In den letzten Jahren drängten sie in Richtung Weltspitze: Intersexuelle Sprinterinnen wie Christine Mboma (19) und Beatrice Masilingi (19), die auf den kurzen Sprintdistanzen in den Frauenkategorien an den Start gehen und in Finals von Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen vorstiessen. Mboma holte 2021 in Tokio Olympia-Silber über 200 m – mit 18 Jahren.
Solche Auftritte auf grosser Bühne werden die beiden Namibierinnen vorerst nicht mehr haben. Ausser sie können nachweisen, dass ihr Testosteron-Spiegel während sechs Monaten unter 2,5 Nanomol/Liter liegt. Das hat der internationale Leichtathletik-Weltverband (IAAF) am Donnerstag entschieden. Intersexuelle Athletinnen, also Sportlerinnen mit männlichen und weiblichen Körpermerkmalen, müssen ihren Hormon-Spiegel künftig in allen Disziplinen überprüfen lassen, wenn sie auf Weltniveau antreten wollen. «Es geht uns darum, die Frauen-Kategorien zu schützen», sagt IAAF-Präsident Sebastian Coe. «Die Fairness und die Integrität des Wettbewerbs werden gegenüber der Inklusion priorisiert», heisst es beim Weltverband.
Transgender-Athletinnen dürfen nicht antreten
Transgender-Athletinnen trifft es noch härter. Sie dürfen vorderhand gar nicht in den Frauen-Kategorien an den Start gehen, wenn sie eine männliche Pubertät hinter sich haben. Auf Weltklasse-Niveau gibt es derzeit keine Transgender-Athletinnen.
«Für den Moment ist es ein ‹Nein›», so Coe über die beiden Entscheide. Eine Arbeitsgruppe soll sich in den nächsten Monaten weiter mit dem Thema befassen. «Unsere Haltung basiert auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft.» Er gehe davon aus, dass nun in den längeren Laufdistanzen, wo etwas mehr als die Hälfte der Intersexuellen starten, die Fairness wiederhergestellt sei. In den Sprint-Disziplinen dagegen «haben intersexuelle Athletinnen wohl immer noch einen kleinen Vorteil».
«Lex Semenya» war absurd
Trotzdem dürfte die Schweizer Sprinterinnen mit dem Entscheid glücklich sein. «Gut wäre, wenn wir bald eine klare Regelung hätten. Bis dahin muss ich die Situation einfach erdulden», sagte die Schweizer Rekordhalterin Mujinga Kambundji (30) im Herbst dem Magazin «Interview». «Es ist fair und gleichzeitig unfair. Ich verurteile die intersexuellen Athletinnen nicht, ich respektiere sie. Sie tun nichts Verbotenes, sondern halten sich an die Regeln – denn im Moment dürfen sie in meinen Disziplinen starten. Es ist ein komplexes Thema, man muss viele Hintergründe kennen.»
Die Regelung bis anhin war absurd gewesen. Nachdem die Südafrikanerin Caster Semenya (32) vor über zehn Jahren begonnen hatte, über die Mitteldistanzen (400 m bis 1 Meile) zu dominieren, wurde für diese Kategorien eine Testosterongrenze von 5 Nanomol/Liter eingeführt – die «Lex Semenya». Was dazu führte, dass betroffene Athletinnen auf andere Disziplinen auswichen.
Russen bleiben draussen
Klare Kante zeigte der Leichtathletik-Weltverband dagegen von Anfang an in der Frage, ob Athleten aus Russland und Belarus in seiner Sportart bald wieder starten dürfen. «Unsere Position ist sehr klar», sagt Coe. «Da gibt es keine Missverständnisse. Es ist im besten Interesse unseres Sports: Der Ausschluss bleibt bestehen.»
Die Leichtathleten sind also der Gegenpol zu Verbänden wie den Fechtern, die in dieser Frage einen Rückzieher gemacht haben. Und sie bieten dem Internationalen Olympischen Komitee (IOC) die Stirn. Dieses denkt unter der Führung von Präsident Thomas Bach darüber nach, Russen und Belarussen bald wieder unter neutraler Flagge zuzulassen. Mit dem Entscheid von World Athletics ist klar: Mindestens in der Leichtathletik wird es 2024 in Paris keine Teilnehmer aus Russland und Belarus geben.