Basler bislang enttäuscht von den meisten EM-Favoriten
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«Kroatien-Match abgeschaltet»:Basler bislang enttäuscht von den meisten EM-Favoriten

Mario Basler im Interview
«Mit einem Dämpfer gegen die Schweiz ist alle Euphorie schnell weg»

Vor dem EM-Duell zwischen der Schweiz und Deutschland spricht Mario Basler über die Nati, die EM und die letzten Typen im modernen Fussball.
Publiziert: 22.06.2024 um 14:18 Uhr
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Aktualisiert: 23.06.2024 um 14:41 Uhr
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Ex-Bayern-Profi Mario Basler geht mit dem DFB-Team hart ins Gericht.
Foto: imago/Eibner

Blick: In Deutschland herrscht vor dem Duell gegen die Schweiz die grosse EM-Euphorie. Endet das deutsche Sommermärchen mit dem Titelgewinn?
Mario Basler:
Nein, mit den gezeigten Leistungen wird das ganz sicher nicht reichen. Da braucht es dringend eine Steigerung. Sonst ist spätestens im Viertelfinal Schluss.

Die 5:1-Gala im Eröffnungsspiel gegen Schottland hat Sie also nicht beeindruckt?
Schottland spielt maximal Zweitliga-Fussball, so ehrlich müssen wir sein. Gegen Ungarn hätte ich gerne gesehen, was passiert, wenn Deutschland in Rückstand gerät. So überragend haben wir in den ersten zwei Spielen definitiv nicht gespielt. Gegen grosse Teams werden wir mit solchen Leistungen Probleme bekommen. Und wenn wir gegen die Schweiz einen Dämpfer kassieren, ist die Euphorie schnell wieder weg.

Wo sehen Sie die grossen Schwächen im deutschen Team?
Offensiv mache ich mir gar keine Sorgen. Da ist unglaublich viel Qualität vorhanden. Aber defensiv haben wir sehr grosse Probleme. Wir lassen viel zu viel zu. Ungarn hätte gegen uns drei oder vier Tore schiessen können.

Gibt es einen Spieler, der Sie bis jetzt besonders enttäuscht hat?
Florian Wirtz wirkt phasenweise wie ein Fremdkörper. Bei Leverkusen hat er eine sensationelle Saison gespielt. In der Nationalmannschaft habe ich aber noch kein Weltklasse-Spiel von ihm gesehen. Da fehlen sicher 30 bis 40 Prozent im Vergleich zu seinen Leistungen bei Leverkusen. Mir ist klar, dass Wirtz noch ein sehr junger Spieler ist. Trotzdem erwarte ich von ihm von Partie zu Partie eine Leistungssteigerung.

Von Experten und Medien gab es nach dem Sieg gegen Ungarn viel Lob an die Adresse von Captain Ilkay Gündogan. Stimmen Sie mit ein?
Gündogan ist für mich ein Reizthema. Ich habe ihn schon häufig attackiert, vielleicht manchmal auch etwas zu sehr. Er hat viel Qualität und ist nicht umsonst von Manchester City nach Barcelona gewechselt. Aber wie bei Wirtz habe ich in der Nationalmannschaft auch von ihm noch kein überragendes Spiel gesehen.

Nun geht es gegen die Schweiz. Wie gross ist der Respekt vor der Nati?
Die deutsche Mannschaft hat zweifellos grossen Respekt vor der Nati. Zu meiner Zeit waren zwei oder drei Schweizer in der Bundesliga engagiert. Heute spielt die ganze Nationalmannschaft in Deutschland, Italien oder England. Besonders aufpassen müssen wir auf Granit Xhaka. In der vergangenen Bundesliga-Saison hat es kein Team geschafft, ihn aus dem Spiel zu nehmen.

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Welchen Anteil hat er an der überragenden Saison von Leverkusen?
Er ist genau das, was Leverkusen über Jahre gefehlt hat. Ein Ruhepol, der im Mittelfeld die Fäden zieht. Aber auch ein Spieler, der sehr viel redet und eine unglaubliche Siegermentalität mitbringt.

Vor der letzten EM hat Xhaka gesagt, er habe bis zum Final gepackt. Was halten Sie von solchen Aussagen?
Ich finde es gut, dass er solche Dinge sagt. Als er nach Leverkusen gekommen ist, hat er auch von Titeln gesprochen – obwohl niemand Leverkusen den Meistertitel zugetraut hat. Diese Mentalität und dieses Selbstvertrauen braucht es, wenn du Erfolg haben willst. Mir ist so ein Spieler viel lieber, als einer, der an die EM fährt und mit dem Viertelfinal-Einzug zufrieden ist.

Nach dem ersten EM-Spiel gegen Ungarn hat Xhaka angekündigt, sein Ziel sei der Gruppensieg.
Das finde ich eine sehr mutige Aussage. Nach seiner Weltklasse-Saison darf er diese Aussage so machen. Aber ich glaube, dass du dir damit nicht nur einen Gefallen tust. Die deutschen Spieler werden das mitbekommen haben. Und der eine oder andere Bayern-Spieler ist nach dieser Saison vielleicht ohnehin etwas angesäuert.

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Was trauen Sie der Schweiz an dieser EM zu?
Ich denke, der Viertelfinal ist machbar. Aber in dieser Gruppe musst du eigentlich Erster oder Dritter werden. Denn der Gruppenzweite bekommt es wohl entweder mit Italien oder Spanien zu tun. Dann kann auch schon im Achtelfinal Schluss sein.

