Der Mann ist auf einer Mission: Jason Joseph (24) hat das Zeug, bei dieser WM eine grosse Geschichte zu schreiben. Das weiss er. Und das will er. Unbedingt, sagt William Reais (24), sein dickster Kumpel, der ihn kennt wie kaum jemand sonst. «So habe ich ihn noch nie erlebt. Er ist im Tunnel, brutal fokussiert», sagt der Bündner Sprinter über den Baselbieter Hürdenläufer.
Fragt man Reais, muss Joseph in Budapest vor allem eins tun: «Cool bleiben.» Mehrfach lief Joseph in den vergangenen Monaten die 110 m Hürden unter 13,20 Sekunden, er will unbedingt die 13er-Schallmauer durchbrechen. Vielleicht ein bisschen zu sehr? «Die Zeit ist fest in seinem Kopf», sagt seine Mutter Susan Gross.
Aber wie macht man das, nicht an etwas denken, das man unbedingt will? Wenn einem jemand sagt: «Denk auf keinen Fall an einen blauen Elefanten» – woran denkt man als Erstes? Exakt.
Seit Joseph im vergangenen Herbst die Zusammenarbeit mit seiner US-Trainingsgruppe beendet hat und nun wieder voll mit Claudine Müller als Chef-Trainerin zusammenarbeitet, hat er in Sachen Fokus noch einmal eine Schippe draufgelegt. Es gibt nur noch essen, schlafen, Leichtathletik – Medienanfragen blockt er über weite Strecken ab. «Ich will nicht, dass alle denken, ich sei ein Träumer, wenn ich von meinen Zielen erzähle», sagt er selber. «Ich möchte es lieber zeigen, als darüber zu sprechen.»
Es darf auch mal ein Burger sein
Das hängt mit der Erfahrung von München (D) zusammen, wo er vergangenen Sommer EM-Bronze knapp verpasste. Aber auch das Training in Übersee hat seinen Einfluss. «Die Einstellung hat er aus den USA mitgenommen», sagt Müller. «Er war vorher schon fast immer pünktlich», sagt Susan Gross. «Aber mittlerweile ist er so weit, dass er nicht ein einziges Mal fünf Minuten zu spät ins Training kommen würde.»
Was er in Übersee aber auch gelernt hat: Selbst Superstars wie Omar McLeod gönnen sich ab und zu etwas. «Manchmal muss man am Tag vor einem Wettkampf auch einfach mal einen Burger essen», sagt Reais über das Rezept, das das unzertrennliche Duo für sich entdeckt hat.
Einen vernünftigen Burger zu finden, dürfte in der Millionenmetropole Budapest kein grösseres Problem sein. Und sonst? «Der Vorlauf war solid, ich bin sicher ins Ziel gekommen, ohne etwas zu riskieren. Die Lockerheit war da», sagt Joseph am Sonntagmittag, nachdem er in 13,38 Sekunden die Pflicht erfüllt hat. Dass das keine Selbstverständlichkeit ist, zeigt das Beispiel des Weltjahresschnellsten Rasheed Broadbell (23). Der Jamaikaner galt als Medaillenkandidat, nach einem Sturz im Vorlauf ist die WM für ihn vorbei.
Als er den Weltmeister jagte, wurde er zu euphorisch
Jetzt gehts für Joseph darum, am Montag im Halbfinal und hoffentlich im Final noch einmal einen draufzusetzen. «Irgendwann wird er den Super-Lauf auspacken», sagt Trainerin Müller. «Er ist jetzt in einer entscheidenden Phase seiner Karriere. Wenn er all das umsetzen kann, was er in sich trägt, dann ist er mitten in der Weltspitze.» Auf den Super-Lauf wartet er tatsächlich noch, immer fehlt ein bisschen etwas. Bei der Diamond League in Florenz (It) war er US-Star Grant Holloway auf den Fersen, bis er realisierte, wie nahe er dem Weltmeister auf die Pelle gerückt war. «Ich habe gemerkt, wie ich aufzuholen begann, und wurde zu euphorisch», sagt Joseph. «Und dann wars passiert.»
Eine weitere Lehre für den Mann mit dem grossen Potenzial und den grossen Zielen, der sich Schritt für Schritt an die ganz Grossen der Zunft herangepirscht hat. Die Chance ist riesig, dass er irgendwann den blauen Elefanten besiegen wird. Warum nicht schon in Budapest?