Marcel Joliat (54) muss nicht lange überlegen. «Ja, das war das Spiel meines Lebens! Wenn ich heute noch jemandem erzähle, dass ich einst gegen Maradona gespielt habe, macht der grosse Augen. Das war wirklich eine einmalige Affiche.»
Rückblende in den Mai 1990. Argentinien ist damals amtierender Weltmeister. Mit Spielern wie Maradona, Burruchaga, Valdano, Caniggia. Thun spielt damals in der 1. Liga. Gegen Klubs wie Laufen, Domdidier, Lyss, Boudry.
Doch am 6. Mai 1990 treffen im Thuner Stadion Lachen diese beiden so unterschiedlichen Welten aufeinander. Und damit auch Amateurgoalie Joliat und Superstar Maradona, denn die Südamerikaner bereiten sich in jenen Tagen in der Region auf das Länderspiel gegen die Schweiz vor.
Erst Lyss, dann Argentinien
«Am Vortag kickten wir noch gegen Lyss», erinnert sich Joliat, «da sickerte die Meldung durch, dass wir am Sonntag gegen Argentinien spielen werden.» Angesetzt war das Spiel auf 15 Uhr. 2500 Zuschauer strömten für einen Fünfliber Eintritt ins Stadion. Doch die Stars, allen voran Maradona, lassen auf sich warten. Erst gegen 18 Uhr wird im Gewitterregen das Spiel angepfiffen. Und zwar nicht von einem Schiedsrichter, sondern von Argentiniens Nationaltrainer Carlos Bilardo höchstpersönlich.
Warum das so war, da gehen die Meinungen bis heute auseinander. «Der aufgebotene Schiedsrichter Kohli aus Thörishaus traf aus unbekannten Gründen nicht ein», schrieb damals das «Thuner Tagblatt». «Das kann nicht sein», sagt Stefan Kohli aus Thörishaus heute zu SonntagsBlick, «davon höre ich jetzt zum ersten Mal. Hätte ich dieses Spiel pfeifen dürfen, wäre ich natürlich barfuss nach Thun gerannt.»
Kohli sagt aber, dass er einst ein internes Spiel der Argentinier hätte pfeifen sollen. «Ich wurde mal nach Spiez aufgeboten. Als ich dort ankam, fragte ich, was ich machen soll. Bilardo meinte dann, ich müsse nichts machen, pfiff das Spiel selber und ich stand rum, wie bestellt und nicht abgeholt.»
Traf Maradona? Oder nicht?
Zurück nach Thun. Die Argentinier sind den Bernern an diesem 6. Mai 1990 natürlich deutlich überlegen. Nach neun Minuten bezwingt Maradona Joliat. So stehts zumindest im Matchtelegramm geschrieben. «Ich bin mir bis heute sicher, dass nicht Maradona das Tor erzielt hat, sondern Caniggia», sagt Joliat, der 1986 als Ersatzgoalie mit YB Meister wurde.
Am Ende stehts nur 5:0 für die Superstars. Auch dank Joliat. «Ich konnte einige Bälle halten, auch von Maradona und war zufrieden mit meiner Leistung. Doch was er zeigte, war schon einzigartig. Bereits seine erste Ballberührung war eine Augenweide. Und was mir auch noch aufgefallen war: Er spielte mit offenen Schnürsenkeln.»
Daniel Gygax (39) über sein Foto mit der Fussball-Legende: «Ich bin mit vielen Italienern aufgewachsen, darunter auch Neapolitaner. Als Sechs- Siebenjähriger habe ich mal bei einem Freund zuhause gefragt, wer denn dieser Wuschelkopf im blauen Shirt unter dem Jesus-Kreuz sei. Die haben die Welt nicht verstanden, dass ich ihren Maradona nicht kenne. Ab diesem Zeitpunkt war mir klar, wie aussergewöhnlich Diego ist. Als sich dann Maradona im Sommer 2017 beim Fifa-Anlass in Brig hingesetzt hat, musste ich nicht zweimal überlegen. Ich fragte ihn, ob ich mich zu ihm setzen dürfe, er war gut drauf, meinte nur «claro». Schön, dass er sogar gelächelt hat. Dieses Foto hat längst einen Ehrenplatz bei uns zuhause. Einen wie ihn, wird es wohl nie mehr geben.»
