Nach den grossen Schiedsrichter-Debatten zuletzt: Muss man befürchten, dass die Rückrunde wieder geprägt werden wird von Fehlentscheiden und Diskussionen darüber?
Der Strich ist zurück! Und damit blank liegende Nerven. Das war in der ersten Phase der damaligen NLA bis 2003 mit zwölf Mannschaften so. Das ist nun wieder so. Und wenn die Nerven blank liegen, sind die Zündschnüre kürzer. Jede zweifelhafte Schiedsrichter-Entscheidung wird da schnell zur Staatsaffäre. Wie die gelbroten Karten gegen Basels Youngster Romeo Beney und FCB-Trainer Fabio Celestini. Es geht weiter mit dem Platzverweis gegen St. Gallens Lukas Görtler nach nur drei Minuten des Spiels gegen Lugano. Und es kulminiert mit den beiden gelbroten Karten gegen die Winterthurer Lekaj und Schneider im Spiel gegen Basel. Alles Skandalentscheide, ob denen man an der Ehrhaftigkeit der Schiedsrichter zweifeln muss? Völliger Quatsch. Schaut man genauer hin, erkennt man: Ein einziger Entscheid war falsch. Nämlich die erste Gelbe gegen Beney. Das hat Ref Lukas Fähndrich auch zugegeben. Schluss. Aus!
Eine falsche Gelbe gibt es praktisch in jedem Spiel. Ob gezückt oder verpasst. Alle anderen monierten Gelben waren berechtigt. Und der Rote Görtler-Karton ist der sinnbefreiten Vorgabe der Uefa geschuldet, die immer bei offenen Sohlen über dem Knöchelbereich den Marschbefehl sehen will. Übrigens: Die Engländer erachten diesen Automatismus auch als sinnbefreit und setzen diese Uefa-Vorgabe deshalb nicht derart rigoros und obrigkeitshörig um wie wir und zum Beispiel auch die Deutschen. Schiri-Chef Dani Wermelinger hegt die Befürchtung übrigens auch nicht, dass es nun zu endlosen Debatten kommen wird. «Warum auch? Es gab zwei, drei schwierige Fälle in kurzer Folge. Aber unsere Leute haben mit exzellenten Leistungen in der Vorrunde eine prima Basis für die Rückrunde gelegt.»
Werden die Schiedsrichter vor Verbalinjurien durch Trainer im Nachgang der Spiele durch die Swiss Football League zu wenig geschützt, indem diese viel zu lasch ist?
Das kann man absolut so sehen. Espen-Coach Peter Zeidler zum Beispiel durfte ungestraft Folgendes in die Kameras zum Besten geben: «Tschudi war VAR. Es gibt so viele schöne Berufe.» Oder übersetzt: Lionel Tschudi hat seinen Beruf verfehlt. Klar, Zeidler sagts nicht direkt, was ziemlich perfid ist. Auch deshalb hat er in der Szene nicht den besten Ruf. Oder Fabio Celestini. Der klinkte sich nach seiner ersten Kritik an die Adresse von Fähndrich nicht mehr ein. Auch nicht nach der gelben Karte. Ebenso wenig nach der Roten. Nach dem Ref mussten die TV-Kameras und ganz am Ende die Printjournalisten als Adressaten des Celestinischen Weltbilds herhalten. Okay, da dachte sich die Liga wohl: Der wird ja ohnehin gesperrt, weil er Rot sah. Aber Zeidler? Da hätte man durchaus ein Verfahren eröffnen dürfen. Unter der Flagge der Respektlosigkeit. Auch um ein Zeichen zu setzen, dass das nicht geht.
Braucht es einen Paradigmenwechsel, damit wir im Fussball ähnliche Zustände wie im Handball oder Eishockey hinkriegen?
Ja. Diese endlose Meckerei über jeden einzelnen Pfiff. Diese Rudelbildungen nach jeder halbwegs umstrittenen Entscheidung. Dieses Bedrängen des Schiedsrichters, wenn er in Kontakt ist mit dem VAR oder wem auch immer. Alles No-Gos! Wenn im Handball gepfiffen wird, heisst es: Ball liegenlassen – und ab die Post in die Defensive! Sonst ist in zwei Sekunden Tor. Im Fussball ist das nicht möglich. Aber diese Unsitten müssen aufhören. Mit einem Paradigmenwechsel. Jedes Meckern über einen Pfiff gibt Gelb. Sofort. Ohne Wenn und Aber. Dann gibts halt am Anfang mal ein paar Spiele mit zwanzigmal Gelb und fünfmal Gelbrot. Aber garantiert nur ganz wenige. Das werden die Spieler schneller begreifen, als ihnen lieb ist. Übrigens: Das International Football Association Board unternimmt Anstrengungen in die Richtung, dass nur noch der Captain mit dem Ref sprechen darf. Diese Regel soll bald in eine Testphase gehen. «Wir sind sehr offen für einen solchen Testbetrieb», sagt Wermelinger.
Die Schiedsrichter stellen sich und reden nach umstrittenen Entscheiden. Das ist toll. Doch wie den Fussballern ist auch nicht jedem Schiri das Sprechen in die Wiege gelegt worden. Werden die Refs genügend gut geschult?
Sie werden jedenfalls geschult! Wermelinger: «Beim Zusammenzug auf Gran Canaria wurden sie von Kommunikationsspezialisten des SFV geschult, auch vor der Kamera.» Am Ende stehen glänzende Auftritte wie jener von Fähndrich, der frei eingestand, dass ihm die Rote Karte total zuwider gewesen sei. «Mein Fussball-Herz weinte, weil ich eine Rote Karte geben musste, die mir widerstrebt. Ich wollte diese Entscheidung nicht treffen.» Brillant entwaffnend. Am anderen Ende der Skala stand Alessandro Dudic. Einige seiner Voten waren schlicht unhaltbar. So, als er sagte, dass er gepokert habe. Oder: «Ich versuchte zu balancieren, so gut, wie es eben geht.» Wie bitte soll man das verstehen? Balancieren? Das bedeutet wohl: kompensieren … Hilfe! Immerhin: Dudic gestand, bereits vier Minuten später schon vergessen zu haben, dass er Wintis Captain Lekaj eben verwarnt hatte. Und gab das ehrlich zu. Das ist okay. Peinlich ist nur der Fakt, dass er sich nicht an die erste Gelbe erinnern konnte. «Jedes Interview wird intern von uns reflektiert und nachbesprochen», so Wermelinger.
Wo ist Sandro Schärer?
Unsere Refs geben Anlass zu Polemik. Wie aufgezeigt fast nur zu Unrecht. Und dennoch wäre es hilfreich, wenn das beste Pferd im Stall da vorangeht. Aber wo ist Sandro Schärer? Der Ref, welcher der Elite-Gruppe der Uefa angehört und sich berechtigte Hoffnungen machen kann, an der EM pfeifen zu dürfen. Anzahl Einsätze 2024: null! Wermelinger gibt Entwarnung: «Sandro hatte Aufgebote für Kurse von Fifa und Uefa in Sevilla und auf Zypern. Kurse mit hoher physischer Belastung, weshalb er in dieser Zeit nur als VAR eingesetzt wurde.» Kommts bald zum Comeback? Ja. Möglicherweise schon in der übernächsten Runde. Und Good News zu Urs Schnyder zum Schluss. Unsere Nummer zwei ist in die zweithöchste Kategorie der Uefa aufgestiegen, die Gruppe 1. Er durfte bereits Liverpool in der Europa-League-Gruppenphase pfeifen. Nun winken ihm (und Schärer) europäische K.o.-Spiele Mitte Februar.