Für uns Schweizer hat das Duell mit dem nördlichen Nachbarn eine ganz besondere Bedeutung. Wie sieht man das in Deutschland?
Aus unserer Sicht ist es sicher nicht die gleiche Rivalität. Den Derby-Charakter haben wir eher bei Spielen gegen Österreich, England und vor allem Holland. Gegen diese Teams ist der Ehrgeiz jeweils noch einmal etwas grösser.

Welche Taktik hat sich Julian Nagelsmann für das Spiel gegen die Schweiz zurechtgelegt?
Wir werden eine deutsche Mannschaft sehen, die den Schweizern ihr Spiel aufdrängen will. Eine andere Option gibt es eigentlich nicht. Wenn wir uns als EM-Gastgeber in so einem Spiel zurückziehen und der Schweiz das Spiel überlassen würden, hätte Nagelsmann spätestens am Montag ein dickes Problem. 

Wie sieht es auf der anderen Seite aus? Greift Murat Yakin wieder in die Trickkiste?
Als Trainer kannst du immer eine Überraschung einbauen. Möglich, dass die Schweizer sehr defensiv auftreten werden. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass sie plötzlich mit zwei Stürmern spielen. Dann vielleicht mit Embolo von Beginn an. Shaqiri ist gegen Verteidiger wie Rüdiger oder Tah vielleicht der falsche Mann.

Also werden wir kein erneutes Shaqiri-Traumtor sehen?
Shaqiri ist ein Spieler, der Deutschland an einem guten Tag im Alleingang auseinandernehmen kann. Zieht er aber einen schlechten Tag ein, steht die Schweiz mit einem Spieler weniger auf dem Platz.

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Vor dem Turnier gab es durchaus einige Fragezeichen um seine Person.
Ich finde es schon aussergewöhnlich, dass er so umstritten ist. Klar, er ist sicher nicht ganz so fit wie früher. Aber er ist ein Spieler, den man so nehmen muss, wie er ist. Das grosse Laufwunder ist er nicht, das muss er aber auch nicht sein. Ich wollte als Profi auch nie viel laufen. In Deutschland würde man ihn als launische Diva bezeichnen. Aber ich mag ihn. Als Fussballer und als Typ. Und seine Zahlen sprechen für ihn.

Es heisst immer, im modernen Fussball gebe es fast keine Typen mehr. Ist Xherdan Shaqiri noch so ein Typ?
Wenn du jemand bist, an dem sich die Leute reiben, dann bist du definitiv ein Typ. In Deutschland haben wir Leroy Sané. Wie Shaqiri hat auch er eine unglaubliche Qualität, bringt diese aber nicht immer auf den Platz. Solche Typen wie früher, die gibt es heute definitiv nicht mehr. Aber das ist auch gut so.

Sie waren so ein Typ. Wohl auch, weil Sie während Ihrer Karriere vielleicht nicht immer den gesündesten Lebensstil an den Tag gelegt haben. Hätten Sie im heutigen Profi-Fussball eine Chance gehabt?
Das kann ich nicht beurteilen. Heute hat man ganz andere Möglichkeiten. Neue Trainingsmethoden, Fitnesscoaches, Ernährungsberater und vieles mehr. Ich bin zwar nie 15 Kilometer pro Spiel gelaufen wie die heutigen Profis, aber am Ball hatte ich schon auch gewisse Qualitäten.

Welche EM-Spieler sind für Sie sonst noch richtige Typen?
Cristiano Ronaldo, Luka Modric oder Toni Kroos. Alle auf ihre ganz eigene Art.

Das heisst?
Auch an Cristiano Ronaldo reiben sich die Leute. Und trotzdem drehen sie schon durch, wenn er irgendwo aus dem Auto steigt. Das liegt hauptsächlich an seiner fussballerischen Klasse. Aber auch an seiner Art, wie er sich öffentlich präsentiert. Ein Toni Kroos ist da ganz anders.

Und trotzdem ist auch Kroos für Sie ein Typ?
Die Zeiten, in denen ein Typ laut sein musste, sind vorbei. Kroos ist ein sehr ruhiger und aufgeräumter Mensch. Umso bemerkenswerter finde ich die Dinge, die er abseits des Platzes von sich gibt. Gleichzeitig ist er auf dem Feld ein absoluter Leader, der weiss, wie man junge Spieler führen muss. Ähnlich nehme ich Luka Modric wahr.

Dessen EM lief bislang aber alles andere als rund.
Kroatien ist für mich die grösste Enttäuschung des Turniers. Beim Spiel gegen Albanien habe ich sogar den TV ausgeschaltet. Dieser Standfussball ist längst vorbei. Da hätte ich mit 55 Jahren noch mitspielen können. Auch Modric ist inzwischen zu alt. Bei Kroatien muss nach der EM ein Umbruch her.

So richtig überzeugt hat bisher eigentlich nur Spanien. Bei den Buchmachern liegen zudem auch Frankreich und England vorne. Wen haben Sie noch auf der Rechnung?
Die Portugiesen! Ronaldo und Pepe sind zwar kurz vor dem Rentenalter, haben aber noch immer richtig viel Qualität. Wenn ich fünf Euro hätte, würde ich sie auf Portugal setzen.

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