Als Kwadwo Duah (27) nach seinem Nati-Debüt im Testspiel gegen Estland in die Mixed Zone kommt, sind schon andere Spieler dort. Stars, die seit Jahren für die Schweiz spielen. Platzhirsche. Duah, schüchtern, wie er wirkt, versteckt sich, taucht kurze Zeit später wieder auf. Drei Meter neben Duah gibt Captain Granit Xhaka (31) ein letztes Interview. Duah guckt auf sein Handy, liest die Glückwunsch-Nachrichten, ist in Gedanken versunken, merkt gar nicht, dass er jetzt an der Reihe wäre.
Aus seinen Träumen gerissen, sagt Duah: «Es ist surreal, das Nati-Aufgebot kam aus dem Nichts!» Niemand, wirklich niemand hatte den 27-jährigen Berner auf dem Schirm. Als er im Sommer nach Bulgarien zu Ludogorets Rasgrad wechselte, schien er weiter von einem Länderspiel entfernt als die Nati vom Titelgewinn. Nun trifft er zum EM-Auftakt gegen Ungarn zur Führung – die Fussball-Schweiz hat ihr erstes EM-Märchen.
Zufall ists allerdings nicht. Weil Duah – von den körperlichen Voraussetzungen her – seit Jahren alles mitbringt, was es braucht. SLO-Profi Linus Obexer (27), der jahrelang zusammen mit Duah bei den YB-Junioren kickte, sagt: «Er war schon immer ein Riesenathlet, brutal schnell, brutaler Schluss. Aber ich habe das Gefühl, dass er lernen musste, was es wirklich braucht, um Profi zu werden.»
Durchbruch unter Sforza
Fabian von Matt, der Duah seit Jahren als Berater begleitet, sagt: «Man musste ihn mit Ideen und Ansätzen unterstützen. Damit er die unglaublichen Werkzeuge, die er in seinem Koffer hat, richtig einsetzt.» Vor allem im athletischen Bereich habe man mit sportwissenschaftlichem Know-how das Potenzial des Spielers optimiert. Obexer sagt: «Erst beim FC Wil ist Kwadwos Knopf komplett aufgegangen.»
Unter Coach Ciri Sforza (54) buchte der Stürmer 17 Skorerpunkte in 33 Spielen, wurde fussballerisch erwachsen. Meist kam er über den linken Flügel. In St.Gallen, in Nürnberg und bei Ludogorets Rasgrad, seinen nächsten Stationen, wurde er aber fast ausnahmslos als Mittelstürmer eingesetzt.
Für den bulgarischen Meister Rasgrad hat er in der abgelaufenen Saison in 37 Spielen 15 Tore erzielt und sechs weitere aufgelegt. Für Petar Aleksandrov (61), den bulgarischen WM-Teilnehmer von 1994 und aktuellen Stürmer-Trainer des FC Aarau, ein guter Wert. Und zwar unabhängig davon, dass die erste bulgarische Liga nicht zu den besten der Welt zählt. «Als ich zu Aarau kam, habe ich in einem Testspiel gegen Kölliken fünf Tore erzielt und alle haben mich abgefeiert. Dabei war der Gegner ein 2.-Liga-Verein. Mein Trainer Roger Wehrli aber sagte mir: Fünf Tore sind fünf Tore. Egal, gegen welchen Gegner. Dasselbe gilt für Duah.»
Er habe in dieser Saison jedes einzelne Spiel von Ludogorets gesehen, sagt Aleksandrov. Deshalb sei es kein Zufall, dass Duah auch im EM-Auftaktspiel gegen Ungarn funktioniert habe. «Ich habe mich mit dem Trainer von Ludogorets unterhalten, er meinte, er sei ein guter Junge, der nie aufgibt. Zu Beginn der Saison war er verletzt, aber er hat sich zurückgekämpft.»
Von London nach Bern
Geboren ist Duah im Londoner Stadtteil Tottenham, mit fünf zügelte er nach Bern, weil die Eltern, die aus Ghana stammen, in der Schweiz wirtschaftlich bessere Aussichten hatten. Der Vater jobbte als Kellner, die Mutter als Raumpflegerin. Mit vier Jahren spielte Klein-Kwadwo beim Berner Klub AS Italiana, mit zehn kam er in den YB-Nachwuchs. Mit 19 debütierte er in der ersten Mannschaft, der Durchbruch im Wankdorf blieb ihm jedoch verwehrt.
Mittlerweile ist Duah Nati-Star und EM-Torschütze. Und bei YB dürften sie bereuen, dass sie ihrem «Berner Giel» damals keine Chance gaben. Auch Kwadwos jüngerer Bruder Christian hat Bern mittlerweile verlassen, der 14-jährige Mittelfelspieler kickt beim FCB. Ob auch er einst den Durchbruch schaffen wird?