Nein, die Ballannahme war nicht wirklich gut, nach diesem Querpass von Ruben Vargas. Der Ball springt vom Fuss auf. Und das nicht zu knapp, über Mannshöhe. Als er den Gesetzen der Schwerkraft folgt, drischt ihn der Hinwiler volley ins Netz. Weder Mancini noch Weltgoalie Donnarumma können was ausrichten.
«Die Ballannahme hätte ein kleines bisschen besser sein können», sagt Freuler lachend. Davor hatte er nicht zu den Auffälligeren gehört. Solid, fehlerfrei, ballsicher. Doch wie schon in Katar gegen Serbien schleicht er sich auch im Berliner Olympiastadion, diesem italienischen Sehnsuchtsort nach dem WM-Titel 2006, der nun so brüsk zu einem Synonym für ein peinliches Out wurde, mit in den Angriff. Und bucht.
Die doppelte 31
Es ist überdies ein historisches EM-Goal. Das erste seit Aufzeichnungsbeginn solcher Daten im Jahr 1980, das nach einer Passstafette über 31 Stationen erzielt wurde. «Das zeigt, dass wir als Team eine sehr gute Leistung erbracht haben», so Freuler. Und nochmals die 31, welche Koinzidenz: Es war der erste Schweizer Sieg in einem Ernstkampf gegen Italien nach … 31 Jahren. «Um so schöner, ist uns das gelungen. Aber nach unseren Spielen in der Gruppenphase habe ich an uns geglaubt. Und nach fünf, zehn Minuten haben wir gesehen, dass Italien passiv in unserer ersten Linie verteidigt. Deshalb konnten wird unser Spiel sehr gut aufziehen.»
Legendärer Jubel
Der Jubel danach ist jetzt schon legendär. Freuler rennt zur Haupttribüne, die ganze Mannschaft und die ganze Ersatzbank im Schlepptau. Die Abschrankung wird niedergerissen. Es gibt kein Halten. «Alle freuen sich für den Torschützen. Das zeigt, wie gut es in dieser Mannschaft harmoniert.» Freulers Familie war dort auf der Tribüne. «Da kommen natürlich viele Emotionen hoch.»
Die waren auch Anfang Woche hochgekommen, als er unverschuldet Hasskommentare erntete für seine Antwort auf die Frage, was die Schweiz aus dem 0:3 an der EM 2021 gegen Italien gelernt habe. Er sagte, man habe daraus gelernt und am Ende habe sich die Schweiz für die WM 2022 qualifiziert, Italien nicht. Ein Shitstorm für diese banale Aussage? Bitte! Aber es zeigt erstens, wie fragil das Nervenkostüm der Tifosi aufgrund der Schwäche der Ausgabe 2024 war. Und dass man aus dem Nichts für Nichts Hass ernten kann. Derart, dass sich Freuler sogar entschuldigte. Und nun sticht ausgerechnet er mitten ins Azzurri-Herz …
«Respekt und Dankeschön an die Fans!»
Technik, Glaube, ein Gegner, der einen unterirdischen Tag einzieht, Zusammenhalt, ein harmonisierendes Trainerteam, das alles richtig macht, Spieler, die über sich hinauswachsen. Es gibt viele Gründe für den Schweizer Höhenflug, von dem niemand so richtig denkt, dass er bald zu Ende ist.
Doch einen erwähnt Freuler ganz speziell: die Fans! «Die waren unglaublich! Es war ja nicht einfach, hierherzukommen, alles zu organisieren, bei diesen Flugpreisen. Da kann ich nur zwei Dinge sagen: Respekt! Und Dankeschön!»
Und nun, gibts ein Bierchen auf den Sieg? «Ist nicht so meines. Eher ein Glas Wein.» Und es darf nach dem Coup durchaus ein Ornellaia, Sassicaia, Masseto oder Monfortino sein, um einige der besten Italiener zu nennen ...