Das Nati-Debakel in der Analyse
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Pauschalversagen des Teams:Das Nati-Debakel in der Analyse

Der grosse Nati-Rapport
Von der WM-Party zum Katar-Kater

Vieles lief an der WM in Katar viel besser als 2018 in Russland, aber längst nicht alles wie gewünscht. Da sind auch ein missglückter Trip nach Abu Dhabi, Bändeli-Zoff, Grippe-Welle und Schuldzuweisungen.
Publiziert: 11.12.2022 um 01:10 Uhr
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Aktualisiert: 11.12.2022 um 11:36 Uhr
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«Weltmeister werden»: Gross ist nicht nur Granit Xhakas WM-Ansage, sondern auch sein Konterfei auf einem Hochhaus in Doha.
Foto: TOTO MARTI

In Katar wollte die Nati hoch hinaus, mindestens bis in den Viertelfinal. Viele Fans träumten gar heimlich vom Final. Diese Nati ist die beste aller Zeiten. So muss es sein, denn es sagen ja alle. Die Experten, die Spieler, der Trainer. Sogar der besonnene Nati-Boss Pierluigi Tami gibt den Viertelfinal als Ziel aus, sagt: «Wir wollen Geschichte schreiben.»

Jedoch sagt es keiner so pointiert wie Granit Xhaka im März. «Meine Ziele sind immer dieselben: Ich fahre an ein Turnier, um es zu gewinnen. Also sage ich jetzt: Ich will Weltmeister werden.» Gross ist nicht nur Xhakas Ansage, gross ist auch sein Konterfei, welches ein Hochhaus in Doha ziert. Es wird irgendwie zum Sinnbild unserer Ansprüche in Katar.

Seit Dienstagabend ist klar: Weltmeister werden wir nicht. Wie schon 2006 gegen die Ukraine, 2014 gegen Argentinien und 2018 gegen Schweden sind wir im Achtelfinal raus. Im Gegensatz zu früher werden wir dieses Mal richtiggehend aus dem Turnier geprügelt. 1:6 gegen entfesselte Portugiesen. Autsch!

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Bald trifft man sich zur grossen WM-Analyse

Am Donnerstag fliegt der Nati-Tross zurück in die Heimat. Später als Teams wie Deutschland und Belgien zwar, früher aber als erhofft. Und mit einer Klatsche, die hängen bleibt. «Der letzte Eindruck bleibt haften», sagt Trainer Murat Yakin, «nun muss ich halt in den nächsten Monaten damit leben.»

Bald werden sich die Verantwortlichen wiedersehen. Zur grossen Analyse, wie es nach solchen Turnieren beim SFV üblich ist. Da dürfte man feststellen, dass man im Vergleich zur WM 2018 in Russland sehr vieles sehr viel besser gemacht hat. Und doch gibts noch Luft nach oben.

Blick erstellt seinen eigenen Nati-Rapport über die 25 Tage in der Wüste Katars.

Die Mission startet am 14. November im Flughafen Kloten. Hält Sommers Knöchel? Erholt sich Rodriguez rechtzeitig von seinem Schlag? Ist Shaqiri nach langer Zeit ohne Spielpraxis genug fit? Das sind die grossen Fragen, welche die Schweiz nach Katar begleiten. Alle sind bestens gelaunt. Bis auf Haris Seferovic, der sauer davonstapft, weil er von den anwesenden Journalisten quasi nur Fragen zu seinem Reservistendasein bei Galatasaray Istanbul gestellt bekommt. Salzburg-Goalie Philipp Köhn, als vierter Keeper nachnominiert, wird von den Fans erst erkannt, nachdem er sich den SFV-Dress anzieht. Anreise, Teamhotel und Trainingsplatz in Katar sind perfekt.

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Trip nach Abu Dhabi geht komplett in die Hosen

Alles andere als perfekt ist der Trip am 16. November zum Testspiel gegen Ghana in Abu Dhabi. Die Nati-Stars sitzen beim Hinflug in der Holzklasse verteilt zwischen WM-Touristen und Gastarbeitern. Während Sommer, Elvedi & Co. gute Miene machen und für Selfies posieren, lästern andere lautstark ab. Vor allem Xhaka nervt sich über die amateurhaften Zustände kurz vor WM-Kickoff. Es wäre besser gewesen, die Spieler hätten selbst einen Charterflug gebucht, sagt er. Stichwort Corona. Bis auf SFV-Präsident Dominique Blanc trägt aber keiner eine Maske.

Xhaka spricht aus, was alle denken. Denn auch die SFV-Bosse sind verärgert über den Organisator des Testspiels. «FSS Gulf Sports» in Abu Dhabi hat anscheinend vergessen, die Nati als Gruppe auf den vordersten Reihen einzuchecken. Es bleibt nicht der einzige Makel: Bei der Passkontrolle funktionierts nicht reibungslos. Im Nati-Bus ists stickig heiss, weil die Klimaanlage fehlt. Und das Stadion wird kurzfristig gleich zweimal gewechselt, einige Fans sollen sogar im falschen gelandet sein. Pierluigi Tami richtet ein paar Worte ans Team. Er will, dass der Nati-Tross fokussiert bleibt. Man hat aus Russland 2018 gelernt, an dieser Endrunde will man sich ausschliesslich aufs Sportliche konzentrieren.

