Im Rahmen eines Trainerlehrgangs treffen sich Hansi Flick, Ralf Rangnick und Murat Yakin am Dienstag auf dem DFB-Campus in Frankfurt. Die Nationaltrainer von Deutschland, Österreich und der Schweiz diskutieren im Beisein von Absolventen des Uefa-Pro-Diploms aller drei Länder zum Thema Analyse und Matchplan.
Davor trifft Blick Yakin noch am Main auf einen Kaffee und redet mit ihm unter anderem über Kritik rund um das 1:6 gegen Portugal, Rücktrittsforderungen, den Röstigraben, die Captain-Debatte um Xhaka, die anstehende EM-Quali und Shaqiris Nati-Zukunft.
Murat Yakin, wie oft werden Sie von der Bevölkerung noch auf die WM angesprochen?
Murat Yakin: Schon noch sehr oft.
Was bekommen Sie mehr, Lob für die starke Gruppenphase oder Kritik für das 1:6 gegen Portugal?
95 Prozent der Menschen äussern sich positiv. Sie sind glücklich, was wir letztes Jahr geleistet haben. Es gibt aber auch kritische Rückmeldungen oder dumme Sprüche. Kürzlich wollte mir beim Coiffeur ein Mann den Fussball erklären. Er wollte nicht mehr aufhören, zu kritisieren.
Wie reagieren Sie auf so was?
Ich sagte meinem Coiffeur, dass ich dem Herrn gerne den nächsten Haarschnitt bezahle. Er solle ihm dann einfach eine Glatze rasieren (lacht). Ich nehme es sportlich.
Nach der Pleite im Achtelfinal setzte es auch von vielen Experten und Journalisten Kritik ab. In der französischsprachigen Schweiz forderten einige gar Ihren Rauswurf. Gehen Sie auch damit locker um?
Das habe ich gar nicht mitgekriegt
Echt jetzt?
Ja, zumindest bis mich Adrian (Medienchef Adrian Arnold; die Red.) darauf hingewiesen hat.
Und?
Was soll ich dazu sagen? Kritik gehört zu unserem Beruf. Und ich kann es ja nicht ändern.
Ihnen wurde vorgeworfen, dass Sie lieber ohne zweiten Rechtsverteidiger nach Katar geflogen sind, als die Genfer Lotomba oder Mbabu mitzunehmen. Was sagen Sie dazu?
Erstens haben Jordan und Kevin bis vor der WM nicht oder aus meiner Sicht nicht gut genug gespielt. Zweitens stimmt auch nicht, dass wir keinen Ersatz für Widmer dabei hatten: Edimilson spielte bei Mainz ein paarmal auf dieser Position – und zwar überzeugend. Und auch Cömert kann rechts hinten spielen.
Dass Sie im ersten Spiel gegen Kamerun FCB-Reservist Frei und nicht den Genfer Zakaria, der bei Chelsea ist, einwechselten.
Diese Kritik kann ich zu einem gewissen Grad nachvollziehen. Man vergisst dabei aber, dass Zak bis kurz vor der WM wochenlang keine Spielpraxis hatte. Er war noch lange nicht in der Form der Vorsaison.
Öffnet sich unter Ihnen der Rösti-Graben wieder?
Ich habe nicht das Gefühl, dass ich dafür Argumente liefere. Einzig vielleicht, dass ich nicht so gut Französisch spreche. Ich biete die Besten auf – egal, wie sie heissen oder woher sie kommen. Für mich zählen Momentum, Spielpraxis und Teamfähigkeit. So war ich immer.
Nach dem 1:6 haben sogar einige Spieler Ihre taktische Umstellung auf Dreierkette kritisiert. Haris Seferovic zum Beispiel.
Drei, vier Tage nach dem Aus hat mir Haris eine Nachricht geschickt. Er hat geschrieben, dass er die Polemik, die er ausgelöst habe, nicht verstehen würde und dass er es nicht so gemeint habe. Wahrscheinlich hat er sich unglücklich ausgedrückt.
