Lise Klaveness (41) bestätigt im Telefonat mit Blick das, was schon seit der WM in Katar kein Geheimnis mehr ist: «Wir werden nicht für Gianni Infantino stimmen.» Es sei zwar klar, dass dieser wieder gewählt werden würde, sie werde als Präsidentin des norwegischen Verbandes ihn aber nicht unterstützen. «Wir erwarten mehr Leadership, eine bessere Zusammenarbeit mit Stakeholdern und Transparenz.» Es gebe universelle Werte, die in den Fifa-Statuten niedergeschrieben seien. Diese hätten Top-Führungskräfte in ihrer DNA. «Der Präsident hat mehrere Gelegenheiten verpasst, Führungsqualitäten zu zeigen.»
Jung, furchtlos, homosexuell, erfolgreich. Die dreifache Mutter ist der Gegenpol in einer von Männern dominierten Welt. Klaveness war Spitzenfussballerin, arbeitete als Anwältin, Richterin und Bank-Beraterin. Sie war in ihrer Heimat die erste Frau, die einen Fussballmatch der Männer im TV kommentierte, die erste technische Direktorin im Verband und ist nun seit 2022 die erste Präsidentin. Anfang April aspiriert sie für einen Platz im Exekutivkomitee der Uefa – aber nicht für den Frauen-Quotenplatz, obwohl die Wahlchancen für diesen deutlich grösser wären.
Vorbild für viele
Vor einem Jahr sorgte Klaveness am Fifa-Kongress in Doha für Aufsehen, als sie sowohl die Fifa wegen der WM-Vergabe als auch den Gastgeber Katar wegen der Nichteinhaltung der Menschenrechte harsch kritisierte. «Wir haben mit unseren Mitgliedern lange diskutiert, ob wir die WM boykottieren wollen, entschieden uns aber dagegen. Dafür sollte sich die Präsidentin am Kongress kritisch äussern, was ich getan habe», sagt Klaveness zu Blick. «Es war ein harter Job, aber ich würde es wieder tun.»
Der Aufschrei war gross, der Gastgeber reagierte gekränkt. Weltweit erntete die Norwegerin für ihren Mut und ihre klaren Worte aber Beifall. Eine homosexuelle Person aus Afrika, eine Sportjournalistin aus Südamerika oder nepalesische Arbeiter hätten sich durch ihre Worte gehört gefühlt. «Es gab viele inspirierende Gespräche und Begegnungen.» Mit ihrer Reise nach Katar ging die mit der ehemaligen Nationalspielerin Ingrid Fosse Saethre verheiratete Klaveness auch ein persönliches Risiko ein. Homosexualität ist in Katar verboten.
Kampf gegen Diskriminierung
Auf die WM in Katar zielt auch der Vorstoss des norwegischen Verbandes in Kigali. In diesem wird gefordert, dass die Fifa ihren Verpflichtungen nachkommt und das Versprechen erfüllt, dass die Arbeiter entschädigt werden, die im Zusammenhang mit der WM in Katar zu Schaden kamen. Die WM in Katar sei für viele Menschen ein grosses Risiko und eine Gefahr gewesen. Mit dem Antrag soll dies bei der Vergabe von künftigen Turnieren verhindert werden.
Für Klaveness geht es um die Implementierung der in den Statuten verankerten Werten, in denen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Herkunft oder der Sexualität keinen Platz haben. «Es ist schwierig, grosse Events in Länder zu vergeben, in denen beispielsweise Homosexualität verboten ist, weil viele Spieler und Fans homosexuell sind.» Dass die WM sportlich ein Erfolg gewesen sei und letztlich in einer sicheren Umgebung stattgefunden habe, ändere nichts daran, dass die Vergabe nach Katar nicht akzeptierbar sei.
Klaveness stellt nicht in Abrede, dass es unter der Führung Infantinos auch Fortschritte wie das neue Vergabeverfahren, bessere finanzielle Transparenz oder die Einführung einer Menschenrechts-Policy gab. Das sei aber der klare Auftrag an die neue Führung gewesen.«Nach den Verhaftungen und Suspendierungen war das zwingend nötig, denn die Fifa stand unter Anklage.» Auf diese Punkte solle die Fifa auch in Zukunft ihr Augenmerk legen. «Es ist nicht ihr Auftrag, immer mehr Wettbewerbe zu kreieren. Damit bringt sie die Kontinentalverbände in Gefahr.»
Promoterin der Frauen im Fussball
Neben dem internationalen Match-Kalender, den Klaveness als «sehr vulnerabel» bezeichnet, liegt der 73-fachen Nationalspielerin auch die Entwicklung des Frauenfussballs am Herzen. «Auch für die Frauen ist es der grösste Sport der Welt.» Doch von einer Gleichbehandlung sei die globale Fussball-Gemeinschaft noch weit entfernt. «Wir brauchen den gleichen Zugang und müssen gleich viel Zeit dem Frauen- wie dem Männerfussball widmen.»
Nur knapp eine Handvoll der 211 Mitgliedsverbände der Fifa wird von Frauen präsidiert. Die Norwegerin nimmt bei der Entwicklung der Frauen im Fussball alle in die Pflicht: die Fifa, die Landesverbände, die Klubs, die Sponsoren, aber auch die Journalisten, die nur einen Bruchteil ihrer Artikel über Frauen schrieben. Alle seien in einem Dilemma, weil sie mit den Männern Geld generieren, die Frauen dagegen kosten würden. «Aber wenn man das macht, was man schon immer gemacht hat, wird sich nichts ändern und dieser Trend nur weiter verstärkt werden.»