«Überrascht?» Michel Aebischer versteht die Frage nicht. Was beim Durchsickern der Startaufstellung zwei Stunden vor Spielbeginn ein Fragezeichen ins Gesicht der ganzen Fussballschweiz zauberte, war für den 27-Jährigen das Normalste der Welt. Weil er seit Dienstag wusste, dass er gegen Ungarn im linken Couloir beginnen wird. Und: «Weil ich weiss, dass ich Qualitäten habe!»
Ein Blick in die Vergangenheit des Bologna-Profis verrät, dass sich Aebischer dieses Selbstbewusstsein erst aneignen musste. YB-Sportchef Christoph Spycher hat den Mittelfeldspieler in seinen Anfangsjahren bei den Profis ermuntert, mutiger zu kommunizieren. Auf und neben dem Platz.
Aebischer: «Werde heute gut schlafen»
Der Input ist angekommen. Wenn man so spielt wie Aebischer gegen Ungarn, braucht es Mut. Wenn das EM-Auftaktspiel erst der fünfte Startelf-Einsatz in der Nati ist. Und wenn man noch nie auf dieser Position gespielt hat.
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Mit einem filigranen Steilpass auf Kwadwo Duah gelingt ihm der Assist zur frühen Schweizer Führung. Das 2:0, ein wunderbarer Schlenzer aus 20 Metern, ist dann ganz allein Aebischers Werk. Abzug in der Stilnote gibts für den verlorenen Zweikampf gegen Varga beim Anschlusstreffer der Ungarn. «Klar, das Gegentor macht weh. Aber sonst bin ich sehr zufrieden. Ich werde heute gut schlafen», grinst Aebischer.
Duah erlebt «ein Märchen»
Ob das auch für Kwadwo Duah gilt, ist nicht bekannt. Aber sollte er Mühe beim Einschlafen gehabt haben, dann wegen einer Überdosis positiver Emotionen. Man muss das einmal festhalten: Vor einem Monat war der Stürmer auch in der Schweiz nur Insidern ein Begriff. In Bulgarien, wo der Berner mit ghanaischen Wurzeln beim Spitzenklub Ludogorez unter Vertrag steht, heissen seine Gegner Krumovgrad oder Tscherno More. Und nun beginnt er nicht nur gegen Ungarn, sondern erzielt auch noch sein erstes Länderspieltor. «Innerlich bin ich am Explodieren», sagt Duah nach dem Spiel und muss sich in der Interviewzone erst einmal aufstützen.
Dass nicht Amdouni, sondern er in der Startelf stehe, habe er zwei Tage vor dem Spiel von Assistenzcoach Giorgio Contini erfahren. «Es ist ein Märchen! Ich bin ruhig geblieben, aber vor dem Spiel kam die Nervosität. Und bei der Nationalhymne ging mein Herz auf.» Damit nicht genug: «Solche Gefühle wie bei meinem Tor habe ich noch nie gehabt. Als der Linienrichter die Fahne hob, platzte der Traum. Aber dann – Explosion!»
Und jetzt – hat er Blut geleckt? «Natürlich habe ich jetzt Ambitionen auf weitere Einsätze. Aber vor allem bin ich dankbar, dass ich hier sein darf.» Klar sei für ihn: Dass er die seit Jahren anhaltenden Abwerbungsversuche des ghanaischen Fussballverbands abgewehrt habe, sei spätestens jetzt die richtige Entscheidung gewesen.
Embolos Kompressionsstulpen ist bereits Kult
Mit Aebischer und Duah haben sich beim EM-Auftakt zwei bislang Unbekannte ins Gedächtnis der Nati-Fans gebrannt. Ohne Ankündigung hat Murat Yakin sie aus dem Hut gezaubert. Letzteres gilt auch für Breel Embolo. Sein sportlicher Stellenwert für die Nati ist hinlänglich bekannt, dass er nach Kreuzband- und Muskelfaserriss schon gegen Ungarn zum Einsatz seine erste Duftmarke am Turnier setzen konnte, verblüffte hingegen alle. Sein Tor zum 3:1? Das i-Tüpfelchen auf Yakins Überraschungs-Furioso.
Der Moment, in dem Embolo in der Nachspielzeit erst die ungarischen Verteidiger und dann seinen Kompressionsstulpen abschüttelt, ist die Szene des Spiels – und schon jetzt Kult. Sein bis dato letztes Länderspiel war das 1:6 im WM-Achtelfinal gegen Portugal, 557 Tage ist Embolo zurück. Das freut nicht nur Captain Granit Xhaka («Breel ist ein Goldjunge»), sondern auch Embolo selber: «Ich bin froh, wieder auf dem Platz zu stehen. Meine Rolle ist es, den Unterschied auszumachen.»
Aebischer, Duah, Embolo – diese Zaubershow von Murat Yakin hat Applaus verdient.