Was die Athleten beim Abenteuerrennen Red Bull X-Alps leisten, scheint schier übermenschlich. Die Strecke führt vom österreichischen Kitzbühel einmal um den Mont Blanc in Frankreich und zurück nach Zell am See, südlich von Salzburg. Der Clou dabei: jeder einzelne Meter muss zu Fuss zurückgelegt oder mit dem Gleitschirm geflogen werden. Längst nicht alle Teilnehmenden erreichen das Ziel in den vorgesehenen zwölf Tagen.
Genauso legendär wie das X-Alps-Rennen an sich ist der Mann, der dem Hike-&-Fly-Sport in den letzten Jahren seinen Stempel aufgedrückt hat. Seit seiner ersten Teilnahme 2009 hat der Berner Oberländer Christian «Chrigel» Maurer (40) alle sieben Ausgaben gewonnen, teils mit zwei Tagen Vorsprung zu seinen nächsten Verfolgern. In der Szene gilt er als lebende Legende. Der Adler von Adelboden ist sein Spitzname. Blick trifft den Ausnahmeathleten bei den Rennvorbereitungen auf seinem Hausberg, dem Niesen. Der Berg ist einer von insgesamt 15 Checkpoints, die die Athleten passieren müssen.
Sechsmal am Stück den Berg hoch
Wie oft der gelernte Maurer die 2263 Meter hohe «Pyramide der Alpen» am Thunersee schon erklommen hat, weiss er nicht mehr. «Ich habe mal ein 24-Stunden-Training hier absolviert. Hochlaufen, runterfliegen, hochlaufen und so weiter. Trainingstechnisch wars nicht das Schlauste, aber ich konnte Erfahrung sammeln. Es hat für sechseinhalb Aufstiege gereicht.» Ein extremes Training für ein extremes Rennen. Während dem X-Alps läuft Maurer etwa einen Marathon pro Tag und erklimmt durchschnittlich 3500 Höhenmeter. Dazu kommen rund sechs Stunden in der Luft, die stete Konzentration fordern. Es sei aber auch schon vorgekommen, dass er an einem Tag 5400 Höhenmeter aufsteigen musste und dabei 70 Kilometer Strecke gewandert ist.
Das Spiel mit dem Risiko
Der professionelle Gleitschirmathlet erzählt diese Geschichten beiläufig, während er seine Ausrüstung vorbereitet. Als ob er über eine gemütliche Wanderung am Sonntagnachmittag plaudert. Dabei weiss auch der ungeschlagene Champion, was leiden bedeutet. «Hüfte, Knie, Achillessehne, offene Blasen an den Füssen. Irgendwas entzündet sich während dem Rennen garantiert.» Da gilt es: Zähne zusammenbeissen und möglichst viel fliegen. Maurer sieht es pragmatisch: «Zwölf Tage sind eine zu kurze Zeit, um deinen Körper nachhaltig zu zerstören.»
Eine Ausnahme gibt es jedoch. Ein Zwischenfall in der Luft könnte fatale Folgen haben. Obwohl Maurer in seinen 26 Jahren als Gleitschirmpilot fast unfallfrei geblieben ist, bleibt ein Restrisiko bestehen. Dessen ist sich der zweifache Familienvater bewusst. «Gerade in einem Wettkampf muss dir stets klar sein – kein Sieg ist wichtiger als dein Leben. Ich bestimme, wie viel Risiko ich eingehe. Ich treffe alle Entscheidungen in der Luft. Und damit kann ich gut leben.»
Strapazen für die Leidenschaft
Auch in diesem Jahr wird Chrigel Maurer an den X-Alps der Gejagte sein. Was ihn so stark macht, weiss er selbst nicht so ganz. Es komme vieles zusammen. Ein super Team, das ihn vom Boden aus unterstützt. Ein gutes Bauchgefühl. Und im Berner Oberland, umgeben von den Alpen aufzuwachsen, sei sicher auch eine gute Grundlage.
Wobei die Berge dem Abenteurer lange ziemlich egal waren. «Bis 26 habe ich überhaupt keinen Ausdauersport gemacht.» Sein Vater, ein Bergsteiger, habe ihn als Jugendlicher zwar ab und zu auf einen Gipfel geführt. Dabei hätte Maurer damals viel lieber die Gondel genommen. «Dafür sind die Bähnli ja da», erzählt er lachend. Der junge Adelbodner hatte zu dieser Zeit nur eins im Kopf. Fliegen, fliegen, fliegen. Doch dann wurde er auf das X-Alps-Rennen aufmerksam. Ich wollte da mitmachen und körperlich weiterkommen. Also hab ich trainiert und bin drangeblieben.»
Nun steht Maurer zum achten Mal am Start des wohl härtesten Abenteuerrennens der Welt. Auch in dieser Ausgabe werde der Moment kommen, wo er seine Teilnahme bereuen wird: «Weil es hart und frustrierend ist. Wenn ich den Sinn nicht mehr sehe, es hoffnungslos aussieht.» Dennoch nimmt er all diese Strapazen immer wieder auf sich. Weil Chrigel Maurer über alles gesehen vor allem eins ist: ein Abenteurer mit Leib und Seele. Ständig am Abheben – und doch sehr am Boden geblieben.