Herr Borer, die wichtigste Frage zuerst: Wie geht es Ihrem Sohn Naël Yunus?
Olivier Borer: Mega gut, er wird heute übrigens genau sechs Monate alt. Während wir hier telefonieren, sitzt er neben mir und strahlt mich mit vollem Bäuchlein an. Vor kurzem hat er die ersten beiden Zähne bekommen und letzte Woche waren wir erstmals als Familie im Tessin in den Ferien. Wir hatten eine tolle Zeit.
Im letzten Jahr haben Sie öffentlich gemacht, dass Sie und Ihr Mann in den USA ein Baby von einer Leihmutter austragen liessen. Seitdem werden Sie regelmässig mit Hass-Nachrichten eingedeckt. Diese Woche haben Sie auf den sozialen Medien einen besonders üblen Kommentar veröffentlicht. Warum?
Weil diese Nachricht, die ich per Mail erhalten habe, eine Grenze überschritten hat. Sie ist masslos beleidigend und hochgradig homophob. Es handelt sich ganz klar um «Hate Speech». Dabei geht es nicht nur um mich und meine Familie. Wenn junge homosexuelle Menschen solche Kommentare zu hören bekommen, ist das extrem gefährlich und kann zu Selbstmorden führen.
Wie lange haben Sie überlegt, diese Nachricht öffentlich zu machen?
Ich war zuerst unschlüssig, habe mich dann aber entschieden, das zu veröffentlichen, weil mir viele Leute oft gar nicht glauben, was ich alles zu hören bekomme. Viele sagen mir: «Wir leben doch im 21. Jahrhundert, die Leute sind offen und tolerant.» Doch das ist leider oft nicht so. In den letzten Wochen habe ich immer wieder in Wellenbewegungen solche Hass-Nachrichten erhalten. Es hört einfach nicht auf.
Werden Sie juristisch gegen diesen besonders üblen Hass-Kommentar vorgehen?
Ich bin zurzeit noch mit dem Rechtsdienst von SRF im Gespräch und wir überlegen uns gemeinsam, wie wir weiter vorgehen sollen.
Wie nahe geht Ihnen dieser Vorfall?
Sehr nahe, weil er eine neue Stufe erreicht hat und weil er nicht nur auf mich abzielt, sondern auch auf meine Familie. Natürlich fragt man sich in solchen Situationen, was mal auf Naël zukommen wird, wenn er grösser wird. Das macht mir schon Sorgen.
Der gebürtige Solothurner ist in seiner Jugend ein talentierter Tennisspieler. Er merkt schon früh, dass er anders ist. Mit 18 wagt er bei einer Freundin sein Coming-out. Heute sagt er über die damalige Zeit: «Mittlerweile bin ich im Reinen mit mir, doch das hat lange gedauert.»
Seit 2008 arbeitet der 41-Jährige für SRF Sport. Im vergangenen Jahr hat er an der PH Zürich seine Ausbildung zum Lehrer angefangen.
Der gebürtige Solothurner ist in seiner Jugend ein talentierter Tennisspieler. Er merkt schon früh, dass er anders ist. Mit 18 wagt er bei einer Freundin sein Coming-out. Heute sagt er über die damalige Zeit: «Mittlerweile bin ich im Reinen mit mir, doch das hat lange gedauert.»
Seit 2008 arbeitet der 41-Jährige für SRF Sport. Im vergangenen Jahr hat er an der PH Zürich seine Ausbildung zum Lehrer angefangen.
Welche Rolle spielen dabei wir Medien? Sollten wir über diese Hass-Nachrichten gar nicht berichten?
Das ist eine gute Frage. Natürlich rufst du damit Nachahmer auf den Plan und befeuerst ungewollt den Hass. Aber nein, wir müssen offen darüber reden. Diese Intoleranz gegenüber nonkonformen Lebensformen, diese Homophobie und dieser blindwütige Hass müssen aufhören. Hass ist keine Meinung, Hass ist ein Gefühl und hat nichts mit Argumentieren zu tun. Es geht nur um Macht und Erniedrigung.
Auch wir wurden mit Kommentaren überschüttet. Viele schrieben sinngemäss: Selber schuld, wenn man mit seiner Geschichte an die Öffentlichkeit geht.
Diese Argumentation regt mich auf und ist perfid. Wenn Heteros mit ihrer Familie an die Öffentlichkeit gehen, von ihren Ferien berichten oder ihre Kinder zeigen, ist das null Problem. Sie werden dafür sogar gefeiert. Wenn ich aber mit meinem nonkonformen Modell das tue, werde ich sofort beleidigt. Warum sollte ich nicht über meinen Traum von meiner eigenen Familie öffentlich reden dürfen? Und was soll an unserem Familienglück falsch sein? Ganz einfach: nichts!
Haben Sie als Reaktion darauf überlegt, sich aus den sozialen Medien zurückzuziehen?
Ich gab gestern als Lehrer Unterricht. Auf dem Nachhauseweg hatte ich Zeit, um darüber nachzudenken. Mein erster Gedanke war: Ich steig aus. Doch mein zweiter Gedanke war: Das wäre ein schlechtes Zeichen. Dann hätten all die «Hater» gewonnen, ich will diese aber nicht gewinnen lassen.
Was wollen Sie?
Mir geht es nicht darum, mein Leben zur Schau zu stellen, ich möchte einen Diskurs, eine Diskussion anstossen, damit sich endlich etwas ändert. Das ist der einzige Beweggrund.
Wie viel Energie kostet Sie dieser Kampf?
Sehr viel, auch Zeit. Und trotzdem bin ich davon überzeugt, dass der Dialog, auch wenn er energieraubend ist, der einzig richtige Weg ist. Momentan habe ich noch die Energie dafür.
Woher nehmen Sie diese Energie?
Von den vielen positiven Nachrichten und Menschen, die mich auf diesem Weg unterstützen, denn nebst den Hass-Kommentaren werde ich zurzeit auch überschwemmt mit positiven Nachrichten. Das stimmt mich trotz allem auch optimistisch.