Kolumne zum Nati-Auftritt an der EM
Den Wolf gestreichelt

Die Schweizer Handballer verpassen mit einem peinlichen Auftritt eine Riesenchance. Die Kolumne von Reporter Felix Bingesser.
Publiziert: 14.01.2024 um 13:30 Uhr
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Aktualisiert: 14.01.2024 um 21:25 Uhr
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Deutsche Goalie-Power: Die Schweizer Handballer sind wie Schäfchen vor dem Wolf im deutschen Tor in Ehrfurcht erstarrt.
Foto: imago/wolf-sportfoto

Unter Handball steht bei Wikipedia: «Das Ziel des Spiels besteht darin, den Handball in das gegnerische Tor zu werfen.»

Auch wenn diese banale Anleitung nicht darauf schliessen lässt: Der Handballsport ist im Gegensatz zum Fussball der Sport der Akademiker. Viele Wirtschaftskapitäne und Politgrössen haben eine Vergangenheit im Handball und engagieren sich auch nach der Karriere stark für ihren Sport.

Und die Schweiz spielte einst, als die Fussballer noch im Zeitalter der ehrenvollen Niederlagen dümpelten, auch international eine Rolle. 1993 belegte man bei der Weltmeisterschaft den vierten Platz. Aber danach beginnt der schleichende Abstieg.

Gegen die Degradierung zur Randsportart kämpft man mittlerweile seit langer Zeit an. In den letzten Jahren wurden grosse Anstrengungen unternommen, um dem Mauerblümchendasein zu entfliehen und wieder mehr Visibilität und Aufmerksamkeit zu erhalten. Und um den Anschluss an die grossen Mannschaftssportarten Fussball und Eishockey wiederherzustellen.

Und dann kommt diese einmalige Chance, diese gigantische EM-Eröffnung in Düsseldorf gegen den favorisierten Gastgeber Deutschland vor der Weltrekordkulisse von mehr als 53'000 Zuschauern. Dieser Lottosechser, der auf einen Schlag für den ganzen Sport zum Quantensprung werden könnte.

Und was ist zu sehen? Eine komplett verunsicherte Mannschaft, die hilf- und orientierungslos über das Feld stolpert. In der zweiten Halbzeit ist der Auftritt derart konzeptlos und fahrig, dass sich beim Betrachter ein Gefühl irgendwo zwischen Mitleid und Fremdschämen breitmacht.

Handballer haben Rösti falsch verstanden

Bundesrat Rösti hat den Wolf vor einigen Wochen zum Freiwild erklärt. Die Handballer haben das offenbar falsch verstanden. Und sind wie Schäfchen vor dem Wolf im deutschen Tor in Ehrfurcht erstarrt.

Es ist, so dramatisch muss man es formulieren, eine der dunkelsten Stunden des Schweizer Mannschaftssports. Mit dem Handballvirus ist an diesem Abend niemand angesteckt worden.

Natürlich: Mit einer Niederlage gegen Favorit Deutschland musste man rechnen. Aber dass man sich derart vorführen lässt und auch kämpferisch alle Wünsche offenlässt, ist nicht nachvollziehbar. Wäre das im Fussball passiert, die vernichtenden Schlagzeilen wären gewiss.

Hat der Schweizer Handball in Sachen Dynamik und Kraft die Entwicklung verpasst? Nein. Die Auftritte der Schweizer Spieler in der Bundesliga beweisen das Gegenteil. Waren sie einfach zu nervös? In diesem Fall hat der Trainer in der Vorbereitung die richtigen Worte nicht gefunden. Die Bilanz des abtretenden Michael Suter mit diesem talentierten Kader ist seit geraumer Zeit ernüchternd.

Und für einmal konnte es auch Andy Schmid, der beste Schweizer Handballer der Geschichte, nicht richten. Vielleicht hat er eine Vorahnung gehabt. «Ich bin überzeugt, dass ich ein Jahr zu lange spiele», hat er im Interview mit der «NZZ» gesagt.

Es gibt noch zwei Chancen, sich noch mit halb erhobenem Kopf aus der Affäre zu ziehen. Heute gegen Frankreich und am Dienstag gegen Nordmazedonien.

Oliver Kahn wüsste, was die Schweizer jetzt brauchen!

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