Shaqiri wollte vom Systemwechsel gar nichts gewusst haben, obwohl er im Mannschaftsrat ist. Hat er bei der Sitzung geschlafen?
Ich habe mich zuerst mit Akanji und den Defensivspielern, dann mit Freuler und Sow ausgetauscht, und erst dann den Rest des Teams involviert. Die offensiven Spieler, wie Shaq, waren im ersten Umgang nicht involviert. Auf dem Rückflug habe ich mich mit Shaq lange unterhalten.
Nehmen Sie den Spielern die Kritik übel?
Nein, ganz und gar nicht. Ich hätte ja nach der Niederlage auf dem Platz alle Spieler zusammennehmen und den Spielern eintrichtern können, gegen aussen positiv zu bleiben. Doch soll man das machen? Direkt nach einem 1:6 sind Sportler aufgewühlt, sauer, emotional, sie werden kritisch gefragt und suchen Erklärungen. Das ist normal. Für mich ist das okay. Ich scheide lieber mit einer Ohrfeige aus, als im Penaltyschiessen. So wird zwar mehr kritisiert, dafür aber auch genauer hingesehen und analysiert.
Zu welchem Schluss ist man gekommen?
Dass wir mit diesen Spielern an diesem Tag nicht gegen ein sehr starkes Portugal gewinnen konnten – egal in welchem System. Es war uns nicht möglich, die dazu nötige Intensität und Laufleistung zu bringen. Das sieht man auch an der Laufstatistik des Spiels: Wir sind zehn Kilometer weniger gelaufen als die Portugiesen. Das ist eine riesige Differenz. Das ist so, als hätte Portugal mit einem Mann mehr gespielt. Wir sind nicht in die Zweikämpfe gekommen.
Fehlte den Spielern wie schon vor vier Jahren nach dem hitzigen Spiel gegen Serbien die Energie für Achtelfinal?
Nein, ich kann den Spielern keinen Vorwurf machen. Natürlich haben die Spiele gegen Kamerun und Brasilien körperlich viel Energie gekostet, gegen Serbien kam noch das ganze Drumherum dazu. Das hat erneut sehr viel Kraft gekostet. Bis zu diesem Spiel ist alles wie geplant und perfekt gelaufen. In den Tagen danach war’s nicht mehr dasselbe. Danach war ein bisschen die Luft weg. Aber die Gründe liegen woanders.
Wo?
Wir hatten etwa zehn Spieler, welche in Katar mit einer Grippe zu kämpfen hatten. Yann Sommer, Fabian Schär, Nico Elvedi und Silvan Widmer hatten zeitweise sehr starke Symptome. Ich werfe mir vor, dass ich da zu wenig konsequent war. Ich hätte sie alle schützen müssen.
Das heisst: Könnten Sie die Uhr zurückdrehen, würden Sommer und Schär gegen Portugal nicht mehr spielen?
Ja. Schär war nach 20 Minuten platt, Sommer litt davor vier Tage an einer Grippe. Dass sie spielen wollten und deshalb grünes Licht gegeben haben, ist nachvollziehbar. Welcher Fussballer will nicht an einem WM-Achtelfinal auf dem Platz stehen? Den Spielern mache ich keinen Vorwurf.
Wem dann?
Am Ende des Tages mir selbst. Ich habe die Aufstellung gemacht. In diesem Fall hat aber auch die Kommunikation unter uns nicht optimal gepasst. Ich hatte zu wenig Daten, detaillierte Informationen und Zeit. Es war alles sehr hektisch an diesem Tag. Widmer musste am Morgen Forfait erklären, zu viel hat sich auf ihn konzentriert.
Elvedi, der nicht zum Einsatz kam, meinte nach Spielschluss, er wäre fit gewesen.
Da mache ich ihm keinen Vorwurf. Das war seine Wahrnehmung, aber er war nicht fit. Am Vorabend war er noch schlapp. Er und Schär haben das Abschlusstraining nur etwa zu einem Viertel mitgemacht. Ich habe mich dann für Schär entschieden, weil er weniger lange ausgefallen war. Dann ist Schär in der Pause beim Massagetisch quasi zusammengeklappt, hatte Mühe mit atmen. Da ist es doch klar, dass wir Nico nicht einwechseln können.
