Gladbach-Coach Gerardo Seoane (45) ist Luzerner. Und damit Schweizer. Aber auch Spanier. Er besitzt beide Pässe. Seine Eltern stammen aus Galicien in Nordspanien. Er selbst hat vier Jahre lang bei Deportivo La Coruña gespielt, allerdings ohne Einsatz in der damaligen Primera División.
Spanien steht ihm nahe. Die Furia Roja kennt er aus dem Effeff. Er hat sich ganz viele EM-Spiele angeschaut. Jene der Iberer waren Pflichtprogramm, logisch als Hispano-Schweizer. Herzblut ist dann auch dabei. Aber ebenso viel Analyse. Die Seoane mit uns teilt.
«Der Erfolg dieses Teams», so Seoane, «beginnt bei Trainer Luis de la Fuente. Weil er die meisten Spieler aus den Juniorenauswahlen kennt. Er hatte sie zuerst in der U19, dann in der U21. Mit beiden Teams wurde er Europameister. Die Spielphilosophie des spanischen Verbands bringt er so nahtlos in die A-Mannschaft ein.»
Der Alters-Mix machts aus
Diese sei nach wie vor ein auf Ballbesitz ausgerichteter Fussball. «Aber nicht mehr Ballbesitz um des Ballbesitzes Willen. Sondern als Mittel zum Zweck. Spanien spielt einen aktiven und frischen Fussball. Versucht, das Spieldiktat zu übernehmen und es dem Gegner aufzuzwingen.»
Auch der Mix stimme, mit ein paar absoluten Routiniers, einigen sehr Jungen und vielen im besten Alter. Und was dann diesen Mix auszeichne und ihn von den spanischen Auswahlen der Jahre zuvor abhebe, ist eine starke physische Komponente. «Nicht, dass alle auf Zweikampfstärke reduziert werden können. Aber es sind alle kräftig und schnell. Die Innenverteidigung mit Le Normand und Laporte ist enorm zweikampfstark, aber auch spielerisch stark. Beide verfügen über einen hervorragenden ersten Pass. Die Aussenverteidiger Cucurella und Carvajal sind äusserst giftig. Das zentrale Mittelfeld mit Rodri und Fabian Ruiz laufstark und spielerisch überragend. Und die Flügel mit Yamal und Williams enorm schnell.»
Einer für alle, alle für einen
Dazu komme eine hohe Ballsicherheit und ein starkes Positionsspiel. «Und, ganz wichtig: Stolz und Teamspirit. Den spürt man bei jedem Interview. Man stellt ihn in jedem Match anhand der Körpersprache fest. Zum Beispiel bei den Auswechslungen. Da geht wirklich jeder für den anderen, jeder stellt sich in den Dienst des Teams. Spannungen sind keine auszumachen.»
Darauf habe auch De la Fuente bei der Kadernominierung minutiös geachtet. Allerdings sei das kein Alleinstellungsmerkmal des dreifachen Europameisters, denn darauf hätten alle geschaut. Logisch, mit 26 Spielern im Kader hat man sechs nicht ganz Zufriedene wochenlang mit im Team, die wenig Spielzeit erhalten. Das gilt es zu managen.
Ein Beispiel: «Als Alvaro Morata, immerhin der zweitbeste Nationalmannschafts-Torschütze in der Geschichte Spaniens, übermässig viele kritische Kommentare erbte, wie so oft, stellten sich seine Mitspieler und der Staff demonstrativ hinter ihn.» Sie hätten ihr Unverständnis darüber deutlich zum Ausdruck gebracht. «Eine Haltung, die ich übrigens teile. Man muss wissen: Mittelstürmer sind eine spezielle Spezies. Bedingt durch ihre einzigartige Position. Weshalb man einen Mittelstürmer mit keinem anderen Spieler vergleichen kann. Die Kritiker tun das.»
Seoane gibt klaren Final-Tipp ab
Und die Viererkette? In anderen Ländern wird diese mittlerweile als antiquiert abgetan. Bei uns hiess es, es gehe nicht mehr damit. In Italien, in England auch. Gebetsmühlenartig wurde dieses System als untauglich abgewatscht. Bei De la Fuente ist es sakrosankt. Seoane: «Wer gegen die Viererkette wettert, soll sich mal fragen, wie Champions-League-Sieger Real Madrid spielt. Und viele andere grosse Teams.»
Und dann sagt Seoane etwas, das sich jeder System-Junkie hinter die Ohren schreiben soll: «Am Ende des Tages ist es nicht so relevant, ob man mit Vier oder Drei spielt, das ändert in der Dynamik eines Spiels ohnehin laufend. Viel wichtiger ist, wie ein Spieler das interpretiert. Und ob es dem Trainer gelingt, seine eigene Mannschaft in eine gegenüber dem Gegner bessere Situation zu bringen.»
De la Fuente gelingt das beneidenswert gut. Weshalb Spanien für Seoane auch der grosse Endspielfavorit ist. «Das Team ist nach dem Rückstand gegen Frankreich ruhig geblieben. Die Mannschaft wird England einschnüren und auch in diesem Spiel Lösungen im letzten Drittel finden. So heissts am Ende: 3:1 Spanien.»