Es läuft die Nachspielzeit im Gruppenspiel gegen Wales, als Italiens Coach Roberto Mancini seinem Ersatzgoalie Salvatore Sirigu ein paar Turnierminuten gewährt. Gianluigi Donnarumma, zu jenem Zeitpunkt seit 1000 (!) Länderspielminuten ohne Gegentor, geht vom Feld – und wird ausgepfiffen. Zu Hause. In Rom. Von den eigenen Fans.
Er renne bloss dem Geld nach, so der Vorwurf. «Dollar-Rumma» nennen ihn die Milan-Tifosi. Weil er, statt zur Vereinslegende zu werden, ins Ausland wechseln wird. Wohl zu PSG. Als «Misston der blauen Sinfonie» bezeichnete die «Gazzetta dello Sport» das Theater. Über zehn Millionen Franken pro Jahr soll Donnarumma in der französischen Hauptstadt verdienen können.
Phänomenale Sprungkraft
Dass PSG mit Keylor Navas (34) und Alphonse Areola (28) bereits über zwei Top-Goalies verfügt, wird ebenfalls kritisch beäugt. Dass sich Donnarumma gegen die Konkurrenten durchsetzen wird, bezweifeln hingegen die wenigsten. Zu überragend ist der 1,96-Meter-Hüne, der mit 14 seinen ersten Profivertrag unterschrieb, mit 16 für die erste Mannschaft von Milan debütierte und mit 22 zu den komplettesten Goalies der Welt gehört.
Seine Sprungkraft? Phänomenal. Weil er eine spezielle Absprungtechnik hat, mit beiden Füssen gleichzeitig abhebt und in der Luft ein klein wenig in Schräglage kommt. Donnarumma ist ein Goalie, der mitspielt, der oft weit vor seinem Kasten steht, Spielsituationen erkennt – ein Libero wie Welttorhüter Manuel Neuer.
Der spielte mit 25 Jahren noch bei Schalke 04. Donnarumma hat jetzt schon 251 Pflichtspiele für Milan absolviert, einen Titel gewonnen aber hat er – mit Ausnahme des italienischen Supercups – bislang noch nicht. Das soll sich mit Paris ändern. Und auch mit Italien. 32 Länderspiele hat der Nachfolger von Goalie-Ikone und Namensvetter Gianluigi Buffon schon gespielt – und bloss zweimal verloren: in der Nations League gegen Portugal (0:1) und in einem Freundschaftsspiel gegen Frankreich, wo er allerdings nur eine Halbzeit zum Einsatz kam.
Zoff adelt die Abwehr
Mittlerweile sind die Italiener seit 33 Spielen nicht zu knacken, was laut Italiens Goalie-Legende Dino Zoff aber nur bedingt an Donnarumma liege. «Bei der aktuellen Abwehr» könnte auch ich noch im Tor stehen und würde kein Tor kassieren», sagt Zoff dem «Spiegel». Der Mann ist 79 Jahre alt.
Klar, mit Leonardo Bonucci (34) und Giorgio Chiellini (36) verfügen die Italiener über ein routiniertes, überragendes, abgebrühtes Innenverteidiger-Duo, Donnarumma aber ist der Sicherheitsanker, der Chef im Strafraum. Jener Mann, der ausputzt, auf den sich die Vorderleute verlassen können. Einer, der selten die Nerven verliert. Und den Ball im Zweifelsfall ins Seitenaus spediert, statt ins Dribbling zu steigen. Einer der besten Goalies der Welt.
Vor Buhrufen und Schmähgesängen gefeit ist der 22-Jährige deswegen nicht. Auch heute wird ein Pfeifkonzert über Donnarumma ergehen. Für einmal aber werdens die englischen Fans sein. Und nicht die eigenen Landsleute.