieder nach Europa geht. Die Familie wandert den Jakobsweg. «Das war ein Riesenfrust, weil ich meine Ruderkollegen verlassen musste», schildert sie. Unterwegs findet der Vater einen Job – statt wie gedacht nach Paris zieht die Familie nach Genf, bald darauf nach Lausanne. Dupré landet in einer Schweizer Integrationsklasse. «Bis ich 14 war, besuchte ich eigentlich nie längere Zeit eine reguläre Schule.» Die Familie zieht zwar auch in der Schweiz mehrfach um, doch schulisch kommt Dupré an. Sie macht den Abschluss und schlägt den Weg ans Gymnasium ein.
Dann wieder ein familiärer Schock: Die Eltern lassen sich scheiden. Dupré schildert, dass sie zum Vater ein enges Verhältnis hatte, zur Mutter ein distanziertes. Nach der Scheidung lebt sie zunächst bei der Mutter. «Als ich 18 war und allein entscheiden konnte, bin ich sofort zum Vater nach Genf gezogen, um näher beim Ruderklub zu sein.»
Die familiären Wirren steckt sie dank des Sports weg: «Nach der Scheidung der Eltern habe ich alle Energie ins Rudern gesteckt.» Dupré kommt ohne Schweizer Pass ins Nationalteam – und wird so Teil des historisch starken Frauen-Vierers, der 2021 gar U23-Weltmeister wird. Dabei trainiert sie nur am Wochenende im Verbandszentrum in Sarnen OW. Wegen des Gymnasiums in Genf trainiert sie unter der Woche individuell daheim auf dem Ergometer.
Wenig Kontakt mit ihrer Mutter
In Sarnen findet sie nicht nur sportlich ihr Glück. Auch privat. Mit Ruderkollege Tim Roth – im Verbandszentrum trainieren Frauen und Männer im selben Umfeld – versteht sich Dupré von Anfang an sehr gut. Aus der Freundschaft wird 2019 Liebe. Roth und Dupré wechseln 2023 beide mit einem Stipendium an zwei nahe gelegene Unis in Kalifornien. Dupré studiert nun in Stanford. Im Land, wo sie aufgewachsen ist. Für Olympia legt sie allerdings ein Zwischenjahr ein.
Für die Schweiz im Ruderboot – lange ist offen, ob die US-Französin den Pass rechtzeitig erhält. Doch Verbandsboss Christian Stofer setzt sich enorm ein und schaffts zwischenzeitlich sogar, dass Dupré als erste Athletin überhaupt auf der Aktivstufe ohne Pass für eine Nation antreten darf. Dann war der Einbürgerungsprozess rechtzeitig für Paris abgeschlossen.
Zu den olympischen Rennen reist die ganze Familie an, obwohl Dupré und ihre Mutter bis heute wenig Kontakt haben. «Meine Kindheit war nicht einfach. Aber ich bin meinen Eltern nicht böse», sagt die Ruderin, «im Nachhinein gesehen war mein Weg der richtige. Mein Charakter ist so stark, weil ich immer alle Widerstände überwinden konnte.»