Nach der WM wurde auch die Diskussion ums Captain-Amt losgetreten: Bleibt Xhaka nach seinen Provokation gegen Serbien weiterhin Nati-Captain?
Ich will hier klarstellen, dass Granit unser Captain ist und sein wird. Es gibt keinen anderen. Er ist der richtige Captain und geht teamintern und auf dem Platz als Leader voran. Die Mitspieler vertrauen ihm und schützen ihn. Völlig zu Recht. Da gibt’s keine Diskussion.
Die gibt es doch. Viele sind der Meinung, dass Xhaka als Nati-Captain untragbar geworden ist. Allen voran SRF-Kommentator Sascha Ruefer hat sich dazu mehrmals pointiert geäussert.
Ruefers Kritik geht mir zu weit. Ich werte sie auch als Angriff auf mich, weil ich entscheide, wer unser Captain ist. Es ist gut, dass nicht er als Kommentator bestimmen kann, wer Captain der Nati ist. Und es auch gut, dass ich nicht als Nati-Trainer bestimmen kann, wer unsere Spiele beim Schweizer Fernsehen kommentieren soll.
Fordern Sie jetzt, dass man Ruefer das Mikrofon wegnimmt?
Nein, das ist nicht meine Aufgabe. Aber ich lasse mir nicht vorschreiben, wen ich zum Captain bestimmen soll. Das würde zu weit gehen.
Bleiben wir bei Xhaka: Da sensibilisiert man ein halbes Jahr alle auf dieses Serbien-Spiel. Und doch kann er es wieder nicht lassen.
Der Fokus der Öffentlichkeit liegt auf diesen Aktionen. Aber wir haben Granit vier Wochen lang täglich um uns und sehen, wie er das Team führt, wie er als Leader vorangeht. Er ist ein Typ, ein Charakter. Das gewichte ich stärker, als dass er in einzelnen Situationen emotional handelt. Wegen solchen Spielern wie Xhaka geht man ins Stadion. Wegen solchen Spielern habt ihr Journalisten so viel zu schreiben und zu berichten. Wegen solchen Spielern bin ich auch gerne Trainer. Auch wenn sie mich konstant fordern, solche Spieler reizen mich. Ich weiss, wovon ich rede: Hakan ist seit 44 Jahren mein Bruder (lacht).
Im März geht’s mit der EM-Quali los: Wird Xherdan Shaqiri gegen Weissrussland und Israel dabei sein?
Shaq war an der WM an all unseren Toren beteiligt. Als ich ihn gegen Serbien ausgewechselt habe, war er richtig sauer. Genau so soll es sein. Shaq hat gezeigt, dass er keine Spielpraxis braucht, um zu liefern. Er ist bereit, wenn grosse Spiele anstehen. Über Shaq müssen wir nicht diskutieren: Ist er fit, ist er sehr wertvoll für uns.
Wie siehts bei Fabian Frei aus?
Er war ein erfrischendes Element, mit seiner positiven Art, immer mit Freude bei der Sache. Er war sehr wichtig für uns. Jetzt hat sich zuletzt auch seine Rolle beim FCB wieder geändert, er ist nochmals athletischer und fitter geworden, spielt wieder regelmässig. Ganz allgemein gilt: Es wird eine neue Kampagne, bis im März kann viel passieren. Die Türe zur Nati ist offen. Die Spieler müssen sich aufdrängen. Sie haben es ein stückweit selbst in den Füssen, ob sie dabei sind. Wie gesagt: Bei mir gelten Momentum und Spielpraxis.
Die Ausgangslage ist für die EM-Quali eine andere: Die Schweiz ist der grosse Gruppenfavorit.
Stimmt. In dieser Gruppe sind wir die Gejagten. Bisher hatten wir immer einen Gegner vor der Nase. Nun qualifizieren sich Platz eins und zwei direkt für die EM. Wir haben mit Sicherheit die Qualität dafür.
Eine EM-Quali ist Pflicht. Eigentlich können Sie deshalb in den nächsten eineinhalb Jahren nur verlieren.
