Methoden, Familie, Träume
FCZ-Trainer Bo Henriksen so offen wie noch nie

Ein Däne bringt Meister FCZ wieder nach oben. Bo Henriksen über seinen Umgang mit den Spielern, die Probleme beim Fussballspielen mit seinem sechsjährigen Sohn, die Arbeit im Kopenhagener Ghetto und Verwandte in der Schweiz.
Publiziert: 02.04.2023 um 12:01 Uhr
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Aktualisiert: 02.04.2023 um 12:16 Uhr
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Über den Dächern seiner Stadt: FCZ-Trainer Bo Henriksen hat den Meister wieder nach oben gebracht.
Foto: Sven Thomann
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Matthias DubachLeiter Reporter-Pool Blick Sport

Hier oben liegt Bo Henriksen (48) ganz Zürich zu Füssen. «Wow, die Aussicht ist fantastisch», sagt der FCZ-Trainer beeindruckt, als er über den Dächern der Stadt beim Restaurant Die Waid zum Blick-Interview eintrifft. Der Däne ist das erste Mal an diesem bekannten Aussichtspunkt.

Im Restaurant redet Henriksen ausführlich darüber, wie er in sechs Monaten den Krisen-Meister wieder nach oben gebracht hat, über seine Familie und seine Entwicklung als Trainer.

Blick: Seit Ihrer Ankunft ist der FCZ wieder auferstanden. Wie haben Sie das hinbekommen?
Bo Henriksen: Als ich zum FC Zürich kam, fragte ich die Mannschaft als Erstes: «Wie kann ich euch helfen?». Ich musste die Spieler in den Prozess einbeziehen. Ich bin ein Verkäufer, der seinen Spielern jeden Tag ein Produkt anbieten muss. Damit das Team in der Lage ist, deine Taktik umzusetzen, musst du zuerst eine gemeinsame Kultur und Vertrauen aufbauen.

Mit guter Laune zurück zum Erfolg. Stört Sie die Bezeichnung «Happy Bo» nicht?
Das habe ich meine ganze Karriere lang gehört. Auch als ich Spieler war. Das ist ein Teil meiner Persönlichkeit.

Bo Henriksen persönlich

Bo Henriksen (48) stammt aus der Stadt Roskilde in der Nähe von Kopenhagen. Der Stürmer wird bei Odense Profi. «Ein mittelmässiger», wie er sagt. Zu einem Meistertitel reicht es dennoch, Henriksen ist im Kader, als im Jahr 2000 mit Herfölge sensationell den einzigen Titel der Klubgeschichte holt. Ehe er ab 2006 Spielertrainer und ab 2009 Trainer wird, spielt der Däne auch in unteren englischen Ligen und sogar ein paar Monate auf den Malediven. Als Coach macht er sich bei den Kleinklubs Brönshöj und Horsens einen so guten Namen, dass ihn Topklub Midtjylland holt. Henriksen wird Cupsieger 2022, wird aber letzten August nach der verpassten Champions-League-Quali entlassen. Im Oktober übernimmt er in Zürich erstmals einen Klub im Ausland. Henriksen versteht Deutsch, antwortet aber auf Englisch. Er lebt seit Ende Dezember mit seiner Frau Christina und den zwei jüngeren der drei Söhne (6, 14 und 18 Jahre) in Cham ZG.

Bo Henriksen (48) stammt aus der Stadt Roskilde in der Nähe von Kopenhagen. Der Stürmer wird bei Odense Profi. «Ein mittelmässiger», wie er sagt. Zu einem Meistertitel reicht es dennoch, Henriksen ist im Kader, als im Jahr 2000 mit Herfölge sensationell den einzigen Titel der Klubgeschichte holt. Ehe er ab 2006 Spielertrainer und ab 2009 Trainer wird, spielt der Däne auch in unteren englischen Ligen und sogar ein paar Monate auf den Malediven. Als Coach macht er sich bei den Kleinklubs Brönshöj und Horsens einen so guten Namen, dass ihn Topklub Midtjylland holt. Henriksen wird Cupsieger 2022, wird aber letzten August nach der verpassten Champions-League-Quali entlassen. Im Oktober übernimmt er in Zürich erstmals einen Klub im Ausland. Henriksen versteht Deutsch, antwortet aber auf Englisch. Er lebt seit Ende Dezember mit seiner Frau Christina und den zwei jüngeren der drei Söhne (6, 14 und 18 Jahre) in Cham ZG.

Doch die Bezeichnung klingt, mit Verlaub, nicht nach ernsthafter Arbeit.
Die Arbeit als Trainer wird wirklich interessant, wenn du mit weniger finanziellen Mitteln als deine Gegner gewinnen musst. Du musst schlauer sein und besser arbeiten als die anderen. Das habe ich in meiner Karriere immer getan und ich glaube nicht, dass meine Erfolge nur Zufall sind. Auch wenn ich glaube, dass ich gut im Umgang mit Menschen bin, ist auch die Taktik sehr wichtig.

