Ringer Tanguy Darbellay sass in Minsk unschuldig im Knast
«Ich habe in fünf Tagen nur zweimal Essen bekommen»

Tanguy Darbellay hatte in Belarus sein privates und sportliches Glück gefunden. Doch dann bekommt der Walliser Ringer die volle Härte der verrufenen Diktatur zu spüren.
Publiziert: 05.11.2020 um 00:09 Uhr
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Aktualisiert: 05.11.2020 um 07:42 Uhr
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Der Schweizer (r.) lebt, studiert und trainiert in Minsk (Belarus).
Foto: Zvg
Matthias Dubach

Es ist ein Abend im August, der das Leben von Tanguy Darbellay (21) auf den Kopf stellt. Der Schweizer Ringer lebt seit einem Jahr in der belarussischen Hauptstadt Minsk, wo er trainiert, studiert, rasch Russisch lernt und mit Freundin Alexandra sein privates Glück gefunden hat.

Schweizer Ringer Tanguy Darbellay (21) wieder frei
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Aus Knast in Belarus entlassen:Schweizer Ringer Tanguy Darbellay (21) wieder frei

Doch als Staatspräsident Alexander Lukaschenko nach seiner Wiederwahl die Demonstrationen der Opposition gewaltsam stoppt, gerät Darbellay unschuldig in die Mühlen der Diktatur. Er wird wie rund 7000 andere Personen verhaftet und kommt erst nach einer Intervention von Bundesrat Ignazio Cassis nach fünf Tagen im Knast wieder frei.

«Hatten das Internet abgestellt»

Jetzt schildert Darbellay, wie er an jenem August-Abend zur falschen Zeit am falschen Ort war. «Sie hatten das Internet abgestellt, doch ansonsten war es zunächst ruhig», sagt er. Der Sportler trifft sich mit einem Freund zum Essen, danach begleitet er diesen heim. Sie spüren: In der Stadt bahnt sich Unheil an.

Um selber nach Hause zu kommen, muss der Walliser das Zentrum durchqueren. Doch der ÖV-Betrieb ist eingestellt. Tausende Polizisten riegeln die City ab. Darbellay findet eine Strasse, wo sich der Riegel auflöst. «Ein Beamter sagte, ich dürfe passieren. Doch dann ist er mir gefolgt und forderte, ich soll in einen Militär-Truck einsteigen.»

Der Lastwagen bringt den Elite-Schweizermeister (80 kg) und weitere Verhaftete zu einem Gefängnis. Hunderte werden so heran gekarrt. «Als wir aussteigen mussten, waren da Hunde und Scheinwerfer. Sie haben auch Leute geschlagen. Es war kein schöner Anblick», sagt der Walliser.

Erste Nacht im Hof

Weil der Knast völlig überfüllt ist, verbringt Darbellay die erste Nacht im Hof unter freiem Himmel. Dann werden die Ausländer separiert und in eine 4 mal 4 Meter kleine Zelle gesteckt. Studenten aus diversen Ländern, ein italienischer Journalist, ein Tourist aus China – und der Ringer aus der Schweiz.

Fünf Tage dauert die Tortur. Darbellay: «Wir haben nur zweimal in fünf Tagen Essen bekommen. Das Wasser war nicht trinkbar. Es herrschte immer Lärm, immer war das Licht an. Geschlafen habe ich auf dem Boden, aber mehr als 3 Stunden pro Tag war nicht möglich. Es war eine Art Überlebenstraining.» Geschlagen werden die ausländischen Inhaftierten nicht. Aber der Ringer nimmt 7 kg ab – und fühlt sich an seinen Sport erinnert, wo man sich manchmal für eine Gewichtsklasse runter hungert.

Dann kommt der Walliser frei. «Schlimmer als die Zeit im Gefängnis war aber die Zeit danach», sagt er. Darbellay erfährt während eines Trainingscamps mit dem Schweizer Nationalteam in Deutschland, dass er nicht nach Minsk zurückkehren kann. «Sie haben alle meine Dokumente für ungültig erklärt. Beim Rekurs haben mir die Botschaft und die Uni geholfen, doch er wurde abgelehnt.»

Nun lebt Darbellay in Kiew

Es ist ein harter Schlag für den Wahl-Belarussen. Doch er findet eine Lösung in der Ukraine. «Ich arbeite nun in Kiew 50 Prozent im Immobilienbereich, kann trainieren und studiere an der Fern-Uni von Sierre», schildert Darbellay, der aber weiterhin auf eine Rückkehr nach Minsk hofft. Auch wegen Alexandra. Sie besucht ihn diese Woche erstmals in Kiew – drei Monate hat sich das Paar nicht mehr gesehen!

Auch sportlich ist es für Darbellay ein Jahr zum Vergessen. Sein Ziel, die U23-WM diesen November in Finnland, wird abgesagt. Trotzdem sagt er: «Wenigstens habe ich in Kiew eine Perspektive und kann wieder vorwärts schauen.»

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