Deshalb müssen wir auch neue Anreize schaffen: Wir müssen fit sein und Konkurrenzsituationen kreieren. 50 bis 100 Länderspiele dürfen nicht für Einsätze garantieren, die Jungen sollen Druck machen. Auch darum haben wir Spieler wie Rieder oder Jashari schon an die WM mitgenommen. Und auch ich muss mich weiterentwickeln. Ich kann noch detaillierter im taktischen Bereich mit den Spielern arbeiten. Die Zeit des Beschnupperns und Kennenlernen ist nun vorbei.
Werden Sie das System in Spielen wie gegen Kosovo, Weissrussland, Andorra, Rumänien und Israel dem Gegner anpassen?
Nein. Wir wollen der Favoritenrolle gerecht werden, ich werde kein System für einen Gegner umstellen. Was aber nicht heisst, dass wir nicht die Spieler haben, die in verschiedenen Formationen spielen können.
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Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | Portugal | 4 | 4 | 10 | |
2 | Kroatien | 4 | 1 | 7 | |
3 | Polen | 4 | -2 | 4 | |
4 | Schottland | 4 | -3 | 1 |
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | Italien | 5 | 7 | 13 | |
2 | Frankreich | 5 | 4 | 10 | |
3 | Belgien | 5 | -2 | 4 | |
4 | Israel | 5 | -9 | 1 |
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | Deutschland | 4 | 7 | 10 | |
2 | Niederlande | 4 | 2 | 5 | |
3 | Ungarn | 4 | -3 | 5 | |
4 | Bosnien und Herzegowina | 4 | -6 | 1 |
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | Spanien | 4 | 7 | 10 | |
2 | Dänemark | 4 | 3 | 7 | |
3 | Serbien | 4 | -3 | 4 | |
4 | Schweiz | 4 | -7 | 1 |
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | Tschechien | 4 | 0 | 7 | |
2 | Georgien | 4 | 2 | 6 | |
3 | Albanien | 4 | -1 | 6 | |
4 | Ukraine | 4 | -1 | 4 |
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | England | 5 | 8 | 12 | |
2 | Griechenland | 5 | 5 | 12 | |
3 | Irland | 5 | -4 | 6 | |
4 | Finnland | 5 | -9 | 0 |
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | Österreich | 5 | 9 | 10 | |
2 | Norwegen | 5 | 3 | 10 | |
3 | Slowenien | 5 | -2 | 7 | |
4 | Kasachstan | 5 | -10 | 1 |
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | Türkei | 4 | 5 | 10 | |
2 | Wales | 4 | 2 | 8 | |
3 | Island | 4 | -2 | 4 | |
4 | Montenegro | 4 | -5 | 0 |
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | Schweden | 4 | 8 | 10 | |
2 | Slowakei | 4 | 5 | 10 | |
3 | Estland | 4 | -5 | 3 | |
4 | Aserbaidschan | 4 | -8 | 0 |
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | Rumänien | 4 | 9 | 12 | |
2 | Kosovo | 4 | 5 | 9 | |
3 | Zypern | 4 | -9 | 3 | |
4 | Litauen | 4 | -5 | 0 |
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | Nordirland | 4 | 6 | 7 | |
2 | Belarus | 4 | 1 | 6 | |
3 | Bulgarien | 4 | -4 | 5 | |
4 | Luxemburg | 4 | -3 | 2 |
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | Nordmazedonien | 5 | 8 | 13 | |
2 | Färöer | 5 | 0 | 6 | |
3 | Armenien | 5 | -2 | 4 | |
4 | Lettland | 5 | -6 | 4 |
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | Gibraltar | 3 | 1 | 5 | |
2 | San Marino | 2 | 0 | 3 | |
3 | Liechtenstein | 3 | -1 | 2 |
Mannschaft | SP | TD | PT | ||
---|---|---|---|---|---|
1 | Moldawien | 3 | 3 | 6 | |
2 | Malta | 3 | 0 | 6 | |
3 | Andorra | 2 | -3 | 0 |