Übrigens – die SonntagsBlick-Kolumne
Faszination Muay Thai

Die thailändische Nationalsportart Thaiboxen polarisiert. Junge Kämpfer träumen von einer grossen Karriere und kämpfen für Touristen. Die Kolumne von Reporter Felix Bingesser.
Publiziert: 10.12.2023 um 19:19 Uhr
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Aktualisiert: 10.12.2023 um 22:09 Uhr
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In Thailand träumen viele Jugendliche von einer grossen Karriere im Thaiboxen. Die Nationalsportart polarisiert.
Foto: AFP
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Felix BingesserReporter Sport

In der Schweiz wollen die Kinder mit acht Jahren in den Fussballklub. In Thailand wollen sie ihre ersten Box-Handschuhe. Und träumen von einer grossen Karriere in den grossen Stadien in Bangkok.

Muay Thai, wie der wohl härteste und vielseitigste Kampfsport der Welt heisst, ist im asiatischen Land allgegenwärtiger Nationalsport und ein Stück Kulturgut. Erlaubt ist beim Thaiboxen so gut wie alles, Knie- und Ellbogentechniken genauso wie teilweise Schläge, wenn der Gegner bereits am Boden liegt. Anstelle der Kokosnuss-Schalen, die man sich vor hundert Jahren noch um die Lenden gewickelt hat, gibt es heute wenigstens einen modernen «Tiefschutz». 

Tragödie löste Debatte aus

Eine erfolgreiche Karriere ist auch der Traum des 13-jährigen Anucho Tasako, der in einem Vorort von Bangkok vor fünf Jahren in der Gewichtsklasse unter 41 Kilo gegen den gleichaltrigen Nitrikon Sonde antritt. Nach einer Serie von harten Kopftreffern erleidet Tasako eine Gehirnblutung. Und stirbt. 

Sein Tod löst in Thailand eine Grundsatzdebatte aus. Sind Kämpfe ohne Kopfschutz in dieser brutalen Kampfsportart verantwortungslos? In welchem Alter sollen Kinder in den Ring steigen dürfen? Die Kritik ist laut und heftig. Aber löst sich angesichts der kulturellen und nationalen Bedeutung des Nationalsports schnell wieder in Luft auf. 

Denn das Geschäft, auch das Wettgeschäft rund um die Kämpfe von minderjährigen Kämpfern, brummt und ist zu einem grossen Wirtschaftszweig geworden. Die Thailänder wetten auf alles, auch auf Hahnenkämpfe und Fischkämpfe.

Muay Thai als Touristenattraktion?

Für viele der jungen Athleten ist das Thaiboxen die Chance, ihrem sozialen Elend zu entfliehen. Für eine Kampfgage von 1000 Baht (weniger als 40 Franken) kämpfen sie gerade auch in den Tourismusregionen vor raunendem Publikum. Auch in Khao Lak, wo es auf engsten Raum drei Hallen und mehrere Trainingscenter und Boxschulen gibt. Und die Touristen auf den Strassen und an den Stränden mit günstigen «VIP-Tickets» in die Halle gelotst werden.

Und es sind mehr als mit kitschigem Pathos unterlegte lockere und inszenierte Sparrings zur Gaudi des Publikums. Es geht zur Sache. K.o.-Entscheidungen sind die Norm. «Das ist alles andere als eine Show», sagt Diana Campillo, die mit ihrem Mann, einem einstigen Thaibox-Champion, seit zwanzig Jahren das Rawai Muay Thai Trainingscenter führt. «Es ist ein harter Kampfsport. Aber beim Reiten passieren mehr tödliche Unfälle und beim Eishockey oder American Football gibt es mehr Hirnerschütterungen», sagt Campillo. 

Die jungen Einheimischen, die sie von der Strasse holt, können bei ihr gratis trainieren. Sie gibt ihnen eine Perspektive. Quersubventioniert wird das von den vielen jungen Abenteurern aus Europa, die sich fasziniert vom Kampfsport und den Ritualen des Thaiboxens für Wochen und Monate im Gym einquartieren. 

Sieben Tage in der Woche Training

Die grösste Hoffnung der Region ist der 17-jährige Anat Petsongleh. Sein Vater kann seit einem schweren Unfall bei einer Gasexplosion nicht mehr arbeiten, die neun Kinder müssen ihr Schicksal selber in die Hand nehmen. Er macht sieben Tage in der Woche morgens um sechs Uhr sein Lauftraining, geht dann in die Schule und trainiert von 16 bis 18 Uhr im Gym. 

Anat tritt in der Klasse bis 58 Kilo an, er kämpft bereits auch in Bangkok und erhält Gagen von über tausend Franken, was bei einem monatlichen Durchschnittseinkommen von 400 Franken eine stolze Summe ist. «Den jungen Kämpfern einen vernünftigen Umgang mit Geld beizubringen und zu schauen, dass sie nach der Karriere nicht vor dem Nichts stehen, gehört auch zu unseren Aufgaben», sagt Campillo. 

Kraft, Ausdauer, Koordination, Körperbeherrschung, Disziplin. Die Faszination des Thaiboxens ist längst auch nach Europa und in die Schweiz übergeschwappt. Thaibox-Center gibt es in jeder Region. Und der Zürcher Dani Rodriguez lebt mittlerweile in Thailand und gehört zu den besten Kämpfern weltweit.

Er hat sich seinen Traum erfüllt.

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