Es gibt Phasen im Leben, da denkt man, man habe den Tiefpunkt erreicht. Und dann kommt der nächste Schlag in die Magengrube. Und dann einer ins Gesicht.
Olga Lyakhova (31) geht es gerade so. Die Ukrainerin flüchtete vor über einem Jahr vor dem Krieg in die Schweiz. Blick besucht die Familie im Sommer 2022 ein erstes Mal. In Bern, wo sie seither mit ihrer Mutter, ihrem Mann, ihrem Bruder und ihrer Tochter leben kann.
Doch als seien die Schrecken des Überfalls von Putins Russland auf die Ukraine und die Angst um die Familie zu Hause nicht genug, hat das Schicksal den nächsten Tiefschlag für die Leichtathletin parat: Um Weihnachten 2022 findet sie heraus, dass ihr Mann sie betrügt. Daraufhin macht er sich aus dem Staub. «Mit ihm ist mein ganzes Erspartes weg. Das Geld, das ich alleine verdient hatte. Und jetzt ist er verschollen, niemand weiss, wo er ist», sagt sie. «Jetzt muss ich wieder von vorne anfangen. Bei null.» Das Leben, das sie kannte, ist plötzlich vorbei. «Ich bin froh, dass es jetzt passiert und nicht nach vielen Ehejahren», sagt sie. «Und sowieso: Es ist besser, allein zu sein, als mit jemandem, der einen so unmenschlich behandelt. Er ist ein schlechter Mensch.»
«Ich kenne viele Männer in den Schützengräben»
Dann ist da immer noch der Krieg in der Heimat. «In meiner Heimatstadt Krementschuk ist es im Moment ruhig», sagt sie. «Das ist gut. Mein Vater lebt immer noch, auch wenn es nicht gut ist, dass er schon so lange von meiner Mutter getrennt ist. Er hat extrem abgenommen.»
Traurig stimmt sie, dass man sich im Westen an den Krieg als Hintergrundgeräusch gewöhnt hat. «Ich verstehe, dass es schreckliche Nachrichten sind und man sie irgendwann vielleicht nicht mehr wahrnimmt. Für mich ist es mein Land, das sind meine Leute, meine Familie. Ich kenne viele Männer in den Schützengräben, die sich auch lieber nicht mit diesem Thema beschäftigen würden – aber sie müssen, weil wir von Russland angegriffen wurden.»
Auch auf der Bahn läuft sie hinterher
Ihr kleinstes Problem ist im Moment der Sport. Aber auch da läuft es nicht. An der Leichtathletik-WM in Budapest scheidet die EM-Bronzemedaillengewinnerin von 2018 über 800 m schon im Vorlauf aus. «Eine Achillessehnenverletzung hat mich gebremst», sagt sie. Die letzten Wochen konnte sie nur alle drei oder vier Tage mit Spikes trainieren, danach brauchte die Achillessehne wieder eine Pause. Keine Voraussetzungen für gute Leistungen.
Nun geht es für sie wieder zurück nach Bern, wo sie zusammen mit Tochter Nicole, Bruder Nazar und Mama Tetiana weiterhin lebt. «Ich bin der Schweiz so unglaublich dankbar, dass wir da bleiben dürfen. Ich habe dieses Land lieben gelernt.» Sobald sie wieder in die Ukraine zurückgehen kann, will sie das tun. Aber so lange bleibt sie da. Und hofft darauf, dass die nächsten zwölf Monate besser werden. Sportlich. Und vor allem in den Bereichen, die noch ein bisschen mehr zählen im Leben.