Mit Doping-Schiff nach Olympia
Biografie enthüllt – so übel tricksten die Russen für Gold

Der Whistleblower Grigori Rodschenkow reicht nach der Netflix-Dokumentation «Ikarus» eine Autobiografie mit Sprengraft nach.
Publiziert: 27.07.2020 um 18:19 Uhr
1/7
Dr. Grigori Rodschenkow in der Netflix-Doku «Ikarus» mit dem Filmemacher Bryan Fogel.
Foto: Netflix
Dino Kessler

Die Aufgabe der Sportler war es, die sportliche Botschaft des Kommunismus in den Westen zu tragen. «Und darum haben wir während Jahrzehnten betrogen», sagt der in den USA untergetauchte Whistleblower Grigori Michailowitsch Rodschenkow (61). Russische Sportfunktionäre bezeichnen den ehemaligen Leiter des Moskauer Anti-Doping-Labors verächtlich als «Labor-Ratte», die Amerikaner bieten ihm Unterschlupf im staatlichen Zeugenschutzprogramm. Am Donnerstag erscheint seine Autobiografie «Die Rodschenkow-Affäre». Darin knüpft Rodschenkow quasi nathlos an die Netflix-Enthüllungs-Dok «Ikarus» an.

Ein paar Auszüge mit sportpolitischer Sprengkraft veröffentlichte nun die Britische Tageszeitung «Daily Mail» schon mal vorab. Rodschenkow schildert, wie Kanadas Skandalsprinter Ben Johnson bereits 1986 während der «Goodwill Games» in Moskau positiv getestet wurde. Von ihm persönlich. In Johnsons Urin hatte er das anabole Steroid Stanozolol entdeckt. Der gleiche Kraftstoff, der Johnson zwei Jahre später in Seoul zum vermeintlichen Olympiasieg über 100 Meter trieb. «Das Sportministerium hat damals entschieden, die insgesamt 14 positiven Tests zu verschleiern, um die Veranstaltung nicht zu beschmutzen», sagt Rodschenkow.

Der Olympia-Boykott 1984? Keine Politik, sondern Doping

Russlands Boykott der Olympischen Spiele 1984 in Los Angeles war gemäss Rodschenkow keine Retourkutsche für den US-Boykott der Spiele 1980 in Moskau. Die Sowjets hatten die Absicht, ein geheimes Kontroll-Labor auf einem Schiff im Hafen von Los Angeles zu betreiben. «Um sicher zu stellen, dass keiner unserer Athleten positiv in die Startblöcke steigt», sagt Rodschenkow. «Aber die Amerikaner verweigerten dem Schiff die Einfahrt in den Hafen. Dann zog das Politbüro den Stecker und die Spiele wurden boykottiert.»

Vier Jahre später war das übrigens kein Problem mehr: Seoul war für die Doping-Tricksereien der Russen ein sicherer Hafen. An Bord des Luxusliners «Michail Scholokow» schmuggelten die Apparatschiks ihr Laboratorium nach Südkorea. Der Chef der Giftküche? Grigori Michailowitsch Rodschenkow.

Das institutionelle Doping in Russland war gemäss Rodschenkow schon seit der Leichtathletik-Weltmeisterschaft von 1983 in Helsinki vollkommen ausser Kontrolle geraten. «Es war damals fast unmöglich, sauberen Urin zu finden, um positive Tests zu verschleiern. Fast alle Athleten waren geladen.»

Bei den Spielen 2014 in Sotschi verpasste Rodschenkow die Schlussfeier: Er hatte die Pflicht, den letzten grossen Austausch von Urinproben zu überwachen. «Wir mussten zwei Goldmedaillen für Russland retten.» Eine davon habe dem Flaggenträger Alexander Zubkow (Bob) gehört.

Die Schwimmerin und Nationalheldin Yana Martynowa trug vor der Schwimm-WM 2015 in ihrer Heimatstadt Kasan den Athleten-Eid vor. Eine Verpflichtung zum sauberen Sport ohne Doping und Tricksereien. Neben ihr stand Präsident Vladimir Putin. Rodschenkow schreibt in seinem Buch: «Gleichzeitig notierten wir im Labor einen positiven Test Martynowas. Das ist russische Sporthistorie im Zeitraffer.»

Alles nur Lügen?

Whistleblower Grigori Rodschenkow gerät selbst in den Verdacht, es mit der Wahrheit nicht immer ganz genau zu nehmen. Die ehemalige Biathletin und Olympiasiegerin Olga Saizewa (42) beendete im Jahr 2015 ihre Karriere, eine positive Dopingkontrolle konnte ihr nie zur Last gelegt werden. Trotzdem wird sie 2017 vom IOC wegen Verstössen gegen die Anti-Doping-Richtlinien lebenslang gesperrt. Sie habe vom staatlichen Betrugssystem profitiert, das bei den Winterspielen 2014 flächendeckendes Doping verschleiert hatte, argumentierten die Richter. Gestützt wurde das Urteil durch eidesstattliche Aussagen des Dr. Rodschenkow.

Ob Saizewa sauber war oder nicht, versucht das Sportgericht Cas in Lausanne gerade herauszufiltern. Saizewa und zwei andere nachträglich gesperrte Biathletinnen waren gegen das Urteil des IOC in Berufung gegangen. Vor einem Gericht in New York streiten die drei Athletinnen um 30 Millionen Dollar, weil ihre Namen, ihre Siege und ihre Ehre grundlos diffamiert worden sei. Sie habe niemals in ihrem Leben gedopt und Rodschenkow entgegen dessen Aussage auch nie getroffen, sagt Saizewa dem Deutschen Magazin «Der Spiegel». «Ich habe keine Erklärung für all diese Lügen. Ausser, dass er wohl verrückt ist.»

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.
Fehler gefunden? Jetzt melden

Was sagst du dazu?