Dani Alves vor Gericht – die alten Helden sind alle tot
Der brasilianische Fussball-Zauber ist am Ende

Die Legenden sterben aus, die Nationalmannschaft taumelt, die Stars heben ab und von den Fans gibts Spott und Hohn. Brasiliens Fussball ist ganz tief gefallen.
Publiziert: 05.02.2024 um 00:12 Uhr
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Aktualisiert: 05.02.2024 um 08:50 Uhr
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Dani Alves machte 126 Spiele für die brasilianische Nationalmannschaft.
Foto: imago/Xinhua
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Patrick MäderAutor Blick Sport

Es war bemerkenswert, dass Brasiliens Team Dani Alves mit an die WM nach Katar nahm. Alves, damals 39-jährig, vereinslos, längst über dem fussballerischen Zenit, war wohl mehr als Team-Maskottchen gedacht, als Stimmungsmacher in der Wüste. Möglich auch, dass das Aufgebot und die beiden Einsätze, die er bekam, schlicht eine Verbeugung vor seinen fussballerischen Leistungen war. 48 Titel hat Alves nach eigener Zählweise gewonnen, darunter dreimal die Champions League mit Barcelona. Er galt zu seiner Blütezeit zu Recht als einer der besten offensiven Rechtsverteidiger der Welt.

Mutmassliches Opfer will kein Geld

Doch jetzt braucht Alves selber gute Verteidiger. Er steht zwischen dem 5. und 7. Februar in Spanien vor Gericht. Alves soll im Dezember 2022 eine junge Frau auf der Toilette der Edeldiskothek Sutton in Barcelonas Oberstadt sexuell missbraucht haben. Die fürchterlichen Details der Tat, wie sie das mutmassliche Opfer erzählte, haben die spanischen Medien längst ausgebreitet. Es sieht nicht gut aus für Alves, auch weil die inzwischen 24-jährige Frau keinen finanziellen Deal eingehen will, sondern Gerechtigkeit fordert. Alves drohen wegen mutmasslicher Vergewaltigung zwischen vier und zwölf Jahre Gefängnis. Die Staatsanwaltschaft fordert neun.

Seit über einem Jahr sitzt er wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft, und das hat seinen Grund. Brasilien liefert seine Landsleute grundsätzlich nicht aus. Der in Italien 2017 wegen Vergewaltigung zu neun Jahren Haft verurteilte Ex-Fussballstar Robinho lebt in Brasilien auf freiem Fuss. Ob er seine Strafe jemals absitzen wird, ist fraglich.

Wie damals Robinho beteuert auch Alves seine Unschuld, doch verstrickte er sich bei seinen Aussagen in etliche Widersprüche. Am Anfang behauptete er noch, die Frau gar nicht zu kennen. Dann gab er Sex im gegenseitigen Einverständnis zu, ganz neu und wahrscheinlich strategisch ist nun seine Aussage, dass er an jenem Abend betrunken war und nicht wusste, was er tat. Das klingt schon fast nach Geständnis und der verzweifelten Hoffnung auf mildernde Umstände.

Die Helden von 1958 sind alle tot

Alves reiht sich ein in ein wahres Untergangsszenario des brasilianischen Fussballzaubers. Pelé ist Ende 2022 gestorben, kurz nachdem die Seleção glanzlos im WM-Viertelfinal ausgeschieden war. Mario Zagallo, der als Spieler und Trainer an vier der fünf WM-Titel Brasiliens beteiligt war, starb Anfang 2024. Er war der letzte Weltmeister von 1958. Nun sind die Helden von damals tot. 

Zagallo hatte aus seinem Talent als Spieler das Maximum herausgeholt. Er war genau das Gegenteil von Neymar, diesem Hochbegabten, der inzwischen bei den Saudis in der Wüste seine Zeit vertreibt, sich im Oktober das Kreuzband riss, lange ausfällt und trotzdem für tänzerische Schlagzeilen sorgt. Zum Jahreswechsel charterte er ein 330 Meter langes Kreuzfahrtschiff mit Casino und Wasserpark, machte drei Tage und Nächte lang mit Tausenden Freunden Party und schrieb danach: «Mein Beileid an jene, die nicht dabei waren.»

Seleção wird von eigenen Fans verhöhnt

Neymars Fall geht einher mit dem Niedergang der brasilianischen Nationalmannschaft. Diese taumelt ihrem Tiefpunkt entgegen. Die Seleção verlor 2023 fünf ihrer neun Spiele, zuletzt drei in der WM-Qualifikation, womit sie als Sechste der Gruppe nur deshalb 2026 beim Turnier in den USA, Kanada und Mexiko dabei wäre, weil das Teilnehmerfeld von 32 auf 48 aufgebläht wird und Südamerika zwei Plätze mehr bekommt. Sogar von den eigenen, sonst so leidenschaftlichen Fans gibts Spott und Hohn. Als Brasilien im November in Rio Argentinien 0:1 unterlag, schallten lang gezogene «Olé»-Rufe durchs Maracanã. Allerdings galten sie dem Erzrivalen.

Genauso chaotisch wie auf dem Platz gehts auch im Verband zu und her. Da herrscht ein verwirrender Rechtsstreit um Präsident Ednaldo Rodrigues, der zuerst wegen Unregelmässigkeiten bei seiner Wahl abgesetzt, nach Suspendierungsdrohungen der Fifa aber inzwischen wieder eingesetzt wurde. Einen Tag nach seinem Comeback feuerte Rodrigues Nationaltrainer Fernando Diniz. Sein Nachfolger heisst Dorival Júnior (61) und nicht etwa Carlo Ancelotti, von dem ganz Brasilien geträumt hatte. Der italienische Startrainer verzichtete auf den Schleudersitz und bleibt lieber bei Real Madrid, da hat er Ruhe und Perspektiven. Seit dem letzten WM-Titel 2002 ist Dorival Júnior der elfte Trainer auf der Bank der Seleção. 

Steht Brasilien wieder auf?

Brasilien ist ein tief gespaltenes Land, das sich zwischen dem unversöhnlichen Streit von linken Lula-Anhängern und rechten Bolsonaro-Anhängern aufreibt. Die Ungleichverteilung ist bedenklich gross: im Norden und Nordosten die Armen, im Süden die Reichen. Jetzt droht den Menschen auch noch die Freude an ihrem liebsten Kind verloren zu gehen: der Fussball mit seiner einenden und tröstenden Kraft. Worte der Hoffnung kommen von Dorival Júnior, dem Neuen: «Der brasilianische Fussball ist sehr stark, er erfindet sich immer wieder neu.»

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