Übrigens – die SonntagsBlick-Kolumne
Tante Käthe hat fertig

Mit Rudi Völler tritt eine der ganz grossen Figuren in den Ruhestand. Die Kolumne von Reporter Felix Bingesser.
Publiziert: 08.05.2022 um 19:17 Uhr
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Aktualisiert: 15.05.2022 um 13:54 Uhr
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Blick-Reporter Felix Bingesser schreibt die SonntagsBlick-Kolumne Übrigens.
Foto: Thomas Meier
Felix Bingesser

Fast jeder hat irgendwo eine Tante. Es gibt auch Klatschtanten und Basteltanten. Die einen sagen zur Tante auch Tanti. In Italien reden alle von ihrem Tanti Auguri.

Es gibt auch Tanten, die stehen unangemeldet plötzlich vor der Tür. Das sind dann die Tanten ante Portas.

Es gibt unendlich viele Tanten. Aber es gibt nur eine wahre Tante. Die Tante aller Tanten sozusagen.

Und das ist Tante Käthe.

Geboren am 13. April 1960 in Hanau und getauft auf den Namen Rudi. Rudi Völler. Er hat bei Hanau das Fussball-ABC gelernt und danach eine Karriere gemacht, die weit über Deutschland und Europa hinaus grosse Spuren hinterlassen hat.

1860 München, Werder Bremen, AS Rom und Champions-League-Sieger mit Olympique Marseille. Tore hat er am laufenden Band erzielt. Da, wo er war, ist er zur Legende geworden. In Rom hat der Vater von vier Kindern seine zweite Frau gefunden.

Für das Nationalteam hat er in 90 Spielen 47 Mal getroffen und ist 1990 Weltmeister geworden. Im Final hat er den Penalty herausgeholt, den sein Kumpel Andi Brehme zum Titel verwertet hat. «Hätte es damals den VAR schon gegeben, wären wir vielleicht nicht Weltmeister geworden», sagt Völler Jahre später schmunzelnd.

Weil sein Oberlippengewächs und seine Vokuhila-Frisur, die an einen Laienschauspieler aus einem alten DDR-Film erinnert, bald mal grau geworden sind, wurde Rudi schon in jungen Jahren zur Tante Käthe. Eine liebenswerte Verniedlichung, die so gar nicht zu seinem Killerinstinkt vor dem gegnerischen Tor passt.

Zuletzt war Völler mehr als zwanzig Jahre lang das sportliche Gewissen von Bayer Leverkusen. Ende Saison ist Schluss. Ein grosser Charakterkopf verlässt die Bundesliga.

Es bleiben viele Bilder, die ein Stück Fussballgeschichte geworden sind.

Mit Zurbriggen im ZDF-Sportstudio

Die Szene, wie er einst zusammen mit Pirmin Zurbriggen im Sportstudio des ZDF Gast war und mit seinen Halbschuhen an der Torwand seelenruhig fünf Mal eingenetzt hat. Oder an seinen ungläubigen Blick, als ihm der Holländer Frank Rijkaard bei der WM 1990 eine Ladung Spucke in der lockigen Frisur deponiert hat. Eine der unappetitlichsten Szenen der Fussballgeschichte.

Und dann der Auftritt als Trainer der deutschen Nationalmannschaft in Island, als der ansonsten immer ruhige und besonnene Völler nach dem mageren 0:0 die neben Giovanni Trapattoni berühmteste Wutrede gehalten hat. Da hat es Tante Käthe den Deckel gelupft, und er hat den Journalisten die Leviten gelesen. «Nach dem Tiefpunkt seht ihr den Tiefpunkt des Tiefpunktes und noch einen tieferen Tiefpunkt. Ich kann diesen Scheissdreck nicht mehr hören.»

Und zu Moderator Waldemar Hartmann im warmen Studio: «Du sitzt gemütlich hier und hast deine drei Weizenbier getrunken.»

Uli Hoeness wollte ihn einst als seinen Nachfolger zu Bayern holen. Völler hat abgesagt. Ihm hat es in Leverkusen an nichts gefehlt.

Das eine oder andere bayrische Weizenbier wird er sich im Ruhestand aber trotzdem gönnen.

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