Fast 30'000 Fans beim Weihnachtssingen in der Alten Försterei
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Verrückt, verrückter, Union:Fast 30'000 Fans beim Weihnachtssingen im Stadion

Phänomen Fischer in Berlin
Wie der urchige Urs bei Union unsterblich wurde

In Berlin längst eine Kultfigur erfährt Urs Fischer als Schweizer Trainer des Jahres späte Wertschätzung. Union-Präsident Dirk Zingler erklärt das Phänomen des Erfolgstrainers.
Publiziert: 01.01.2023 um 13:45 Uhr
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Aktualisiert: 03.01.2023 um 16:19 Uhr
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Nach dem Aufstieg in die Bundesliga 2019 hat Fischer mit den Eisernen bis auf die europäische Bühne geschafft.
Foto: Keystone
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Sebastian RiederSportreporter

Einmal tief durchatmen – innehalten und geniessen. «Einfach mal abschalten und Energie tanken», sagt Urs Fischer – endlich im Kreis der Familie. Die Pause während der WM war für ihn ein Segen – dazu noch die Festtage zu Hause. Sieben Wochen lang war der 56-jährige Zürcher zuvor der Heimat fern geblieben. Eisern für Union Berlin.

Getrieben vom Strom der Bundesliga. Elektrisiert von der Premiere in der Europa League. Geladen von den K.o.-Spielen im DFB-Pokal. «Eine intensive Zeit, die an den Kräften zerrte.» Die seltenen Momenten der Ruhe fand er lediglich in seiner Wohnung unweit des Stadions – Entspannung auf dem kleinen Balkon an der Spree.

Auf das Fliegenfischen im Fluss, sein geliebtes Hobby, musste er schmerzlich verzichten. Geangelt hat er sich dagegen die Trophäe als Schweizer Trainer des Jahres. «Eine grosse Ehre und eine tolle Überraschung», freut sich Fischer in gewohnter Bescheidenheit. Diese Bodenständigkeit hat ihm bei aller Euphorie viel Respekt verschafft.

Fischer überträgt den Fleiss auf die Spieler

Die authentische Art hat er sich auch im Ausland bewahrt. Fischer ist immer noch der urchige Urs. Sein Hochdeutsch helvetisch. Ungeschliffen, ehrlich und direkt. In der Schweiz manchmal verpönt – in Deutschland eine Tugend. Und in Berlin, wo der Ton viel rauer und der Umgang noch direkter ist, gilt der akribische Arbeiter sogar als ausgesprochen freundlich.

Erst recht in der rustikalen Region rundum das Stadion an der Alten Försterei. Dort, wo der akribische Arbeiter früh morgens oft als erster kommt und abends als letzter geht. «Fischer lebt den Fleiss mit jeder Faser vor», bestätigt Dirk Zingler. Der Präsident des 1. FC Union Berlin beschreibt den Eifer von Fischer als eine Art stille Verbindlichkeit für sein Umfeld. «Die Spieler spüren das und quälen sich auf dem Platz bis zur letzten Sekunde.»

In jedem Spiel an die Grenze gehen

Loyalität in Form von Leistung – kompromisslos. «Fischer ist ein Trainer, der klare Prinzipien hat, die Spieler jedoch nicht überfordert», sagt Zingler. Das taktische Korsett ist eng, aber es bleibt noch Luft genug zum Atmen – nicht nur im übertragenen Sinn. Mit einer Laufleistung von 117,28 Kilometer pro Spiel weist Union Berlin aktuell den höchsten Schnitt der Liga aus.

Für den Erfolg unabdingbar findet Fischer: «Wir müssen in jedem Spiel an unsere Grenze gehen.» Kämpfen und kratzen bis zum Schluss. «Das ist typisch für uns», sagt Zingler. «Nie aufgeben. Immer an sich glauben.» Ein Gedanke, der den Verein über viele Generationen prägt. «Und Fischer transportiert auf die Spieler, was wir hier alle im Club leben.»

Festgehalten ist das auf einem grossen Transparent im Stadion über den beiden Toren. «Und niemals vergessen: Eisern Union» Entstanden 1920er Jahren, als die Amateure des Arbeitervereins ihr täglich Brot in der Metallindustrie im nahegelegenen Stadtteil Oberschöneweide verdienen. «Eisern Union» – heute ein Schlachtruf, der auch Fischer bei seiner Verpflichtung 2018 magnetisiert.

