Nach ungefähr zwei Saisondritteln sah es zappenduster aus für die Gelbschwarzen. YB war im Sinkflug, während Servette und Lugano klare Tendenz nach oben zeigten. Supertalent Fabian Rieder war weg. Publikumsliebling und Goalgetter Jean-Pierre Nsame hatte sich mit Nebengeräuschen vom Acker gemacht. Der wuchtige und nimmermüde Flankengott Ulisses Garcia war nach Marseille gezogen. Donat Rrudhani, der erstmals für YB seine Klasse hatte aufblitzen lassen, war an Lausanne ausgeliehen worden. Viele Leistungsträger waren verletzt. Und erstmals seit Jahren war sogar leise Kritik an der sportlichen Führung zu vernehmen.
Hatte man die zahlreichen Abgänge in dieser Saison nicht gleichwertig ersetzt? Hatte man im Winter zu leichtfertig Spieler verkauft? Hat man zu lange an Trainer Raphael Wicky festgehalten?
Nur noch Strenggläubige und Blindverliebte
Für einen Moment sah es aus, als gehe alles den Bach runter. Gegen Sporting Lissabon waren die Berner sang- und klanglos aus der Europa League ausgeschieden. Gegen das unterklassige Sion stolperten sie im Cup. Vorbei schienen die Zeiten, als YB für jeden Spieler einen gleichwertigen Ersatz auf der Bank hatte. Und vorbei schien die Zeit, in der YB jeden Rückstand mit Tempo, Wucht und Wille in einen Vorsprung drehen konnte.
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Nur strenggläubige oder blindverliebte YB-Fans hätten in jenen Wochen auf diesen Meistertitel gewettet.
Dann kam der «Un hombre de la casa»
Aber dann kam die Lösung, die in Spanien jeweils mit dem Begriff «Un hombre de la casa» umschrieben wird. «Un hombre de la casa» heisst wörtlich: ein Mann aus dem Haus. Gemeint ist ein Cheftrainer, den man nicht auswärts gesucht, sondern klubintern befördert hat. Gemeint ist aber auch einer, der bereit ist, nötigenfalls nach dem Feuerwehreinsatz wieder ins zweite Glied zu rücken. Der «Hombere de la casa» muss fachlich gut sein, er muss kurzfristig Wirkung erzielen, er muss vollkommen loyal zum Club sein und er muss seine persönlichen Ambitionen hinter jene der Mannschaft stellen.
So einen Mann gibt es nicht überall. Aber im Wankdorf stand einer bereit, der es packte: Joël Magnin war schon über dreissig, als er 2002 erstmals für die Young Boys auflief. Er spielte für YB noch vier Jahre auf hohem Niveau und übernahm nach seiner Karriere Verantwortung als Trainer der U21. Abgesehen von einem kurzen Unterbruch ist Magnin schon seit über zwanzig Jahren in Bern. Mehr «Hombre de la casa» geht fast nicht. Magnin spricht perfekt Deutsch. Französisch ist seine Muttersprache. Ohne diese beiden Sprachen zu beherrschen, kann ein Trainer bei YB nichts reissen.
Ganz offensichtlich hat Magnin nicht bloss die Sprache, sondern auch den Ton getroffen. Nachdem er an der Seitenlinie übernommen hatte, konnte beim Patienten YB die Blutung gestoppt werden, nicht sofort zwar, aber schnell genug.
Das Momentum wundersam zurückgeholt
Für mich als Fan gleicht die Wiederauferstehung der Young Boys gegen Ende dieser Saison einem kleinen Wunder. Im Eishockey redet man gerne vom Momentum. Das Momentum ist der Flow, den eine Mannschaft zu einer bestimmten Zeit hat oder nicht hat.
Wer das Momentum hat, gibt es nicht mehr her. Wer das Momentum nicht hat, kann es kaum mehr zurückgewinnen. Ganz anders lief es diese Saison bei den Gelbschwarzen. Sie hatten das Momentum aus der Hand gegeben und es dann auf beinahe wundersame Weise zurückgeholt.
Eigentlich müsste YB Eintracht YB heissen
Aber wie war es möglich, den Abwärtstrend rechtzeitig zu stoppen, ohne zunächst in panischen Aktivismus zu verfallen? Dafür gibt es mehrere Gründe. Zunächst ist es die bereits erwähnte, erstmals kritisierte Chefetage um Sportvorstand Christoph Spycher und Sportchef Steve von Bergen. Sie vollzogen den Trainerwechsel nicht sofort, aber trotzdem rechtzeitig. Sie hatten eine glückliche Hand bei der Wahl des Interim-Trainers. Aber vor allem blieben sie nach aussen unaufgeregt.
In jedem andern Klub hätten die sportlichen Probleme zu Streitereien geführt, die öffentlich oder halböffentlich ausgetragen worden wären. Bei YB war kein Wort der Disharmonie zu vernehmen. Wir dürfen vermuten, dass es in der Chefetage auch heftige Diskussionen gegeben hat. Aber nichts davon drang nach aussen. Eigentlich müssten die Young Boys den Namenszusatz «Eintracht» tragen. Kein Gerücht drang nach aussen. Selbst beim offensichtlichen Streit zwischen Goalgetter Nsame und dem Verein blieben die Arbeitgeber (anders als der Spieler) immer diskret und höflich.
Wie ein Film mit Hänger und doch noch Happy End
Seit 2018 ist YB sechs Mal Schweizermeister und zwei Mal Cupsieger geworden. Mein sechsjähriger Sohn hat sechsmal mehr Meistertitel miterlebt, als ich in meinen ersten fünf Lebensjahrzehnten. Aber wenn mein Sohn und ich dereinst an die goldenen YB-Jahre zurückdenken werden, wird uns der Meistertitel der Saison 2023/2024 als etwas ganz Besonderes in Erinnerung bleiben.
Dieser Titel ist wie ein wertvolles Schmuckstück, das man verloren zu haben glaubte und dann doch wieder fand. Und er ist wie ein Film, der in der Mitte einen Hänger hat, aber dann doch noch zu einem berührenden Happy End kommt.
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | FC Zürich | 14 | 7 | 26 | |
2 | FC Basel | 14 | 20 | 25 | |
3 | FC Lugano | 14 | 6 | 25 | |
4 | Servette FC | 14 | 2 | 25 | |
5 | FC Luzern | 14 | 4 | 22 | |
6 | FC St. Gallen | 14 | 6 | 20 | |
7 | FC Lausanne-Sport | 14 | 2 | 20 | |
8 | FC Sion | 14 | 0 | 17 | |
9 | BSC Young Boys | 14 | -5 | 16 | |
10 | Yverdon Sport FC | 14 | -10 | 15 | |
11 | FC Winterthur | 14 | -21 | 11 | |
12 | Grasshopper Club Zürich | 14 | -11 | 9 |