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Doch auch sportlich ist der Ausflug zum Vergessen. «Nati-Alarm» titelt Blick nach dem 0:2 gegen Ghana. Es ist ein Test-Kick, ein Aufgalopp zur WM, ein besseres Aufwärmen unter Wettkampfbedingungen. Immerhin kann die Nati zwei, drei Schlüsse daraus ziehen: Die Dreierkette funktioniert nicht wirklich. Es ist definitiv heiss. Und Sommers Knöchel hält. Das Beste aus dem missglückten Trip nach Abu Dhabi ist aber, dass sich kein Spieler verletzt und keiner sich mit Covid ansteckt.

Zoff um Captain-Binde gut weggesteckt

Zurück in Doha sorgt die Fifa mit dem kurz vor Anpfiff eingeführten Bier-Verbot vor den Stadien und der schrägen Eröffnungsrede von Fifa-Präsident Gianni Infantino («ich fühle mich heute ein bisschen schwul») für die fetten Schlagzeilen. Der Nati-Tross ist davon nicht betroffen, bleibt unbeeindruckt.

Anders beim Zoff um die Captain-Binde. Einen Tag vor dem Eröffnungsspiel verkündet die Fifa, dass die Binde mit der Aufschrift «One Love», mit welcher Granit Xhaka und weitere Captains auflaufen wollten, nicht toleriert werde. Die Fifa droht Sanktionen an, falls man sich nicht daran halten würde. Bei der Nati ist man enttäuscht und bereit, finanzielle Konsequenzen in Kauf zu nehmen. Wären die Sanktionen jedoch sportlicher Natur, würde man aber einlenken, sagt Medienchef Adrian Arnold. Das sind sie dann. Die Fifa droht den Trägern mit Gelben und sogar Gelb-Roten Karten. Während die Deutschen ihre Spieler weiterhin in den «Bändeli-Zoff» involvieren (alle halten sich beim Gruppenfoto vor dem Spiel gegen Japan demonstrativ den Mund zu), lassen es die Schweizer gut sein und konzentrieren sich auf den Fussball.

Zakaria: «Ich sage besser nichts»

Das klappt dann ganz gut: Am 24. November gewinnt die Nati ihr erstes Gruppenspiel gegen Kamerun 1:0. Mann des Tages ist Stürmer Breel Embolo. Ausgerechnet Embolo, der in Kamerun geboren wurde und dessen Grossteil der Familie noch da wohnt. Aus Respekt verzichtet er auf einen Jubel. Das Startspiel ist zwar zäh, die drei Punkte jedoch Gold wert.

In Spiel zwei gegen Brasilien vier Tage später geht Yakins Match-Plan perfekt auf. Beinahe. Denn Casemiro macht uns an diesem Montagabend mit einem Sonntagsschuss einen Strich durch die Rechnung. Nach Spielschluss sind dennoch alle einigermassen zufrieden. Fast alle. Chelsea-Spieler Denis Zakaria, der zum zweiten Mal nur auf der Bank sitzt, während YB-Youngster Fabian Rieder oder FCB-Routinier Fabian Frei fleissig WM-Minuten sammeln, ist mässig happy. «Ich sage besser nichts», meint er und rennt quasi durch die Mixed-Zone.

Nun kommts, wie seit der Auslosung befürchtet, wieder zum Showdown gegen Serbien. Dieses emotionale Duell, welches vor vier Jahren nach Doppeladler-Jubel und Doppelbürger-Debatte den Schweizerischen Fussballverband in seinen Grundfesten erschüttert hat. Diesmal ist man vorbereitet. Die schweiz-kosovarischen Doppelbürger Xhaka und Shaqiri, die schon vor der Partie gegen Kamerun von serbischen Journalisten mit Fragen gelöchert werden, werden vor dem Spiel abgeschottet – alle anderen betonen mantramässig, dass einzig das sportliche Duell im Fokus stehen würde.

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Grippe-Welle erwischte noch mehr Nati-Spieler

Doch plötzlich hat die Nati noch ein anderes Problem: Fürs dritte Gruppenspiel müssen Goalie Yann Sommer und Verteidiger Nico Elvedi Forfait geben. Obwohl Yakin an der Pressekonferenz betont, dass alle fit seien. Eine starke Erkältung legt sie flach, wie auch Ersatzkeeper Köhn. Sie sollten nicht die Einzigen bleiben. Es erwischt auch Fabian Schär und später, vor dem Achtelfinal gegen Portugal, auch Rechtsverteidiger Silvan Widmer. Was nicht öffentlich wird: Auch Manuel Akanji, Ricardo Rodriguez und Granit Xhaka sind zwischenzeitlich verschnupft, haben Grippe-Symptome und müssen Medikamente nehmen. Vor dem Knüller gegen Serbien macht gar das Gerücht von Corona die Runde. Ist es aber nicht – alle Tests fallen negativ aus.

