Sie sieht wie die sichere Siegerin aus, dann wird es am Dienstag doch nur EM-Silber für Mujinga Kambundji (30). Auf dem letzten der 100 Meter wirft sich die Deutsche Gina Lückenkemper (25) an ihr vorbei ins Ziel, fünf Tausendstel fehlen zu Gold.
Eine verpasste Chance? «Ich habe Silber gewonnen, nicht Gold verloren», hält sie schon eine halbe Stunde nach dem 100-m-Finale in den Katakomben des Münchner Olympiastadions fest. «Eine Medaille ist eine Medaille», sagt ihr Coach Florian Clivaz (27).
«Ich bin niemand, die mit Wut rennt»
Klar ist aber auch: Es fuchst Kambundji, dass es nicht zum ganz grossen Coup gereicht hat. Man wird nicht mit bloss fünf Tausendsteln Rückstand Zweite, wenn man danach damit zufrieden wäre, mit bloss fünf Tausendsteln Rückstand Zweite geworden zu sein. Wenn sie nach 70 m so deutlich in Führung liegt wie am Dienstag, will sie das Rennen auch nach Hause laufen.
Ob sie nun mit der Wut im Bauch den Sieg im 200-m-Final sucht? «Ich bin niemand, die mit Wut rennt», sagt sie. Aber sie gibt nach ihrem 200-m-Halbfinal zu, den sie in 22,76 locker gewinnt, zu: «Der Ärger nach dem 100er war schon recht gross. Vor allem am Abend des Rennens. Jetzt aber freue ich mich, dass ich noch einmal hier laufen darf.»
Kambundjis Freude über die Stimmung in München
Denn in München ist auf den Tribünen der Teufel los. «Ich habe mich ein bisschen erschrocken, als ich heute eingelaufen bin und die ungedeckte Gegengerade trotz Regen voll besetzt war. Das gibt es auch nur hier.» Nach der stimmungsfreien Wüsten-WM in Doha 2019, den Corona-Spielen in Tokio 2021 und den auch eher lauwarmen Weltmeisterschaften in Eugene (USA) diesen Sommer steppt in München endlich wieder der Bär im Stadion: Die deutschen Leichtathletik-Fans machen richtig Stimmung.
Zurück auf die Bahn: Ob sie erschrak, als sie im 100er-Rennen plötzlich alleine auf weiter Flur war? «Das kann es geben im Sprint», sagt Clivaz. «Wenn man dann nur einen Moment zu studieren beginnt, ist die Lockerheit, die es unbedingt braucht, weg.» Aber es sei zu früh, um das im Detail zu analysieren. «Jetzt schauen wir erst einmal auf den 200er. Sie hat die Chance, hier etwas ganz Grosses zu schaffen.»
In der Tat: Wie über 100 m ist Kambundji auch auf der längeren Sprint-Distanz hinter Dina Asher-Smith (Gb) die zweitschnellste Frau Europas in diesem Jahr.
Holt sie eine Medaille, ist nur noch Günthör höher dekoriert
Dass sich wieder im letzten Moment noch eine Deutsche vor sie wirft und ihr Gold vermiest, ist nicht zu erwarten. Zwar qualifizierte sich Kambundjis gute Freundin Alexandra Burghardt über die Zeit. Die grosse Gegnerin aber wird Asher-Smith sein.
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Es ist also angerichtet. Für die nächste Medaille und damit für einen historischen Schritt: Es wäre Kambundjis insgesamt vierte Freiluft-Medaille bei Grossanlässen (1x WM, 2x EM) – mehr hat hierzulande einzig Kugelstoss-Legende Werner Günthör (3x WM, 1x EM, 1x Olympia) auf dem Konto.