Er wirkt apathisch, ratlos, leer. Alvaro Morata ist nach dem 1:1 gegen die Polen bedient. Obwohl er einen Treffer beigesteuert hat. «Es spielt keine Rolle, dass ich getroffen habe», murmelt er ins Mikrofon, wohl wissend, was auf ihn und seine Kollegen zukommen wird: eine Welle an Kritik und Unverständnis. Denn die Spanier haben bisher an dieser EM enttäuscht. Erst das 0:0 im Auftaktspiel gegen Schweden und nun eben dieses magere 1:1 gegen die Polen.
«Alarm in Rot», titelt die spanische Tageszeitung As einen Tag danach. Und die Marca schiesst nach: «Wir stecken in grossen Schwierigkeiten!» Möglicherweise dramatisieren die spanischen Medien leicht. Spanien reicht kommenden Mittwoch ein Sieg gegen die Slowakei, um den Achtelfinal klarzumachen. Das Problem dürfte ein anderes sein, ein viel grösseres: Die spanischen Fans nämlich scheinen nicht hinter ihren Kickern zu stehen.
Pfiffe von den Rängen
Morata beispielsweise ist gegen die Schweden von den eigenen Anhängern nach seiner Auswechslung knallhart ausgepfiffen worden. Die Fans haben ihren Sündenbock gefunden. Morata, der einst bei Real Madrid zum Profi gereift ist, hat es sich mit vielen Anhängern verscherzt. Mit den Real-Fans, weil er nach seinen Stationen bei Juventus und Chelsea zum Erzrivalen Atlético gewechselt ist. Und die Atlético-Fans wiederum nehmen Morata seine Vergangenheit bei den Königlichen übel. So hat der Kicker, der mittlerweile bei Juventus auf Leihbasis spielt, in Spanien einen schweren Stand.
Den hat auch Luis Enrique, der Mann an der spanischen Seitenlinie, der mehrheitlich deswegen auffällt, weil er während der Partien auf einer Getränketruhe sitzt. Enrique hat sich schon bei der Kaderbekanntgabe vor ein paar Wochen unbeliebt gemacht. Kein Spieler von Real Madrid ist gelistet. Kein Sergio Ramos. Kein Isco. Kein Marco Asensio. Auch einen Spieler von Sevilla sucht man im Spanien-Kader vergeblich. Das wird ihm darum vorgeworfen, weil die Spanier alle drei Gruppenspiele in Sevilla austragen. Enrique aber setzt mehrheitlich auf Kicker, die ihr Geld in ausländischen Ligen verdienen.
Die logische Konsequenz? Pfiffe von den Rängen. Natürlich werden die lauter, wenn die Leistungen ausbleiben. «Ich verstehe das nicht», meint Dani Olmo, der in Leipzig kickt. «Die Fans sollten uns doch unterstützen.» Und Morata, der Sündenbock, sagt: «Wenn wir uns anhören, was die Leute sagen, hilft das nicht. Denn sie warten alle darauf, uns zu kritisieren.»
Siegt Spanien gegen die Slowakei in Spiel 3 dürfte diese Kritik zumindest vorerst etwas verstummen. (mam)