Da steht sie, in der engen Interview-Zone des riesigen Stade de France, und zuckt mit den Schultern. Mujinga Kambundji (32) hat soeben den Halbfinaleinzug über 200 Meter klargemacht. Als Dritte in ihrem Vorlauf. Nur gerade um drei winzige Hundertstel umgeht sie den Hoffnungslauf, doch das ist ihr in diesem Moment egal: «Zum Glück hat es gereicht – es hätte mich echt gewurmt, wenn ich morgen schon wieder am Vormittag hätte antreten müssen.»
Was sie meint: Als Kambundji am Sonntagmorgen erneut in den Startblöcken steht, ist es nicht einmal 14 Stunden her seit ihrem glanzvollen Auftritt im 100-Meter-Final, als sie im Regen auf Platz sechs rauschte.
«Ich bin echt kaputt»
Die Bernerin sagt: «Ich habe nicht ganz verstanden, weshalb der Zeitplan so zusammengestellt wurde. Ich habe mich noch nie so gefühlt bei einem Wettkampf. Ich bin echt kaputt, weil ich wirklich wenig geschlafen habe – ich hatte nur eine kurze Nacht.» Ihr Medien- und Regenerations-Programm nach dem 100-m-Final habe sie noch lange wach gehalten: «Das letzte Mal schaute ich nach 3 Uhr aufs Handy, und dann klingelte der Wecker auch schon wieder um 7.30 Uhr.»
Kambundji lächelt, als sie von ihren turbulenten letzten Olympia-Stunden in Paris erzählt. Sie lässt deutlich durchblicken: Ihrer Grundstimmung können ein paar solche Widrigkeiten nichts anhaben.
Die erfahrene Sprinterin weiss längst, worauf es an Grossanlässen ankommt. Coolness ist da ein guter Ratgeber – und dass Kambundji diese Eigenschaft besitzt, hat sie längst und mehrfach bewiesen. Paris ist nur ein Exempel für die Tatsache, dass sie auf höchster Ebene stets imstande ist, abzuliefern. Wenn es zählt, ist Kambundji pfeilschnell.
Wie schon bei ihrem Bronzelauf 2019 an der WM oder ihren Goldmedaillen an den Europameisterschaften in München 2022 und Rom 2024 – immer über 200 m. Oder an den Sommerspielen in Tokio vor drei Jahren, als sie über 100 Meter wie in Paris Sechste wurde.
«Es macht mich mega stolz»
Kambundji hat als Schweizer Sprinterin in einer pickelharten Weltsportart eine bis dato beispiellose Karriere hingelegt. Wenn die ganze Nation, ja der ganze Globus hinschaut, schaltet sie auch mit 32 Jahren noch in den Erfolgsgaranten-Modus. Kambundji ist Miss Zuverlässig – und darf mit Fug und Recht glücklich darüber sein. «Es macht mich mega stolz, dass ich nach wie vor auf diesem Niveau mithalten kann», sagt sie zu ihrem sechsten Rang in der Königsdisziplin über 100 m.
Vor 15 Jahren sei eine Teilnahme in einem Olympiafinal «mehr ein Traum als ein realistisches Szenario» gewesen: «Jetzt habe ich es nach Tokio schon zum zweiten Mal geschafft. Ich bin ja schon recht lange dabei – und trotzdem habe ich hier wieder einige Europäerinnen geschlagen, die zu Beginn der Saison richtig schnell waren. Diesen Abend stufe ich deshalb sehr, sehr hoch ein in meiner Karriere.»
Wieder strahlt Kambundji. Die paar Stunden fehlender Schlaf hat sie nach dem Rückblick auf ihren glanzvollen Olympia-Auftakt beinahe schon wieder vergessen. Und als sie dann doch wieder Thema werden, mahnt sie schmunzelnd: «Es geht hier nur um mein aktuelles Energieniveau, ich brauche jetzt einfach ein wenig Erholung. Aber ich bin schon noch fit – und morgen ist ein anderer Tag!»
Es klingt wie eine Ansage für den 200-m-Halbfinal am Montag (20.45 Uhr) – und den grossen Final am Dienstag (21.40 Uhr). Und verwundern würde es niemanden mehr, wenn Kambundji auch dann wieder abliefert.