Doch auch hier: Happy Bo suggeriert nicht gerade den grossen Taktikfuchs.
Vor acht oder neun Jahren habe ich jeden Tag 12 oder 13 Stunden an der Taktik gearbeitet. Je mehr Spiele ich verlor, desto mehr vertiefte ich mich in meine Analysen. Aber ich habe in dieser Phase das Wichtigste aus den Augen verloren: die Spieler und die Menschen dahinter.

Sind Sie ein Menschenfänger?
Ich scheine die Gabe zu haben, Menschen zu verstehen, zu spüren, was sie denken oder wie sie sich fühlen. Ich habe das schon als Kind bei meinen Brüdern oder meiner Mutter gespürt. Das hat mir sehr geholfen. Aber es hat mich im Fussball auch viel gekostet. Vor allem als Spieler. Ich hatte Mitleid mit meinen Mitspielern, war zu wenig egoistisch. Um zu spielen, musst du ein unangenehmer Typ sein. Nach dem Meistertitel wollte der Trainer mit mir verlängern, obwohl ich nur auf der Bank sass. Doch er meinte, ich sei sehr wertvoll für die Stimmung.

Sind Sie also zu lieb für den Fussball?
Ich bin nicht blind. Ich weiss, wie diese Welt funktioniert. Ich bin Trainer geworden, um vor allem mir selbst zu zeigen, dass du gewinnen kannst, wenn du die Menschen gut behandelst. Zudem kommt noch etwas dazu.

Was meinen Sie?
Die Fussballwelt wird immer besser. Als ich vor 20 Jahren noch Spieler war, war es ein sehr hartes Umfeld. Wenn man mich bat, zu springen, sprang ich. Heute wollen die Spieler zuerst den Grund für den Sprung wissen. Das ist in Ordnung. Aber du musst bereit sein, ihnen Antworten zu liefern.

Ihr Landsmann Flemming Pedersen ist auch Trainer. Er sagte in einem Interview, dass es besser sei, eine für die Spieler verständliche Taktik zu haben, als ein geniales taktisches Schema, das sie aber überfordert.
Das ist genau der Punkt. Sie müssen in der Lage sein, an mich und meinen Spielplan zu glauben. Sonst ist alles im Eimer. Aber das musste ich auch lernen.

Wie lief dieser Prozess ab?
Zu Beginn meiner Karriere war der Sechser meines Teams ein Schlüsselspieler. Einmal machten wir eine Übung. Ich bat ihn, zwei Seiten darüber zu schreiben, was ich von ihm erwartete und wie er spielen sollte. Auch ich schrieb meine Gedanken auf. Am Ende waren die beiden Texte völlig unterschiedlich. Dabei hatte ich ihn schon drei Jahre lang trainiert. Mir wurde klar, dass ich meine Art, Ideen zu vermitteln, ändern musste. Die Vermittlung ist der Schlüssel, wenn du eine Gruppe führst. Du musst klar sein, aber auch zeigen, dass du an sie glaubst und sie liebst.

Doch was hilft die ganze Liebe, wenn ein früherer FCZ-Stammspieler wie Mirlind Kryeziu nur noch auf der Bank sitzt?
Es braucht Klarheit und Offenheit. Wie jeder andere Mensch auch, erwartet er, dass man ihm die Wahrheit sagt. Du musst ihm sagen, wenn andere in bestimmten Bereichen des Spiels besser sind, und ihm zeigen, wie er sich verbessern kann.

Das ist für einen Spieler aber nicht einfach zu hören?
Nein, aber du musst ehrlich sein. Ich versuche, so menschlich und verständlich wie möglich zu sein. Wenn du anfängst, ihm Blödsinn zu erzählen, verlierst du ihn. Vertrauen ist in jeder menschlichen Beziehung wichtig. Du musst konsequent und transparent sein.

Sie erwähnen oft die Kindheit als Beispiel. Warum?
Jeder Junior sagt, dass er mal wie Ronaldo oder Messi werden will. Mit zwölf Jahren haben sie keine Angst davor, grosse Träume zu haben. Dann nehmen die Erwachsenen ihnen diese Träume weg. Das ist verrückt.

Ist es nicht einfach die Realität, dass man eben nicht Ronaldo wird?
Man will den Kindern die Enttäuschung ersparen, wenn sie ihre übergrossen Ziele nicht erreichen. Aber ich mag keinen Durchschnitt und keine lauwarmen Ambitionen. Ich rede aus eigener Erfahrung. Als Spieler war ich durchschnittlich. Ich traute mich nicht zu sagen, dass ich der Beste sein wollte. Heute als Trainer will ich mehr. Ich möchte den Spielern diese Fähigkeit vermitteln, an sich selbst zu glauben. Es ist egal, was andere sagen. Ich glaube, das ist der Grund, warum meine Mannschaften bis jetzt so gut abgeschnitten haben.

Sie setzen auf die Kommunikation. Haben Sie sich in diesem Bereich auch fortgebildet?
Ja, es ist enorm spannend, sich in Details zu vertiefen. Ich tausche mich regelmässig mit einem Professor für Kommunikation an der Uni Aarhus aus. Wir wollten zusammen ein Buch herausbringen. Doch dann habe ich beim FC Zürich unterschrieben.