(Aufgezeichnet: Michael Wegmann)
Daniel Gygax (39) über sein Foto mit der Fussball-Legende: «Ich bin mit vielen Italienern aufgewachsen, darunter auch Neapolitaner. Als Sechs- Siebenjähriger habe ich mal bei einem Freund zuhause gefragt, wer denn dieser Wuschelkopf im blauen Shirt unter dem Jesus-Kreuz sei. Die haben die Welt nicht verstanden, dass ich ihren Maradona nicht kenne. Ab diesem Zeitpunkt war mir klar, wie aussergewöhnlich Diego ist. Als sich dann Maradona im Sommer 2017 beim Fifa-Anlass in Brig hingesetzt hat, musste ich nicht zweimal überlegen. Ich fragte ihn, ob ich mich zu ihm setzen dürfe, er war gut drauf, meinte nur «claro». Schön, dass er sogar gelächelt hat. Dieses Foto hat längst einen Ehrenplatz bei uns zuhause. Einen wie ihn, wird es wohl nie mehr geben.»
(Aufgezeichnet: Michael Wegmann)
Ex-Nati-Goalie Pascal Zuberbühler (49) durfte sich bei Maradonas wohl letztem Penalty ins Tor stellen: «Da ich für die Fifa arbeite, habe ich Diego in den letzten Jahren mehrmals gesehen. An der WM in Russland waren wir zum Beispiel im selben Hotel. Wenn ich über den Fussballer Diego rede, kriege ich gleich Gänsehaut. Er war der Fussball-Gott schlechthin, ein wahnsinniges Megatalent. Sehr wahrscheinlich war ich der letzte Goalie, der sich Maradona bei einem Penalty gegenüberstellen durfte. Das war beim Fifa-Turnier 2017 in Brig. Maradona hat von Schiedsrichter Busacca einen Penalty geschenkt bekommen. Bevor er anlief, habe ich an den Blicken der Zuschauer und der Fifa-Bosse schnell gemerkt: «Diegos Ball muss einfach rein.» So ist es dann auch gekommen. Beim Treffen all dieser Fussballgrössen im Wallis hat man übrigens genau gesehen, welch hohen Stellenwert Maradona auch unter ihnen geniesst. Auf dem Platz war er ein Überirdischer.»
(Aufgezeichnet: Michael Wegmann)
Ex-Nati-Goalie Pascal Zuberbühler (49) durfte sich bei Maradonas wohl letztem Penalty ins Tor stellen: «Da ich für die Fifa arbeite, habe ich Diego in den letzten Jahren mehrmals gesehen. An der WM in Russland waren wir zum Beispiel im selben Hotel. Wenn ich über den Fussballer Diego rede, kriege ich gleich Gänsehaut. Er war der Fussball-Gott schlechthin, ein wahnsinniges Megatalent. Sehr wahrscheinlich war ich der letzte Goalie, der sich Maradona bei einem Penalty gegenüberstellen durfte. Das war beim Fifa-Turnier 2017 in Brig. Maradona hat von Schiedsrichter Busacca einen Penalty geschenkt bekommen. Bevor er anlief, habe ich an den Blicken der Zuschauer und der Fifa-Bosse schnell gemerkt: «Diegos Ball muss einfach rein.» So ist es dann auch gekommen. Beim Treffen all dieser Fussballgrössen im Wallis hat man übrigens genau gesehen, welch hohen Stellenwert Maradona auch unter ihnen geniesst. Auf dem Platz war er ein Überirdischer.»
(Aufgezeichnet: Michael Wegmann)
BLICK-Kolumnist Kubilay Türkyilmaz (53) exklusiv über Maradona: Ich habe Diego Maradona in meiner Karriere immer wieder gekreuzt. Ich habe auch in Zeiten seiner grössten Blüte einen einsamen und traurigen Menschen hinter der Glitzer- und Glamour-Fassade des Fussball-Superstars entdeckt. Aber vor allem: Einen Zauberer. Einen Ballartisten, der nicht von dieser Welt war.
Klar: Einer wie Maradona entzückt schon im Fernsehen. Doch um wirklich zu erleben, was solch ein Genie von allen anderen abhebt, muss man im Stadion sein. Oder noch besser: Mit ihm auf demselben Rasen. Ich habe dieses Feeling nur bei zwei Menschen gehabt, dass sie mit Bällen umgehen können wie sonst niemand. Roger Federer. Und eben: Diego.
Ein Beispiel: Als ich ihn das letzte Mal traf, das war 2017, anlässlich eines Galaspiels der Fifa in Zürich, da sagte er mir: Komm, mach mir das mal nach. Beweglich war er natürlich längst nicht mehr. Und übergewichtig. Und doch: Wie er diesen Ball ins Tor streichelte – unfassbar! Ich versuchte es ihm nachzutun. Keine Chance…
Speziell war auch das erste Mal, als ich im Januar 1991 auf mein Jugendidol traf. Er im Napoli-Dress, ich in jenem von Bologna. Als der Schiri das Spiel anpfiff, merkte ich: Ich kann mich gar nicht auf den Match konzentrieren. Immer wieder schaute ich mich um, wo denn nun Maradona sei. Der Kopf war anderswo. Und wenn ich da mich selbst gewesen wäre, hätte ich festgestellt, wie er läuft und mit seinem tiefen Schwerpunkt nicht zu Boden zu bringen ist, wie er den Ball streichelt, wie ich seinen Atem spüre – und einen Sekundenbruchteil später ist er weg.
