Es war ein Favoritensterben an der diesjährigen WM im legendären Cruicible-Theater in Sheffield. Nacheinander schieden Titelverteidiger Luca Brecel, die Titelkandidaten Mark Selby, Mark Williams, Judd Trump, Mark Allen und auch die Snooker-Ikone Ronnie O’Sullivan aus. So, dass ab den Halbfinals Kyren Wilson als einziger gesetzt Spieler aus den Top 16 der Weltrangliste übrigblieb. Dabei hatte der 32-jährige Engländer zuletzt auf der Tour alles andere als geglänzt und war im Ranking bis auf Rang 12 abgerutscht.
Der Grund für sein Tief waren vor allem Sorgen im privaten Bereich. «Es war ein herausforderndes Jahr. In der Familie ist viel passiert. Deshalb musste das Snooker etwas in den Hintergrund treten», so Wilson. Seine Frau Sophie erlitt einen Schlaganfall und hat seither mit Epilepsie zu kämpfen.
Die Hypnosetherapie half
Als wäre das nicht genug, zitterte der zweifache Familienvater auch noch um seinen jüngeren Sohn Bailey. Im letzten Jahr litt dieser an einer Magen-Darm-Krankheit, die Ärzte befürchteten einen Tumor – was sich aber glücklicherweise nach einer eingehenden Untersuchung nicht bestätigte. Und dann musste sich der Sechsjährige nach einem Unfall auch noch einer Nasen-Operation unterziehen.
Um den Kopf wieder für Snooker freizubekommen, und am Snookertisch die Ängste um seine Liebsten und weitere Gedanken, die nicht dorthin gehören, abstreifen zu können, machte Wilson eine Hypnosetherapie. «Unser Gehirn ist mit so vielen Sachen verstopft, die da eigentlich nicht sein müssen. Wenn man diese beseitigen und einfach Snooker spielen kann, wird dieses Spiel viel einfacher», erklärte Wilson dazu. So viel einfacher, dass der Engländer sich seit diesem Montagabend Weltmeister nennen kann.
Vor erstem WM-Final zu viel Bier
Während Wilson in den letzten Monaten kaum auf vernünftige Resultate kam, war er an der WM plötzlich nicht mehr zu bremsen und feierte Runde für Runde deutliche Siege, zuletzt beendete er mit einem 18:14-Sieg im Final auch noch das Märchen des walisischen Aussenseiters Jak Jones (30). Als es geschafft war, brach alles aus Wilson heraus, in Tränen fiel er seinen Söhnen und seiner Frau um den Hals. «Es bedeutet uns so viel. Die Leute aus meinem Umfeld haben ihr Leben geopfert, um mich zu diesem Punkt zu bringen», stammelte er gerührt.
Dabei hatten die Experten Kyren Wilson schon länger auf ihrer Liste für den Gewinn der Snooker-Krone. Mit 22 qualifizierte er sich erstmals für das Haupttableau an Weltmeisterschaften, vier Jahre später stand er erstmals im Halbfinal und 2020, an dieser speziellen Pandemie-WM ohne Zuschauer, im Final. Dort gab es dann allerdings eine deutliche 8:18-Abfuhr gegen Ronnie O’Sullivan. Hinterher gab Wilson dann zu, dass er sich nach dem geschafften Finaleinzug amateurhaft verhalten, zu viel Bier getrunken und zu viel Pizza gegessen habe.
Diesen Fehler hat der «Warrior», wie man Wilson in Snooker-Kreisen nennt, kein zweites Mal gemacht. Und seinen älteren Sohn Finley (9), der in der Loge mitlitt, mächtig stolz gemacht. Was seinem Vater ein besonderes Anliegen ist. Denn bislang ist diesem vor allem aufgefallen, dass Finley Fussball-Superstar Cristiano Ronaldo vergöttert. «Hoffentlich habe ich Cristiano Ronaldo jetzt in seiner Gunst überholt», so der Weltmeister-Papa mit einem Grinsen.