Ai Weiwei flankiert von Herzog & de Meuron in Peking
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Schöpfer des Olympiastadions:Ai Weiwei flankiert von Herzog & de Meuron in Peking

Vogelnest-Architekt Herzog kontert Kritik
«Wir Schweizer machen gute Geschäfte mit China»

Kurz vor der Eröffnungsfeier der Winterspiele in Peking nimmt der Schöpfer des Vogelnests Jacques Herzog im Blick-Interview exklusiv Stellung zur Diktatur in China.
Publiziert: 03.02.2022 um 09:59 Uhr
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Aktualisiert: 03.02.2022 um 17:22 Uhr
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Ein Wunderwerk der Ästhetik und Konstruktion: Das Nationalstadion von Peking.
Foto: Iwan Baan
Sebastian Rieder

Jacques Herzog, die Eröffnungsfeier der Winterspiele in Peking findet wie 2008 im Olympiastadion statt. Wie stolz macht Sie das als Architekt?
Das ist schön, aber offen gestanden bin ich nicht sonderlich an Olympia interessiert. Winterspiele reizen mich nicht wirklich. Das Stadion wird benutzt und gefeiert. Dafür ist es gemacht. Noch mehr freut es uns aber, dass es seit 2008 auch für anderes, als nur für sportliche Anlässe funktioniert: im Alltag der Pekinger Bevölkerung und der vielen Touristen. Als Park, als Ort der Begegnung, des
Tanzes, des Spiels.

Kritiker sehen Olympia nur als Propagandamaschine, um brisante Themen von Tibet bis Taiwan zu überspielen?
Das kann man so sehen, aber wir – die westlichen Länder – haben zugestimmt, dieses Olympia nach China zu vergeben. Und klagen nun im Nachhinein darüber? China wird wegen dem Bird‘s Nest nicht als besseres Land angesehen. Peking ist aber eine bessere Stadt geworden: im Gegensatz zu Olympiastadien in anderen Städten, die nach den Spielen obsolet wurden, wurde das Nest zu einem
sehr populären Park für alle. Ich bewerte deshalb den öffentlichen Nutzen der Anlage viel stärker als den vermeintlichen PR-Nutzen für China.

Würden Sie jetzt einer Einladung nach Peking folgen, wenn es keine Pandemie gäbe?
Wieso nicht? Ja, das wäre ein Anlass, mal wieder hinzugehen. Es sind jetzt sicher schon wieder ein paar Jahre, seit ich das letzte Mal dort war. Übrigens mit Ai Weiwei.

Ai Weiwei lebt mittlerweile im Exil. Er wird als provokativer Künstler und Menschenrechtler von der chinesischen Regierung als Dissident geächtet.
Er ist ein Freund. Und: Er liebt China! Wir aber sind Architekten aus der Schweiz, keine Aktivisten. Ein chinesischer Künstler kann das sein, muss das vielleicht gar, wenn man seine persönliche Geschichte kennt. Wir sind mit Weiwei viel gereist und haben viel zusammen gearbeitet, und dabei viel erfahren und auch viel gelacht.

Das Lachen ist Ihnen mittlerweile wohl vergangen. Stichwort: Repression in Hongkong oder die Verfolgung der Uiguren.
Wir lachten schon damals nicht aus Freude an Chinas Politik. Aber klar: China zeigt heute ein autoritäreres Gesicht, während wir alle damals noch hofften, die Gesellschaft werde sich öffnen. Die Wirtschaft machte immer mehr Chinesen zu reichen Leuten. Projekte ungeahnter Dimensionen und mit grosser gestalterischer Freiheit für die meist westlichen Architekten entstanden im ganzen Land.
Wir dachten, dass diese gewaltige städtebauliche Transformation ein Teil eines Prozesses sei, der zu einem breiteren öffentlichen Dialog führen müsse, besonders wegen der vielen öffentlichen Bauten für Museen, Universitäten, Sportanlagen.

Das Gegenteil ist passiert. Also könnte Sie den Bau des Olympiastadions heute auch bereuen?
Nein, wieso sollte ich das bereuen?

Weil diese gigantische Arena erneut zur grossen Bühne für einen Staat wird, der die Menschenrechte mit Füssen tritt.
Das politische China mag damals den Bau eines solch spektakulären Baus bewusst gefördert haben, viel entscheidender ist aber, dass wir als Architekten zu keinem Zeitpunkt unter Druck waren, irgendeiner ideologisch gefärbten Architektursprache zu folgen. Das Stadion eignet sich auch nicht als Ort der Repression – im Gegenteil. Es wurde als Treffpunkt und offener Park für alle heute in der Alltagsrealität der Menschen gut angenommen. Es ist bezüglich dieser sozialen Komponente eines unserer erfolgreichsten Projekte!

Zuvor haben Sie mit Pierre de Meuron schon den St.Jakob Park und die Allianz Arena in München gebaut.
Fussball ist aber völlig anders als Leichtathletik: Mann gegen Mann und die Fans nahe am Rasen. Ein Raum wie ein Kochtopf! Der Ort für Olympia sollte ganz anders sein: offener, luftiger, für viele individuelle Sportlerinnen unter freiem Himmel. Friedlich. Ein Hauch von Antike. Ein Ort des Zusammenseins. Deshalb passt ja die offene Gitterstruktur und die Form eines grossen Korbs oder Nests so gut.

