UdSSR-Stürmerlegende Oleg Protassow leidet in Kiew
«Putin führt Russland in die Sowjetherrschaft zurück»

Oleg Protassow ist eine Fussball-Legende der UdSSR. Heute ist er 58 und Vize-Präsident des ukrainischen Fussball-Verbands. Nun sitzt er in Kiew, mitten im Krieg.
Publiziert: 03.03.2022 um 18:00 Uhr
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Oleg Protassow sitzt derzeit vor den Toren von Kiew fest.
Foto: imago images/ANE Edition
Interview: Dimitrios Dimoulas

Als Spieler erzielt Oleg Protassow Tore am Fliessband für seinen Heimatverein Dnjepr Dnjepropetrowsk. Über Jahre spielt er in der grossen Mannschaft der UdSSR, die Ende der 1980er Jahre unter Trainer Valeri Lobanowski 1988 den EM-Final gegen Holland verliert. Heute ist der 58-Jährige Vizepräsident des ukrainischen Fussballverbands. Das Interview wird immer wieder unterbrochen, die Leitung nach Kiew ist nicht stabil.

Oleg, selten war eine triviale Frage berechtigter: Wie geht es Ihnen?
Oleg Protassow: Gemessen an den Umständen relativ gut. Wir sind wohlauf und verfolgen auf verschiedenen Informationskanälen das Kriegstreiben der Russen. Es schlagen immer wieder Bomben und Raketen in unmittelbarer Nähe ein. Zwischenzeitlich hatten wir für mehrere Stunden keinen Strom und kein Internet. Aber im Moment läuft beides wieder, bis zur nächsten Unterbrechung.

Wo harren Sie aus?
Ich habe meine Wohnung im Stadtkern von Kiew verlassen. Sie befindet sich im 14. Stock eines Baukomplexes , was nicht gerade sicherheitsfördernd ist. Immer, wenn die Alarmsirenen heulen, müssen die Bewohner ihre Wohnung verlassen und sich in den Keller begeben, was ohne Aufzug auf Dauer unzumutbar ist. Deshalb wohne ich nun bei meinem Freund und alten Teamkameraden, Gennadi Lytowtschenko in seinem Haus vor den Toren Kiews.

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Sie sind in der ehemaligen Sowjetunion geboren und sozialisiert worden. Hätten Sie je erwartet, dass das russische Brudervolk Ihre Heimat überfällt?
Sicherlich nicht! Auch als die Anzeichen auf Invasion standen, nachdem sich die russischen Truppen an der ukrainischen Grenze zu vermeintlichen Manövern aufgestellt haben, habe ich nicht damit gerechnet, dass dieser Mensch zu diesem Schritt bereit wäre.

Wir befinden uns bereits im achten Tag der Kriegshandlungen, bei denen das ukrainische Volk einen grossen Widerstand leistet. Kann es sein, dass sich Wladimir Putin mit dieser Operation verrechnet hat?
Putin wollte einen Blitzkrieg führen, aber er hat uns unterschätzt. Anscheinend beabsichtigt er die Wiederherstellung der Sowjetunion, weil er mit dem Status quo nicht zufrieden ist. Ich meine jedoch, dass er durch seinen unüberlegten und zynischem Aktionismus das russische Volk zurück zu den düsteren Zeiten der Sowjetherrschaft führen wird. Ferner hat die russische Aggression dazu beigetragen, dass das ukrainische Volk zu einer geballten Einheit geworden ist, die gewillt und bereit ist, ihre Heimat aufopferungsvoll bis zum letzten Atemzug zu verteidigen.

Allen voran der Staatspräsident, Wolodimir Selenski.
Er gibt als Staatsoberhaupt ein gutes Bild ab und erweist sich als vorbildlicher Patriot. Man darf nicht vergessen, dass die Amerikaner ihm angeboten hatten, ihn ausser Land zu bringen, was er kategorisch abgelehnt hat.

Sind Sie von der anfangs zögerlichen Haltung des Westens gegenüber Ihrem Land enttäuscht, zumal alle Appelle auf Waffenlieferungen in den Sand verlaufen sind?
Es ist nicht die Stunde für Schuldzuweisungen. Ich empfinde, dass mittlerweile Solidaritätsbekundungen und Hilfeleistungen von der ganzen Welt zu uns gelangen, sei es in Form von Militärausrüstung oder Sachleistungen. Letztendlich haben wir uns diesen Respekt und diese Solidarität mit unserer aufopfernden Haltung verdient. Insofern möchte ich auch meine persönliche Dankbarkeit hier zum Ausdruck bringen. Ausserdem möchte ich auch die Initiative unserer im Ausland spielenden Nationalspieler hervorheben, die mit einem Spendenaufruf eine halbe Million Euro für die ukrainische Armee gesammelt haben.

Teilen Sie die Ansicht vieler Kriegsexperten und Analysten, dass jeder weitere Tag von Auseinandersetzungen sich eher kontraproduktiv auf die Pläne der russischen Kriegsmaschinerie auswirkt?
Es klingt plausibel und die bisherige Entwicklung entspricht, wie bereits erwähnt, nicht den Erwartungen von Putin, der seinen riesigen Militärapparat in Bewegung gesetzt hat. Nichtsdestotrotz ist es ein positives Signal, dass auf diplomatischem Parkett weiterverhandelt wird, was einen Hoffnungsschimmer darstellt.

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Die Fifa und die Uefa haben die russische Nationalmannschaft und die russischen Teams von allen internationalen Wettbewerben ausgeschlossen. Ist es eine kleine Genugtuung für Sie?
Ich meine, dass dieser Schritt alternativlos gewesen ist. Es wäre unvorstellbar, dass unter diesen Bedingungen ein russisches Team ein Spiel bestreiten würde. Ausserdem gibt es den Präzedenzfall Jugoslawien vor dreissig Jahren. Insofern war diese Sanktionierung ein logischer Schritt, trotz der allseits bekannten Sympathiebekundungen von Infantino für Putin.

Die ukrainische Nationalmannschaft soll am 24. März zum WM-Qualifikations Play-off Spiel in Schottland antreten. Glauben Sie, dass die Partie ausgetragen werden kann?
Momentan ist es etwas abwegig einen Gedanken daran zu verlieren, zumal unser Fokus auf ganz anderen Sachen liegt. Sobald die Waffen ruhen, werden wir uns mit diesem Thema beschäftigen. Es sei denn, dass die Fifa ein Zeitfenster aufmacht und das Spiel eventuell verschiebt.

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