Sarina Wiegman gewinnt mit der englischen Nationalmannschaft den WM-Halbfinal gegen Australien und steht damit im vierten Final an einer Endrunde in Folge! Sie gilt als beste Trainerin der Welt.
Wer ist diese charismatische Erfolgsgarantin? Wiegman wird 1969 in Den Haag geboren. Als Sechsjährige will sie mit dem Fussballspielen beginnen. Weil es keine Mädchenteams gibt, schneidet sie sich die Haare kurz, um bei den Buben nicht aufzufallen. Für ihr Studium verlässt Wiegman ihre Heimat und geht in die USA. Dort spielt sie bei den North Carolina Tar Heels mit späteren US-Legenden wie Mia Hamm und Kristine Lilly zusammen. Zurück in Holland, verbringt sie ihre Karriere in der höchsten holländischen Liga bei VV Ter Leede. Sie wird die erste holländische Nati-Spielerin, die 100 Länderspiele bestreitet.
Mit 33 Jahren beendet Wiegman ihre Karriere und beginnt an ihren Trainer-Diplomen zu arbeiten. Es folgen Engagements bei ihrem Heimatklub VV Ter Leede, ADO Den Haag und 2016 sogar als erste Frau in Holland bei einem Männer-Profi-Team. Sie wird Assistenztrainerin bei Sparta Rotterdam. Dann wechselt Wiegman zur Nationalmannschaft, wo sie zuerst Assistenztrainerin ist und 2017 in die Fussstapfen von Arjan van der Laan tritt.
Der erste EM-Titel mit Holland
Überraschend führt sie Oranje innerhalb von sechs Monaten zum EM-Titel im eigenen Land. Es folgt der Vize-Weltmeistertitel – nur zwei Jahre später. Dieser Erfolg katapultiert die Holländerin endgültig in den Trainer-Olymp. Dabei stand Wiegman nicht plötzlich ein extrem verbessertes Kader zur Verfügung. Ihr Erfolgsrezept? «Vor allem wurde die Mentalität verbessert, die Art und Weise, wie sich die Spielerinnen selbst betrachten.»
Auch ich persönlich durfte die besondere Art von Sarina Wiegman kennenlernen. Ende 2019 spielt die Schweizer Nati mit Martina Voss-Tecklenburg an der Seitenlinie in den WM-Playoffs gegen Holland. Das Hinspiel ging mit 0:3 verloren. Im Rückspiel sieht die Holländerin Anouk Dekker in der 7. Minute die Rote Karte. Als Reporterin für den Blick begleite ich dieses Spiel in Schaffhausen. Nach dem Platzverweis keimt leichte Hoffnung auf – hat die Schweiz eine Chance, das Defizit wettzumachen? Nicht einmal annähernd, wie sich herausstellt.
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Neun Monate später treffe ich Wiegman auf dem KNVB-Campus in Holland an einem Event. Zu diesem Zeitpunkt durften sich die Holländerinnen nicht nur Europameisterinnen, sondern auch Vize-Weltmeisterinnen nennen. Wiegman spricht zu einigen Geschäftsleuten über die Rote Karte im Spiel gegen die Schweiz. Sie erzählt, dass weder sie als Trainerin noch die Spielerinnen einen Moment nervös geworden sind, weil alle genau über den Match-Plan Bescheid wussten. Sie hatten jedes Szenario für das Rückspiel bereits analysiert und mögliche Lösungen eingeplant. Kommunikation und ein gemeinsamer Plan stehen für Wiegman an oberster Stelle.
Von England abgeworben
Der erfolgreiche Stil von Wiegman fällt auch den Engländerinnen auf. Vor zwei Jahren wird Wiegman als neue Trainerin der Lionesses vorgestellt und wiederholt prompt ihren Coup! Auch mit England wird sie auf Anhieb Europameisterin. Nach ihrem Amtsantritt bleiben die Lionesses gar 30 Spiele ohne Niederlage. Der Lauf wird von Halbfinal-Gegner Australien kurz vor der WM in einem Testspiel gestoppt.
Doch jetzt steht Wiegman mit England wieder in einem Final. Nach dem EM-Titel 2017, dem WM-Final 2019 mit Holland und dem EM-Titel 2022 mit England ist es der vierte Final in Serie an einem grossen Turnier. Das, obwohl Wiegman auf zwei ihrer besten Spielerinnen verzichten muss: Kapitänin Leah Williamson sowie EM-Torschützenkönigin Beth Mead zogen sich beide Kreuzbandrisse zu.
Kein Problem für die Holländerin, die schon dreimal als Trainerin des Jahres ausgezeichnet wurde. Etwas, das im Männer- oder Frauenfussball bisher nur die ehemalige deutsche Nationaltrainerin Silvia Neid geschafft hat. Mit einem Weltmeistertitel in der Tasche wäre auch die vierte Auszeichnung als Welttrainerin nicht mehr weit.