Ohne ein Wort über Fussball zu verlieren

Extrem anziehend ist schon die erste Begegnung zwischen Fischer und dem Präsidenten. «Es war ein sehr langes und gutes Gespräch über gemeinsame Werte», erinnert sich Zingler. «Wir haben uns über menschliche Themen, wie Familie, unterhalten. Darüber, wie wir die Welt sehen. Danach war ich mir sicher, dass wir unseren Trainer gefunden haben.»

Der Funke geht auch bei Fischer sofort über. Und das, ohne dabei auch nur ein Wort über Fussball zu verlieren. «Das war gar nicht nötig», sagt Zingler verschmitzt. «Fischer war bereits auf unserer Liste. Wir haben uns seinen Weg in der Schweiz genau angesehen und wussten, dass er ein erfolgreicher Fussballlehrer ist.»

Dirk Zingler – Ein Leben für Union Berlin

Dirk Zingler (58) ist ein waschechter Berliner und amtet seit über 18 Jahren als Präsident von Eisern Union. Der 58-jährige Logistikunternehmer rettete den ehemaligen DDR-Verein vor dem finanziellen Kollaps und führte den Regionalligisten bis an die Spitze. Der Stadionausbau auf 22'000 Plätze und das Engagement von Urs Fischer 2018 war eines der Gründe für den erstmaligen Aufstieg in die Bundesliga. Seit dieser Saison spielt der 1. FC Union Berlin in der Europa League. In den kommenden Jahren soll die Kapazität der Arena an der Alten Försterei auf 36'000 Zuschauer erhöht werden.

Imago

Dirk Zingler (58) ist ein waschechter Berliner und amtet seit über 18 Jahren als Präsident von Eisern Union. Der 58-jährige Logistikunternehmer rettete den ehemaligen DDR-Verein vor dem finanziellen Kollaps und führte den Regionalligisten bis an die Spitze. Der Stadionausbau auf 22'000 Plätze und das Engagement von Urs Fischer 2018 war eines der Gründe für den erstmaligen Aufstieg in die Bundesliga. Seit dieser Saison spielt der 1. FC Union Berlin in der Europa League. In den kommenden Jahren soll die Kapazität der Arena an der Alten Försterei auf 36'000 Zuschauer erhöht werden.

Gleich in seiner ersten Saison führt Fischer die Eisernen in die Bundesliga und wird in Berlin auf Händen getragen. Nach dem erstmaligen Aufstieg in der Geschichte des Vereins schafft er souverän den Klassenerhalt. Bereits in der zweiten Bundesligasaison gelingt die Qualifikation fürs internationale Geschäft. Zuerst die Conference League, ein Jahr später die Europa League. Und es geht noch besser.

Diese Saison klettern die Kicker des Kultclubs ganz an die Spitze und stehen Ligakrösus Bayern München sechs Wochen lang vor der Sonne. Der kometenhafte Aufstieg des ehemaligen DDR-Vereins macht Fischer in Deutschland zum König von Köpenick. Eine Wertschätzung, die er als Trainer in der Schweiz nur selten zu spüren bekam.

Beim FC Basel trotz Erfolg verschmäht

Ein Wechselbad der Gefühle erlebt Fischer, als er 2010 beim FCZ vom Nachwuchstrainer zum Chefcoach befördert wird und ein Jahr später Vize-Meister wird – einen Punkt hinter dem FC Basel. Nach einem Ausverkauf diverser Leistungsträger kann Fischer 2012 den Erfolg jedoch nicht bestätigen und wird gefeuert.

Nach dem Schock rehabilitiert er sich im Berner Oberland und lässt den kleinen FC Thun gross aufspielen. Als ihn der FC Basel 2015 abwirbt, empfangen ihn die Ultras mit den Worten: «Urs Fischer – niemals einer von uns.» Fischer gewinnt innerhalb von zwei Jahren zweimal die Meisterschaft und einmal den Cup.

Ein Führungswechsel beim FCB wird Fischer zum Verhängnis. Er muss die Bebbi wegen fehlender Identifikation verlassen. Am letzten Spieltag überrascht die Muttenzerkurve mit einem neuen Banner: «Urs – einer von uns.»

Als es später bei Union ebenfalls zu Turbulenzen auf dem Trainerposten kommt, landet die Akte Fischer schnell auf dem Pult des Präsidenten. In Berlin informiert man sich über das ungewöhnliche Ausscheiden beim FCB und kann am Ende nur den Kopf schütteln. Es müssen wohl Wahnsinnige sein in Basel, die so einen Trainer vor die Tür stellen.

Es kann Zingler mittlerweile nur recht sein: «Wir sind sehr glücklich, dass wir ihn heute hier bei uns haben.»

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