Und dann kommt er nach dem Spiel noch zu mir und sagt: «Du bist ein guter Fussballer, der eine schöne Karriere machen kann. Dazu musst du dich allerdings vor zwei Menschengattungen in Acht nehmen: Schiedsrichter und Journalisten…»
Obwohl er alle Mannschaften zum Siegen brachte, in denen er spielte. Obwohl er glücklich war auf dem Platz, weil er das Spiel und das Spielgerät bedingungslos liebte. Irgendwann ist nach dem Spiel. Und da habe ich ihn immer als traurigen Menschen erlebt. Ich hatte immer das Gefühl, als litte er sich durchs Leben. Aber es half ihm niemand ernsthaft. Die Schulterklopfer sowieso nicht. Doch auch die Menschen, die ihm nahestanden, nicht. Ich denke, niemand fragte ihn ernsthaft, wie es ihm gehe. Wirklich gehe. Denn dann hätte man das gespürt, diese Einsamkeit. Diese Zerrissenheit auch, denn Diego war ja ein Nonkomformist, ein Rebell, der sich dem System widersetzte. Ein einsamer Rebell.
Ich vermisse mein Idol.
BLICK-Kolumnist Kubilay Türkyilmaz (53) exklusiv über Maradona: Ich habe Diego Maradona in meiner Karriere immer wieder gekreuzt. Ich habe auch in Zeiten seiner grössten Blüte einen einsamen und traurigen Menschen hinter der Glitzer- und Glamour-Fassade des Fussball-Superstars entdeckt. Aber vor allem: Einen Zauberer. Einen Ballartisten, der nicht von dieser Welt war.
Klar: Einer wie Maradona entzückt schon im Fernsehen. Doch um wirklich zu erleben, was solch ein Genie von allen anderen abhebt, muss man im Stadion sein. Oder noch besser: Mit ihm auf demselben Rasen. Ich habe dieses Feeling nur bei zwei Menschen gehabt, dass sie mit Bällen umgehen können wie sonst niemand. Roger Federer. Und eben: Diego.
Ein Beispiel: Als ich ihn das letzte Mal traf, das war 2017, anlässlich eines Galaspiels der Fifa in Zürich, da sagte er mir: Komm, mach mir das mal nach. Beweglich war er natürlich längst nicht mehr. Und übergewichtig. Und doch: Wie er diesen Ball ins Tor streichelte – unfassbar! Ich versuchte es ihm nachzutun. Keine Chance…
Speziell war auch das erste Mal, als ich im Januar 1991 auf mein Jugendidol traf. Er im Napoli-Dress, ich in jenem von Bologna. Als der Schiri das Spiel anpfiff, merkte ich: Ich kann mich gar nicht auf den Match konzentrieren. Immer wieder schaute ich mich um, wo denn nun Maradona sei. Der Kopf war anderswo. Und wenn ich da mich selbst gewesen wäre, hätte ich festgestellt, wie er läuft und mit seinem tiefen Schwerpunkt nicht zu Boden zu bringen ist, wie er den Ball streichelt, wie ich seinen Atem spüre – und einen Sekundenbruchteil später ist er weg.
Und dann kommt er nach dem Spiel noch zu mir und sagt: «Du bist ein guter Fussballer, der eine schöne Karriere machen kann. Dazu musst du dich allerdings vor zwei Menschengattungen in Acht nehmen: Schiedsrichter und Journalisten…»
Obwohl er alle Mannschaften zum Siegen brachte, in denen er spielte. Obwohl er glücklich war auf dem Platz, weil er das Spiel und das Spielgerät bedingungslos liebte. Irgendwann ist nach dem Spiel. Und da habe ich ihn immer als traurigen Menschen erlebt. Ich hatte immer das Gefühl, als litte er sich durchs Leben. Aber es half ihm niemand ernsthaft. Die Schulterklopfer sowieso nicht. Doch auch die Menschen, die ihm nahestanden, nicht. Ich denke, niemand fragte ihn ernsthaft, wie es ihm gehe. Wirklich gehe. Denn dann hätte man das gespürt, diese Einsamkeit. Diese Zerrissenheit auch, denn Diego war ja ein Nonkomformist, ein Rebell, der sich dem System widersetzte. Ein einsamer Rebell.
Ich vermisse mein Idol.