In Leeds forderte Trainer Marcelo Bielsa seine Spieler auf, Müll zu sammeln, um den Wert einer Eintrittskarte für die mittellosen Fans zu verstehen. Wäre das auch was für Sie?
Ich hatte in Zürich noch keine Zeit, solche Dinge zu tun. Denn dafür muss man zuerst ein Verständnis für die Gesellschaft am Arbeitsort entwickeln. Als ich meine Trainerkarriere in Brönshöj begonnen habe, habe ich mich in diesem Bereich engagiert.

Erzählen Sie.
Brönshöj ist bei Weitem das schwierigste Viertel in Kopenhagen. Sogar ein Ghetto. Dreimal in der Woche gingen wir in die Schulen, um Kinder zu trainieren und ihnen Sportunterricht zu geben. Die Spieler wechselten sich ab. Viele der Schüler stammten aus dem Ausland und hatten Mühe mit dem Schulstoff. Unser Sportunterricht hat ihnen gezeigt, dass sie keine Versager sind. Die Botschaft an meine Spieler war auch, dass der Verein zu einer sozialen Gemeinschaft gehört, die grösser ist als der Fussball.

Wollen Sie Ihre Spieler zu besseren Menschen machen?
Genau so ist es. Solche Erfahrungen holen die Spieler aus ihrer Blase heraus. Denn im Fussball sind wir privilegiert. Wenn ich das Leben von einem oder zwei Menschen verändern konnte, dann ist das alles, was am Ende zählt.

Mehr als sportliche Erfolge?
Zu hundert Prozent. Eine meiner schönsten Erinnerungen als Trainer ist der Austausch mit einem Zehnjährigen in einem Fussballcamp. Er war überzeugt, dass er ein schlechter Spieler sei. Ich habe ihm klargemacht, dass es nicht schlimm ist, einen Fehler zu machen, dass er sein Bestes geben und Spass haben soll. Er brach in Tränen aus. Aber dann schaffte er es, ohne Druck zu spielen und Spass zu haben.

Dieses Kind ist Christian Eriksen?
(lacht) Dann wäre es eine verrückte Story, nicht? Nein, ich bezweifle stark, dass aus ihm ein Profi wurde. Aber darum geht es nicht. Sondern darum, dass er wieder glücklich war.

Erziehen Sie auf diese Weise auch Ihre eigenen Kinder?
Auf jeden Fall. Da erlebe ich aber auch, dass es keine einfache Arbeit ist. Man muss immer dranbleiben. Mit unserem Sechsjährigen habe ich kürzlich Fussball gespielt. Doch er hat sich immer wieder auf den Boden gelegt und meinte, ihm tue das Bein weh. Da gab ich vor, zu einem Meeting zu müssen und habe ihn hinter den Büschen beobachtet. Da spielte er plötzlich Fussball, als ob es kein Morgen gäbe.

Was schliessen Sie daraus?
Es war der Druck. Er wollte mir unbedingt zeigen, was er kann und hat dabei die Unbeschwertheit verloren. Ich sage ihm jeden Tag: Hab einfach Spass, lass dich nicht verrückt machen. Aber es ist menschlich, dass es nicht immer funktioniert. Vor allem bei einem Sechsjährigen.

Wo leben Sie mit Ihrer Familie?
Als ich nach Zürich kam, lebte ich zunächst im Zentrum. Es war fantastisch, den Puls der Stadt zu spüren. Doch seit meine Familie hier ist, wohnen wir in Cham. Meine Frau und zwei unserer drei Kinder sind zu mir gezogen. Meine Frau hatte in Dänemark einen sehr guten Job im Personalwesen. Nun hat sie eine Karrierepause eingelegt, aber sie will ab Sommer in der Schweiz wieder arbeiten. Die Kinder besuchen eine Internationale Schule. Der Kleine spielt bei den Letzikids Fussball, deshalb spricht er schon besser Deutsch als ich.

Wie reagiert Ihr Sechsjähriger, wenn er Sie am TV durch die Coachingzone toben sieht?
Ich weiss nicht, ich bin ja nie dabei (lacht). Aber mir ist bewusst, dass er bei mir auch Wörter hört, die er vielleicht noch nicht hören sollte. Er sagt mir dann: Das habe ich von dir gelernt. Ich entgegne: Das hast du doch sicher vom älteren Bruder (lacht). Ich muss schon aufpassen, was ich sage, denn er schnappt alles auf.

Ihre Familie hatte aber schon vor dem FCZ einen Bezug zur Schweiz?
Meine dänische Tante hat einen Schweizer geheiratet und lebt in Neunforn im Kanton Thurgau. Wir haben sie früher oft in den Ferien besucht und sind an den Bodensee gefahren. Ich liebe die Schweiz seit vielen Jahren. Mehrere meiner Cousins sind hier aufgewachsen. Dass wir Verwandte in der Schweiz haben, mag bei meiner Entscheidung für den FCZ eine Rolle gespielt haben. Ich wollte mit meiner Familie in eine angenehme Umgebung ziehen. In der Schweiz ist vom Gesundheitssystem bis zur Natur alles perfekt. Es ist ein bisschen wie in Dänemark.

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