Aber finden Sie es nicht fragwürdig, dass die Winterspiele im Kontext von diesen gewaltigen geopolitischen Spannungen in China stattfinden?
Klar muss diese Frage diskutiert werden. Wir müssen aus unserer Sicht einer demokratischen Gesellschaft auch Forderungen stellen betreffend ethnischen Minoritäten, Frauenrechten, mittelalterlichen Methoden von Peitschenhieben bis hin zu Steinigungen und vielem mehr. Wir sollten uns aber unserer eigenen heuchlerischen Haltung auch bewusst sein. Fussball-WM und Olympia
können nur an einen Ort vergeben werden, wenn die westlichen Staaten das abnicken.

Und die Schweiz gehört natürlich auch dazu.
Alle Welt, gerade wir Schweizer machen gute Geschäfte mit China, Russland und auch mit den Golfstaaten. Sehr gute sogar, wo es auch um Waffen geht und heikle Waren in der ganzen, weltweiten Lieferkette. Architektur ist nie unschuldig, aber auch nicht so wichtig. Als «Propaganda» für einen Schurkenstaat sollte sie nicht überbewertet werden.

Wie stark gewichten Sie ethische und moralische Aspekte bei einem Auftrag?
Wir arbeiten nur in Ländern, mit denen auch andere westliche, insbesondere schweizerische, Regierungen und Firmen diplomatische und geschäftliche Beziehungen unterhalten. Wir lehnen aber dennoch auch viele Anfragen ab, wenn uns die gesellschaftliche Kultur nicht überzeugt, dass heisst wie die Menschen miteinander und auch mit unseren Leuten umgehen. Als Architekten sind wir ja manchmal jahrelang an einem Ort unterwegs, das sollte also schon passen.

Folglich hat beim Bau des Vogelnests vieles gepasst.
Das Bird’s Nest war ein sehr besonderes Projekt. Einerseits wegen seiner Konstruktion: Die Stahlverbindungen sind extrem komplex ineinander verdreht und dreidimensional verwoben. Anderseits wegen seiner Entstehungsgeschichte, wegen seiner weltweiten Sichtbarkeit und ja, ohne Arroganz – wegen seiner Schönheit.

Wie kam es überhaupt zum Zuschlag?
Das war ja eher ein Zufall, dass wir überhaupt am internationalen Architekturwettbewerb dafür teilnahmen. Wir waren gemeinsam mit Uli Sigg (1995 bis 1998 Schweizer Botschafter in China) und Ai Weiwei in China unterwegs, eine unvergessliche Reise, welche die Basis wurde für unsere Freundschaft und gemeinsame Streifzüge in den darauffolgenden Jahren. Auf dieser Reise 2002 entschieden wir uns, zusammen am Wettbewerb teilzunehmen. Es war der letzte Moment. Die Bewerbungsfrist war beinahe schon abgelaufen.

Und war schon vor dem Bau klar, dass das Stadion «Vogelnest» heissen soll?
Ja, schon vor dem Bau. Aber wann genau? Der Name war dann einfach mal da, wurde aber nur so «viral» weil er etwas trifft bei den Menschen, etwas berührt, das sie als ihr Eigenes annahmen. Als ein Teil der Identität von Peking.

Jacques Herzog & Pierre de Meuron

Jacques Herzog (71) gehört mit Pierre de Meuron (71) zu den berühmtesten Architekten der Welt. Nach dem gemeinsamen Studium an der ETH Zürich gründete die beiden Basler – die sich seit Kindheitstagen kennen – 1978 ein eigenes Büro. Museen wie das Tate Modern in London oder zuletzt das M+ in Hongkong, aber auch die Hamburger Elbphilharmonie sorgen global für Aufsehen. Aber auch im Fussball verewigt sich das Duo mit Projekten wie der Arena in München oder dem Basler St. Jakob Park. Die sportliche Vollendung erfahren Herzog & de Meuron in Peking, wo sie ein Vogelnest entwerfen, das zum Olympiastadion für die Sommerspiele 2008 wird. sri

Daniel Reinhardt

Jacques Herzog (71) gehört mit Pierre de Meuron (71) zu den berühmtesten Architekten der Welt. Nach dem gemeinsamen Studium an der ETH Zürich gründete die beiden Basler – die sich seit Kindheitstagen kennen – 1978 ein eigenes Büro. Museen wie das Tate Modern in London oder zuletzt das M+ in Hongkong, aber auch die Hamburger Elbphilharmonie sorgen global für Aufsehen. Aber auch im Fussball verewigt sich das Duo mit Projekten wie der Arena in München oder dem Basler St. Jakob Park. Die sportliche Vollendung erfahren Herzog & de Meuron in Peking, wo sie ein Vogelnest entwerfen, das zum Olympiastadion für die Sommerspiele 2008 wird. sri

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