Sportarzt-Einschätzung und Protokoll
Wie viel Risiko ging Xhaka mit seinem Einsatz trotz Muskelriss wirklich ein?

120 Minuten lang ackert, dirigiert und kämpft Nati-Captain Granit Xhaka im EM-Viertelfinal. Hat grossen Anteil daran, dass die englische Millionentruppe viel Mühe mit der Schweiz hat. Und das alles trotz Muskelfaserriss des Captains. Doch wie viel riskierte Xhaka damit?
Publiziert: 07.07.2024 um 19:14 Uhr
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Aktualisiert: 07.07.2024 um 19:23 Uhr
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Das EM-Aus dürfte Granit Xhaka gleich doppelt schmerzen.
Foto: TOTO MARTI

Es ist ein streng gehütetes Geheimnis, das Granit Xhaka nach dem bitteren Aus gegen England lüftet. Der Captain spielt auch gegen die «Three Lions» durch – trotz eines Muskelfaserrisses in den Adduktoren. Doch wie viel Risiko gingen Xhaka und die Ärzte mit seinem Einsatz wirklich ein?

«Medizinisch gesehen ist es eine Bagatellverletzung», meint der Sportmediziner von der Klinik Hirslanden, Walter O. Frey gegenüber Blick. Aber: «Sie tut weh. Es fühlt sich an wie ein Messer, das sticht.» Das Risiko auf mögliche Folgeschäden, das der Leithammel mit seinem Einsatz einging, war also eher gering und vertretbar. «Die Chance, dass weitere Sachen kaputtgehen, ist nicht sehr gross – vor allem bei gutem und intensivem Einwärmen. Wenn er aber heute wie ein 85-Jähriger ins Badezimmer humpelt, weiss er selbst, dass es gestern zu viel war», meint Frey weiter.

Wichtig sei deshalb, dass sich Xhaka nun die Zeit nimmt, die Verletzung voll und ganz heilen zu lassen. Etwas, wofür er nach dem EM-Aus Zeit haben dürfte. Etwas, was er in den letzten eineinhalb Wochen nicht konnte.

Schmerztabletten während Italien-Spiel

Denn passiert ist es schon drei Tage vor dem Achtelfinal gegen Italien. Die Nati übt im Hinblick auf die K.o.-Phase Penaltyschiessen, als es Xhaka in den Adduktoren zwickt. Am Tag danach verzichtet er vorsichtshalber auf das Training mit der Mannschaft. Gegen den Titelverteidiger führt er im Berliner Olympiastadion wie gewohnt die Nati als Captain aufs Feld. Es sind wenige Minuten gespielt, als er plötzlich innehält. Jetzt wird auch für Aussenstehende offensichtlich: Der Captain ist angeschlagen.

Xhaka eilt an die Seitenlinie, um Schmerztabletten einzunehmen. Diese verfehlen ihre Wirkung nicht. Eine Viertelstunde später legt Xhaka einen Spurt über 40 Meter hin, um ein Pressing auszulösen. Es gibt ihm die Gewissheit: Der Oberschenkel hält. Xhaka zeigt ein Bombenspiel, wie immer an dieser EM. Im Fokus stehen aber andere: Remo Freuler mit seinem Tor zum 1:0, Ruben Vargas mit seinem Schlenzer in den Winkel, nachdem ihm Xhaka zugerufen hat: «Schiess!»

Am Tag nach dem Triumph gegen den Titelverteidiger lädt Xhaka zur Pressekonferenz. Der Captain ist gut gelaunt, tritt eloquent auf. Und sagt: «Zum Glück haben wir sehr gute Ärzte.» Und: «Wir werden am Montag ein MRI machen und schauen, was es genau ist. Aber jetzt habe ich sieben Tage Zeit, um alles behandeln zu lassen.»

Nur Bayer Leverkusen wusste Bescheid

Während die Spieler am Montag einen freien Tag geniessen, unterzieht sich Xhaka der medizinischen Untersuchung. Den Abend verbringt er mit rund einem Dutzend weiterer Teamkollegen im Restaurant Vivaldi, dem bei Fussballern beliebten italienischen Restaurant in Stuttgart.

Am Tag danach gibt Trainer Murat Yakin Auskunft über den Viertelfinal-Gegner England. Davor gibt SFV-Mediendirektor Adrian Arnold im Fall Xhaka vermeintlich Entwarnung. Das MRI habe keine Verletzung zum Vorschein gebracht – was aber nicht der Wahrheit entspricht. Dass der Captain einen Muskelfaserriss in den Adduktoren hat, soll ausserhalb des SFV-Camps niemand erfahren. Ausser Bayer Leverkusen: Xhakas Klub wird über jeden Schritt informiert.

Erste Zweifel, dass wohl doch nicht alles ganz in Ordnung ist, gibt es am Donnerstag. Zwei Tage vor dem Spiel gegen England trainiert Xhaka noch immer nicht komplett mit der Mannschaft mit. Es ist gewöhnlich die wichtigste Einheit in der Vorbereitung eines Spiels, an dem die Medien während des ganzen Trainings nicht zugelassen sind.

Am Freitag meldet der SFV, Xhaka habe das Abschlusstraining komplett absolviert.

Doppelter Schmerz für Granit Xhaka

Egal, wie schwer die Muskelverletzung ist: Zweifel, dass Xhaka gegen England auflaufen wird, gibt es nicht. 2021 hatte er den EM-Viertelfinal gegen Spanien wegen einer Gelbsperre verpasst, diesmal will der Captain unbedingt dabei sein. Für das Team ist er unverzichtbar: in seiner Rolle als Spielmacher auf der Sechserposition, aber auch als unbestrittener Leader dieser Nati.

Xhaka führt das Team gegen England aufs Feld. Es ist sein 61. Spiel in dieser Saison. Gross anzumerken ist ihm die Verletzung nicht. Auf lange Bälle und Schüsse aus der Distanz verzichtet er bewusst, wie er später selbst erklärt. Kurz nach der Pause geht er an die Seitenlinie und lässt sich von den Ärzten die Bandage am linken Oberschenkel richten. Womöglich wird ihm auch Schmerzmittel nachgereicht. 

Der Captain beisst sich 120 Minuten durch und gehört wie immer zu den Besten einer erneut starken Nati. Auf einen Penalty verzichtet er. Akanji scheitert, die Nati verliert die Lotterie. Wieder ist der Viertelfinal Endstation. Aus der Traum vom grossen Coup. Für Granit Xhaka ist es ein doppelter Schmerz.

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