Vor 20 Jahren sorgte Johann Mühlegg für einen der grössten Dopingskandale der Sportgeschichte. Und nicht nur das. Der Deutsche hielt die Sportwelt mit einem skurrilen Krimi in Atem.
Aber der Reihe nach. 1989 und 1990 wird Johann Mühlegg Juniorenweltmeister im Langlauf. Er ist ein Supertalent. Als er sich bei der Elite etabliert, kommts zum Streit mit dem damaligen Bundestrainer Georg Zipfel.
Von Hexern und Flüchen
Die Anschuldigungen des Athleten schlagen ein wie Dynamit: Mühlegg wirft Zipfel vor, ihm seine Getränke zu «besprechen», also zu verhexen. Er nennt Zipfel öffentlich einen «Hexer». Der Langläufer wendet sich an die Spiritistin Justina Agostinho, eine gebürtige Portugiesin mit deutschem Pass. Diese ist überzeugt, dass sie «den inkarnierten Geist des Ewigen Vaters» in sich trage, der durch sie zu Mühlegg spreche.
Der «Ewige Vater» bestätigt dann offenbar via Justina, dass Mühlegg tatsächlich von Zipfel verflucht worden sei. Und die Spiritistin hat selbstverständlich ein Rezept bereit: Sie weiht für den Langläufer Wasser, welches er regelmässig trinkt und von dem er stets eine Ration auf seinen Reisen mitführt.
Bundestrainer Zipfel bezichtigt nun seinerseits Mühlegg des Spiritismus' – 1998 eskaliert der Streit der beiden. Der Langläufer wird suspendiert und aus dem Team ausgeschlossen. Mühlegg wechselt deshalb kurzerhand die Nation und geht künftig für Spanien an den Start – sehr erfolgreich. 2000 gewinnt er als «Iberer» den Gesamtweltcup, 2001 WM-Silber (20 km Verfolgung) und WM-Gold (50 km Freistil).
Gold, König – und Doping-Absturz
Die unfassbaren Leistungen gehen weiter. Mühlegg gewinnt bei Olympia in Salt Lake City 2002 zwei Goldmedaillen über die 30 km Freistil und die 10 km Verfolgung. König Juan Carlos überbringt ihm Glückwünsche. Der Deutsche in Diensten Spaniens krallt sich auch im 50er Gold. Und danach knallts: Mühlegg bleibt in der Doping-A-Probe hängen.
Diese weist ihm das EPO-Derivat Darbepoetin alpha nach, Mühlegg werden die drei Goldmedaillen wieder weggenommen. Und er wird von der FIS für zwei Jahre aus dem Verkehr gezogen. Noch bevor er die Sperre abgesessen hat, tritt Mühlegg vom Leistungssport zurück.
Seither ist der gefallene Doping-Olympiasieger abgetaucht, aber seine Geschichte ist so skurril wie unvergessen. In der «SportBild» erzählt nun seine Mutter, Magdalena Eiband (81), wie es ihm heute geht.
Mühlegg lebt seit 17 Jahren in Brasilien, verrät sie, er hat sich in der Küstenstadt Natal niedergelassen. Ihr Sohn habe mittlerweile eine brasilianische Frau geheiratet. Eine Chemie-Professorin, mit der er eine 9-jährige Tochter habe. Seit 2015 habe er auch den brasilianischen Pass.
«Er boxt sich in Brasilien durch»
Die Mutter erklärt weiter, dass sich Mühlegg eine Baufirma mit 15 Angestellten aufgebaut habe: «Die Hälfte davon Analphabeten, keiner kann Auto fahren. Also muss Johann fast alles allein machen. Seine Leute hat er selbst angelernt. Er hat ein hartes Leben. Aber er boxt sich durch. Seine Angestellten lieben ihn. Er gibt ihnen Brot.»
Deutschland habe der gefallene Star zuletzt vor acht Jahren besucht. Seine Mutter war hingegen erst gerade Anfang Januar in Brasilien bei ihm. Statt Loipen und Schnee heisst es also für Mühlegg heute Zement und Strand. Mutter Eiband stolz: «Maurern, dachddecken, eisenbiegen, malen, Wasser- und Stromleitungen verlegen – Johann hat sich alles selbst angeeignet, ohne richtige Berufsausbildung.» (wst)