Übrigens - die SonntagsBlick-Kolumne
Eine Herde weisser Schafe

Weisse Turnschuhe sind zum Massenphänomen geworden. Der Sport als Trendsetter. Die Kolumne von Reporter Felix Bingesser.
Publiziert: 24.04.2022 um 18:09 Uhr
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Aktualisiert: 24.04.2022 um 18:16 Uhr
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Blick-Reporter Felix Bingesser schreibt die SonntagsBlick-Kolumne Übrigens.
Foto: Thomas Meier
Felix Bingesser

«Fahndung nach Turnschuh-Duo», steht am 15. April in der österreichischen «Kronenzeitung». Zwei Männer überfallen eine Tankstelle, bedrohen die Kassiererin und flüchten mit dem Geld. Man fahndet nach den Tätern und bittet um Mithilfe. «Beide Tatverdächtige waren dunkel gekleidet und trugen weisse Sportschuhe», schreibt die Wiener Polizei.

Weil man ja bei diesen Ermittlungsarbeiten gerne unterstützend mitwirkt und die Täter auch aus der Schweiz kommen könnten, laufe ich gesenkten Hauptes durch die Stadt. Und achte aufmerksam auf das Schuhwerk der Menschen. Aber die Fahndung nach den Turnschuhräubern gestaltet sich äusserst schwierig.

Denn die Menschheit ist zu einer Herde weisser Schafe geworden. Jeder trägt weisse Turnschuhe! Alte, Junge, Dicke, Dünne, Politiker, Moderatoren, Taugenichtse, fleissige Leute, Topmanager. US-Vizepräsidentin Kamala Harris tut es genauso wie Roger Federer und die zwei jugendlichen Arbeitsverweigerer aus dem Nachbardorf.

Früher war das Phänomen der weissen Fussbekleidung höchstens beim Tennisturnier in Wimbledon, bei den Assistenzärzten mit den dazugehörigen Krankenschwestern und im Kanton Aargau verbreitet. Dort allerdings nur in Sockenform.

Untertauchen in der Anonymität

Jetzt sollen weisse Turnschuhe wohl die coole Leichtigkeit des Seins suggerieren. Sind aber längst zum öden Massenphänomen geworden. Einer hat mal damit angefangen. Und den Rest erledigt im «Modegeschäft» der Domino-Effekt. Jeder watschelt dem andern hinterher. Und hat das Gefühl, mit der Zeit zu gehen.

8 Milliarden Paar Turnschuhe werden allein in China jedes Jahr produziert. Macht ziemlich genau ein Paar pro Mensch und Jahr. In dieser Masse die beiden Tankstellenräuber von Wien zu finden, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Die Uniformierung der Modebranche hat dafür gesorgt, dass jeder Ganove in der Anonymität der weissen Turnschuhe untertauchen kann.

Was würden wohl die Brüder Adi und Horst Dassler zu dieser Entwicklung sagen? Sie waren es, die vor hundert Jahren die eigentlichen «Gründer» der Turn- und Sportschuhe waren. Weil sich damals immer mehr Menschen in der Freizeit sportlich zu betätigen begannen.

Gibts ein Entkommen von der Turnschuh-Flut?

Dass die Turnschuhe nun jedes Fernsehstudio, den Nationalratssaal, die Disco, den Kebab-Stand, den Pausenplatz und die Sitzungszimmer der Firmen erobern, hätten die beiden Turnschuhpioniere wohl kaum zu träumen gewagt.

Weil sich auch die schwarzen Schafe weiss behufen, habe ich meine unterstützende Fahndungsmitarbeit infolge Zwecklosigkeit eingestellt. Soll sich die Wiener Polizei in diesem Dickicht der weissen Turnschuhe selber in Kreis drehen, bis ihr schwindlig wird.

Gleichzeitig quält die Frage: Wo kann man der Turnschuhflut für einen Moment entfliehen und wieder einmal einen gepflegten ledernen Budapester sehen?

Vielleicht am Vita Parcours?

PS: Der Budapester ist ein klassisches, traditionelles Herrenschuhmodell. Für Überfälle auf Tankstellen allerdings nur bedingt geeignet.

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