Erich Vogel analysiert die Nati
Yakins Wandlung und das Grundproblem rund um Xhaka

Er ist 85 und immer noch vom Fussball besessen. Erich Vogel spricht vor dem Achtelfinal gegen Italien über die Schweizer Nati.
Publiziert: 26.06.2024 um 11:47 Uhr
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Aktualisiert: 26.06.2024 um 15:46 Uhr
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Erich Vogel ist 85 und noch immer ein Fussball-Fanatiker.
Foto: TOTO MARTI
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Patrick MäderAutor Blick Sport

Erich Vogel ist etwas angeschlagen. Er hat sich kürzlich bei einem Sturz die Schulter gebrochen, was ihn nicht daran hindert, jeden Tag seine obligaten Waldläufe zu machen. Die Schweizer Manager-Legende ist inzwischen 85 Jahre alt. Aber Zeit zur Ruhe gönnt er sich nicht. «Ich arbeite täglich zwölf Stunden und das sieben Tage die Woche», behauptet er.

Seit Mitte Mai ist der Unermüdliche nun Sportchef ad interim bei den GC Frauen. Dieses Amt hält ihn auf Trab. Aber nicht ausschliesslich. Zu Hause in Uitikon Waldegg stapeln sich die Bücher. Es geht darin um Fussball-Taktik, Psychologie, Philosophie – und auch Biografien grosser Trainer sind zu finden.

Erich Vogel liest viel und analysiert mit scharfem Verstand und klarem Blick Fussballspiele. So, wie er das immer schon gemacht hat. Auch die Spiele der Nati an der EM schaut er sich genau an. «Mir gefällt, was ich sehe. Und Murat Yakin überrascht mich immer wieder. Er hat einen wichtigen Schritt gemacht, indem er nun Schlüsselspieler wie Granit Xhaka in seine Überlegungen einbezieht, sie teilhaben lässt am Entscheidungsprozess. Früher wollte er alles selber bestimmen.»

«Xhaka und Yakin sind seelenverwandt»

Mit Murat Yakin hat Vogel mehrmals in seiner Karriere eng zusammengearbeitet. Der Basler war unter Sportchef Vogel Spieler, Nachwuchstrainer, Assistenztrainer und Cheftrainer. Typen wie Yakin und Xhaka interessieren den Analytiker Vogel. «Die beiden vereint eine tiefe Seelenverwandtschaft», glaubt er. «Sie schiessen beide ab und zu mit ihren Aussagen übers Ziel hinaus, um Unruhe heraufzubeschwören, die Leute zu erschrecken.» Das habe Yakin als Spieler oft getan, und Xhaka tue es ihm nun gleich.

Das seien instinktive Entscheidungen, um Routinen aufzubrechen, um neue Dynamiken entstehen zu lassen. «Jedes Team hat eine Tendenz zur Lethargie. Die Spieler wollen keine Veränderungen, wollen weitermachen wie bisher. Yakin hat erkannt, dass die Gruppendynamik in der Nati nachlässt, packt das Problem an. Und Xhaka hilft ihm dabei.»

Vogel sieht in der Abhängigkeit des Spiels der Nati von Xhaka ein Grundproblem, das es noch zu lösen gilt. Was, wenn Italien, unser Achtelfinalgegner, Xhaka mit enger Manndeckung am Samstag aus dem Spiel nimmt? Vogel: «Dann muss sich Xhaka nach hinten fallen lassen und Akanji und Schär in die Räume stossen.» Dieses Trio sei für den Erfolg der Nati entscheidend. «Wenn die Drei genau wissen, was zu tun ist und gut miteinander harmonieren, dann ist es für jeden Gegner schwierig, die Schweiz auszurechnen.»

«Schär ist der Schlüssel zum Erfolg»

Sowieso findet Vogel, dass Schär eine ganz gewichtige Rolle spielen sollte in der Nati, so wie er es bei Newcastle seit Jahren macht. «Er ist der Mann mit den genialen Pässen hinter die Abwehrreihe, er ist kopfballstark, variabel, spielintelligent und macht wenig Fehler. Eigentlich einer, wie es Murat früher als Spieler war. Schär kann der Schlüssel sein für den Erfolg der Nati.»

Vogel glaubt, dass Italien ein passender nächster Gegner sei für die Schweiz. Insofern sei es nicht schlimm, dass die Nati gegen Deutschland in letzter Sekunde den Gruppensieg verpasste. «Aber jetzt mal ehrlich», betont Vogel, «die Achtelfinals zu erreichen ist für die Schweiz nicht selbstverständlich und an sich schon eine gute Leistung. Wenn es dann noch weiter gehen sollte, bis in die Viertelfinals, dann ist das absolut top.»

Vogel würde sich wünschen, dass Yakin diese Nati auch nach der EM weitertrainiert. «Die Entwicklung ist erkennbar, weg vom reinen Ballbesitzfussball, welcher Guardiola perfektioniert und Petkovic in der Nati kultiviert hat, was meiner Meinung nach ein Fehler war. Die Nati spielt jetzt variabler, kann auch gegenpressen und schnell umschalten. Das gefällt mir.» 

«Nach der EM muss Kobel ins Tor»

Yakin sei kein fauler Trainer, im Gegenteil, «er kann sich leidenschaftlich in die Arbeit stürzen, aber er braucht seine Auszeiten. Würde man ihm diese nehmen, dann würde man ihm auch seine Kreativität nehmen.» Darum glaubt Vogel auch nicht, dass Yakin beispielsweise ein erfolgreicher Klubtrainer in der Premier League werden könnte. «Wenn Murat den Einzug in den Viertelfinal schafft, dann könnte ein Angebot aus England eintreffen. Dann müsste Murat seine Lebensweise total umstellen. Da gibt es keine Auszeiten, da bekommt er seine Freiheit nicht, welche er braucht. Das Scheitern wäre vorprogrammiert. Aber vielleicht täusche ich mich und Yakin überrascht mich ein weiteres Mal. Das ist nicht ganz auszuschliessen.»

Yakin sei in der Nati am richtigen Platz. Es würden wichtige Aufgaben warten wie die Verjüngung des Teams und der Wechsel auf der Goalieposition. «Die beste Konstellation bei den Torhütern ist doch die, dass ein hungriger, starker, junger Goalie spielt und ein erfahrener, älterer bereitsteht, um einzugreifen, wenn Not vorhanden ist. Also Kobel rein und Sommer auf die Bank – aber erst nach dieser EM.» Jetzt soll Sommer am Samstag seinen Inter-Kollegen nochmals zeigen, was ihn ihm steckt und warum er in der abgelaufenen Saison so wenig Tore bekommen hat.

Und was ist mit Xhaka? Vogel prophezeit dem Captain noch eine lange Zukunft in der Nati. «Xhaka wird irgendwann zum Innenverteidiger umfunktioniert. Auch auf dieser Position wird er Weltklasse sein und mindestens noch acht gute Jahre haben.»

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