Nach sechs Jahren als Sportchef
Der unerbittliche Sutter hat in St. Gallen ausgedient

Alain Sutter galt als Feingeist mit esoterischem Touch. Seine sechs Jahre als Sportchef des FC St. Gallen zeigten, dass er auch anders sein kann: gnadenlos, mutig, konsequent. Das hat ihn wohl seinen Job gekostet.
Publiziert: 08.01.2024 um 01:03 Uhr
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Aktualisiert: 08.01.2024 um 07:06 Uhr
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Alain Sutter ist seinen Job als Sportchef des FC St. Gallen nach exakt sechs Jahren los.
Foto: TOTO MARTI
Michael Schifferle

Am 3. Januar war die St. Galler Führungsriege wieder einmal im Kybunpark versammelt. Präsident Matthias Hüppi (65), Finanzchef Christoph Hammer, VR-Mitglied Beni Würth, bekannt als St. Galler Ständerat, und Peter Germann, im VR für den Sport zuständig, wollten an einer eilends einberufenen Pressekonferenz Geschlossenheit und Einheit demonstrieren. «Kein Blatt Papier passt zwischen uns», sagte Hüppi bei dieser Gelegenheit und griff auf eine jener Formeln und Floskeln zurück, die er seit seiner Amtsübernahme im Dezember 2017 immer wieder gepredigt hat.

Dabei sassen die hohen Herren da, weil sie gerade einen aus ihrem Kreis verstossen hatten – und zwar den berühmtesten. Ex-Nati-Star Alain Sutter (55), seit sechs Jahren das sportliche Gewissen der St. Galler, wurde verabschiedet. Genauer: Er wurde aus dem Amt gejagt. Da mag Hüppi noch lange versuchen, die Trennung schönfärberisch darzustellen.

An Sutters Stelle durfte Roger Stilz die Bühne betreten. Und das zu einer Zeit, in der die Espen auf Platz zwei der Super League liegen und Sutter sich rühmen darf, viele der sportlichen Ziele erreicht zu haben, die er und Hüppi bei ihrem Amtsantritt ausgerufen hatten. Zwei Cupfinals und die fulminante Saison 2019/20, die fast mit dem Titelgewinn geendet hätte, inklusive.

Bravehearts sollten es sein!

Und genau: Bravehearts wollte Sutter sehen, wie er in seinen ersten Interviews so gerne sagte, das vor allem. Mutige Fussballer, die unerschrocken in den sportlichen Kampf ziehen. Die verlieren dürfen, sofern sie ihre Herzen auf dem Rasen lassen und ihre Hosen mit Dreck überzogen sind. Die Fans wollten sie wieder vermehrt ins Stadion locken, um sie zu begeistern. Das taten die St. Galler: Der Zuschauerdurchschnitt stieg von 12'614 Fans auf 17'897 – das ist eine Steigerung von rund 42 Prozent.

Trotzdem muss Sutter gehen, weil er nicht willens war, einen Teil seiner Kompetenzen an Stilz abzugeben. «Mir tuts menschlich sehr leid für ihn», sagt einer, der den Genuss eines grossen Sieges ebenso kennt wie den Schmerz einer Entlassung: Fredy Bickel, CEO und Sportchef in Zürich, Bern oder Wien. «Ich habe grossen Respekt vor dem, was Alain in St. Gallen geleistet hat.»

Auch Hüppi sagt: «Mit vielen anderen, die vor sechs Jahren angetreten waren, hat es Alain geschafft, den Verein mit einer klaren Spielidee aus einer anspruchsvollen Situation zu befreien.»

«Wir selber haben uns nie als Dreamteam bezeichnet»
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Hüppi zur Trennung von Sutter:«Wir selber haben uns nie als Dreamteam bezeichnet»

Ein Feingeist sieht anders aus

Dabei gab es viele, die zu Beginn an Sutter zweifelten. Jene, die in ihm den fussballerischen Feingeist sahen, dem nachgesagt wird, esoterisch angehaucht zu sein. Der Bücher übers Glücklichsein schrieb. Und der zwischendurch nach Mallorca ins Yoga-Camp seiner Frau Melanie flog, statt sich auf der Tribüne der Neuenburger Maladière beim Auswärtsspiel seiner Espen zu setzen.