Trotz Grippe-Welle gewinnt die Schweiz am 2. Dezember das Duell gegen Serbien 3:2 und zieht an der dritten WM in Serie in die K.-o.-Phase ein. Auch ohne Doppeladler-Gesten ists hitzig. Provokationen hier, ein Griff in den Schritt da, Rudel-Bildung überall. Im Gegensatz zu 2018 setzt es in Katar von der Disziplinarkommission der Fifa keine Bussen ab. Aus Schweizer Sicht kommt vor allem Xhaka, der sich trotz bester Vorsätze in der Hitze des Gefechts zu Provokationen hinreissen lässt, mit Gelb gut weg.

Xhaka mit Jashari-Shirt – Freuler angesäuert

Nach Spielschluss stülpt er sich zum Jubeln das Shirt von Teamkollege Ardon Jashari mit dem Namen nach vorne über. Die Serben fühlen sich provoziert, weil Jashari auch der Name eines ehemaligen Unabhängigkeitskämpfers ist, der in den 90ern für die Loslösung des Kosovo von Serbien kämpfte. Die kosovarische Community feiert ihn dafür. «Das war keine politische Botschaft», meint Xhaka nach Spielschluss, «Ardon ist ein Junge, den ich sehr schätze. Wir sind täglich zusammen, verbringen viel Zeit miteinander …»

Was sticht noch heraus? Zakaria wird eingewechselt. Und der dritte Schweizer Treffer ist schlicht Weltklasse. «Freuler herrscht», titelt Blick, «Traumtor zum Achtelfinal». Trotzdem ist tags darauf nicht alles in Minne, das merkt man ausgerechnet dem Torschützen an. Denn bei Freuler herrscht am Tag nach dem Sieg nur mässig Freude. Angesprochen auf die Provokationen, reagiert er sauer. «Ich will über Fussball sprechen. Wenn ihr über anderes reden wollt, da ist die Türe.» Nerven ihn die fragenden Journalisten oder die Gesten seines Teamkollegen?

Schuld-Zuweisungen nach 1:6-Klatsche

Das Schöne ist, im Gegensatz zu Titelaspiranten wie Belgien oder Deutschland, die nach der Vorrunde nach Hause fliegen, dürfen wir weiter über Fussball reden. Wir haben im Achtelfinal Portugal vor der Brust. Schwierig, aber machbar, sagen alle. Die Experten, die Spieler, der Trainer. Und der Nati-Fan glaubts und hofft. Dann diese 1:6-Klatsche! Nach Spielschluss sind auch die Spieler gefrustet. Auf der Suche nach Erklärungen werden einige beim System fündig, mit welchem Yakin sein Team auf die Mission Viertelfinal geschickt hat. Shaqiri: «Wir haben unseren Plan gewechselt – und er ist leider nicht aufgegangen.» Seferovic: «Der Trainer macht die Taktik. Was soll ich sagen? 1:6. Das sagt alles.»

Captain Xhaka, der von den Journalisten «keine Scheiss-Fragen» hören will, macht die Probleme eher bei den Spielern aus. «Wir haben nicht wegen des Systems verloren. Defensiv nicht laufen und nur offensiv etwas zu wollen, kann man auf diesem Niveau nicht.» Schuldzuweisungen nach dem Frust-Aus. «Katar-Kater» nennt sich das wohl.

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Woran liegt's, dass es nicht höher hinaus geht?

Auch für Yakin, der in den ersten 16 Monaten als Nati-Coach fast alles richtig gemacht hat, gibts erstmals Kritik. Es wird ihm um die Ohren gehauen, dass er mit Widmer und Rodriguez nur zwei nominelle Aussenverteidiger mitgenommen hat. Zudem fordert SRF-Kommentator Sascha Ruefer, dass man Xhaka nach den neusten Vorkommnissen die Captain-Binde wegnehmen soll.

Wie geht es nun nach der WM weiter? Schon im März startet die EM-Qualifikation. Mit Shaqiri? Mit Seferovic? Mit Sommer als Stammkeeper? Mit Xhaka als Captain? Yakin hat in den nächsten Wochen Zeit, seine Schlüsse aus der WM-Expedition zu ziehen.

Das Xhaka-Poster ziert noch heute die Skyline von Doha, die beste Nati aller Zeiten ist bereits in den Ferien. Zum dritten Mal in Serie im Achtelfinal gescheitert. Sicher ein Leistungsausweis, der sich sehen lassen kann. Doch woran liegt's, dass es auch diesmal nicht höher hinausgeht? Ist unser Land dafür schlicht zu klein? Die Kroaten beweisen das Gegenteil, einmal mehr. Sie dürfen noch immer ihren WM-Traum träumen ...

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