Als Luis Enrique (49) Spanien Ende März 2019 zum ersten Mal in einem EM-Qualifikationsspiel coacht, ist alles in Ordnung beim Weltmeister 2010. Enrique, der Barcelona 2015 zum letzten Champions-League-Titel geführt hat, ist der grosse Hoffnungsträger nach den Wirren um Lopetegui und Hierro.
Doch zwei Tage später bricht Enriques Welt zusammen. Bei seiner neunjährigen Tochter Xanita ist eine seltene, aber aggressive Krebsart diagnostiziert worden: Osteosarkom, ein bösartiger Knochentumor.
Wachmann an einer Tankstelle
Die Öffentlichkeit hat davon keine Ahnung. «Aus dringenden privaten Gründen» sei Enrique abgereist, heisst es. Sein Assistent Robert Moreno (41), der einst Wachmann an einer Tankstelle war, aber nie Profi-Fussballer, übernimmt temporär. Am 19. Juni dann tritt Enrique vollständig zurück. Moreno sagt: «Ich habe immer davon geträumt, Spanien-Trainer zu sein, aber nicht so.»
Am 29. August erfährt die die Öffentlichkeit die traurige Wahrheit: «Unsere Tochter Xana ist diesen Nachmittag im Alter von neun Jahren nach einem fünfmonatigen intensiven Kampf gegen Osteosarkom verstorben.»
Morenos Angebot
Die Fussballwelt ist geschockt. Doch der Planet Fussball dreht sich weiter. Und Spanien siegt ein paar Tage später auch unter Moreno, dem ersten katalanischen Cheftrainer der Furia Roja seit 50 Jahren. Dieser rührt das Land zu Tränen, als er anbietet, seinen Posten zugunsten von Enrique sofort wieder zu räumen: «Wenn Luis eines Tages zurückkommen will, würde ich erfreut zur Seite treten und mit ihm zusammenarbeiten. Er ist mein Freund, und Freundschaft kommt vor allem anderen.»
Doch die Normalität holt einen schneller ein, als man denkt. Im November 2019 signalisiert Enrique dem Verbandspräsidenten Rubiales, bereit für eine Rückkehr zu sein. Doch mittlerweile hat Moreno intern gesagt, er würde gerne bis nach der Euro 2020 bleiben. Kein Wunder, nach einer blitzsauberen, niederlagenfreien Qualifikation. Es folgt der Bruch zwischen den beiden Freunden, die beim FC Barcelona, Celta Vigo und der AS Roma unzertrennlich waren. Enrique spricht davon, Moreno sei illoyal: «Solch einen Menschen will ich in meinem Staff nicht haben.»
Die volle Ladung Kritik an Enrique
Moreno verlässt das Wanda-Metropolitano-Stadion in Madrid nach seinem letzten Spiel unter Tränen. Er wird danach erfolgloser Kurzzeittrainer der AS Monaco und ist nun neuer Coach von La-Liga-Klub Granada.
Der Zwist hat indes eine Nebenwirkung: Enrique ist vom ersten Moment seiner Rückkehr an normal kritisierbar. Ohne Samthandschuhe. Schon nach seiner Kadernominierung – er verzichtet auf Ikone Sergio Ramos und beruft nur 24 statt der möglichen 26 Spieler – ist das Gemotze laut. Nach den beiden ersten schwachen EM-Spielen kriegt er gar die volle Ladung ab. Die Siege gegen die Slowakei (5:0) und Kroatien im Achtelfinal (5:3) bringen die Kritiker zum Verstummen. Das würde sich wieder ändern, würden die Schweiz den nächsten ganz grossen Coup landen.