Viele jedoch haben sich in Sutter getäuscht: Agenten, Spieler, Trainer, Journalisten. Sutter kleidet sich gepflegt. Er ist eloquent, kultiviert und meist souverän. Als Blick 2018 eine Story über seine Frisuren im Lauf der Jahre publiziert, verdreht er die Augen, weil ihn das Thema anödet. Oder als er 2012 in seiner kurzen Zeit als GC-Vizepräsident als «GC-Kasperli» verhöhnt wird, gefällt ihm das auch nicht sonderlich. Aber sich darüber aufregen? Nein. Das Leben ist zu kurz. Auch Journalisten, die ihn kritisieren, behandelt er mit grösstem Anstand.

Sutter aber kann auch sein, was ihm wenige zutrauen: unerbittlich. «Alain hat eine klare Meinung, eine klare Idee. Und dann weicht er auch nicht von ihr ab», sagt Bickel, der den jungen Alain Sutter in den frühen 1990er-Jahren als Pressechef erlebte und später auch zuweilen mit ihm am Verhandlungstisch sass. Auch andere Agenten, die mit ihm arbeiteten, nennen ihn korrekt, anständig, aber auch klar und konsequent.

Contini schmiss er ohne Mitleid raus

Das bekamen einige Spieler, aber auch Trainer zu spüren: Giorgio Contini musste im Frühjahr 2018 gehen, obwohl der Meisterheld von 2000 mit der Mannschaft auf Europacup-Kurs lag. Sutter war nicht überzeugt von ihm. Er vollzog einen radikalen Stilwandel – hin zum Red-Bull-geprägten Fussball mit hohem Pressing und Gegenpressing unter Peter Zeidler (61). Der sagt heute: «Wir haben sehr harmonisch zusammengearbeitet. Da gibts nichts anderes zu sagen.» Sutter holte den Trainer – und hielt stramm an ihm fest.

Spieler, die ihm nicht mehr genügten, rasierte er ohne Mitleid. Für viele handelte er konsequent, für andere brutal. Und als die Spieler mal gegen Interimstrainer Boro Kuzmanovic (61) meuterten, marschierte Sutter auf den Trainingsplatz und stellte die Spieler in den Senkel.

Und da wäre die Personalie Nassim Ben Khalifa. In ihm sah Sutter etwas Besonderes. Er glaubte, mit vielen Einzelgesprächen, mit Toleranz und Hingabe, könne aus dem selbstbewussten Stürmer noch mehr rausgekitzelt werden. Sutter sagte mal im Rückblick: «In keinen Spieler habe ich so viel investiert.» Er wird bitter enttäuscht. Ben Khalifa entwickelt sich zum störrischen, widerspenstigen, stolzen Spieler, mit dem Trainer Zeidler immer weniger gut klarkommt. Einen Transfer in die Challenge League lehnt er ab. Also wird er kaltgestellt. Der Klub schliesst ihn von einzelnen Trainings aus. Ben Khalifa aber klagt sich mit Erfolg ins Training zurück. Das Verhältnis ist aber nicht zu kitten. Sutter lässt ihn fallen.

Auch andere müssen gehen, obwohl sie im Team und bei den Fans beliebt sind: Aussenverteidiger Andreas Wittwer beispielsweise oder Jérémy Guillemenot.

Fast Nati-Manager

2019 verhandelte Sutter mit dem Schweizer Fussball-Verband über die neu geschaffene Position des Nati-Managers. Er schaffte es in die Endauswahl, ehe ihm Pierluigi Tami vorgezogen wurde. Auch da soll Sutter konsequent und selbstbewusst aufgetreten sein. Vielleicht zu konsequent. Auch deshalb wurde ihm Tami vorgezogen, der Pflegeleichtere.

Womöglich wäre Sutter heute noch Espen-Sportchef, wenn er bereit gewesen wäre, sich mit Stilz zu arrangieren. Das Teilen der Verantwortung lehnte er jedoch kategorisch ab. Er blieb konsequent. Bis zum bitteren Ende.

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