In 358 Tagen startet in Deutschland die Fussball-Europameisterschaft. Statt Vorfreude herrscht bei der Gastgebernation Alarm. Das DFB-Team steckt tief in der Krise. Die Mannschaft von Hansi Flick (58) hat in den vergangenen vier Testspielen keinen Sieg einfahren können (drei Niederlagen, ein Unentschieden). Blick-Experte Markus Babbel (50, Europameister 1996 mit Deutschland) schätzt die Lage ein.
Verfahrene Situation
«Im Moment ist natürlich absolut der Wurm drin. Du bestreitest drei Spiele gegen Nationen, die aktuell nicht im 1A-Regal stehen, sondern eher im B-, C-Regal zu finden sind, und gewinnst davon keines. Und nur durch Glück schaffst du gegen die Ukraine noch den Ausgleich. Alles ist derzeit sehr verfahren. Wie das deutsche Nationalteam da jetzt wieder rauskommt, das liegt nun halt eben am Trainer.»
Schluss mit Experimenten
«Was ich nicht verstehe bei Hansi Flick, ist, dass er die Zeichen der Zeit nicht erkannt hat. Immer wieder versucht er, zu experimentieren. Ich weiss auch nicht, warum er so auf diese Dreierkette in der Abwehr baut. Er sagt zwar, er brauche einen Plan B, mir wäre jedoch lieber, wenn er einen 1A-Plan hätte und den richtig umsetzen würde. Die Spieler sind irgendwie nicht in Lage, seine Vorgaben so umzusetzen, dass sie erfolgreich sind. Das hat jetzt eher weniger mit dem System zu tun, aber es ist halt auffallend, dass sich die Mannschaft gerade bei der Dreierkette immer wieder Gegentore einfängt und die Spiele dann eben nicht gewinnt. Flick muss sich jetzt für ein System entscheiden, da zu 100 Prozent drauf setzen und mit den Experimenten aufhören. Und er muss sich nun auf Spieler festlegen, klar sagen: Das sind meine Jungs, die übernehmen jetzt die Verantwortung und auf die will ich an der EM nächstes Jahr bauen.»
Fans haben Interesse verloren
«Wenn die Nationalmannschaft ein Verein wäre, der in der Bundesliga spielt, würde es mich nicht überraschen, wenn Flick gehen müsste. Er geniesst die volle Rückendeckung vom Verband, was ich gut finde. Nichtsdestotrotz muss er jetzt liefern. Er hats nicht geschafft, bei der WM die Vorrunde in einer Gruppe, die nicht so stark war, zu überstehen. Dazu hat er es auch nicht geschafft, eine Euphorie im Land auszulösen, sodass wir wieder einmal mit einem Lächeln ins Stadion gehen, um das deutsche Team zu sehen. Ganz im Gegenteil: Man hat das Gefühl, die Fans interessieren sich nicht mehr wirklich dafür, es macht ihnen keinen Spass mehr, der DFB-Elf zuzusehen. Es sind natürlich noch Altlasten da, wie zum Beispiel dieses Unnahbare, dafür kann Flick nichts. Sie sind unterdessen wieder nahbarer geworden. Aber es steht und fällt mit dem sportlichen Erfolg. Resultate müssen her.»
Sinnlose USA-Reise
«Was ich in keinster Weise nachvollziehen kann, ist diese im Oktober geplante USA-Reise der Nationalelf, welche die Spieler extrem schlauchen wird. Das ist mir ein totales Rätsel, wie man sowas planen und ausmachen kann, anstatt hier in Deutschland weiterhin zu testen. Da steckt wahrscheinlich auch viel Politik dahinter. Das hätte Flick allerdings unterbinden müssen.»
Flick spürt Gegenwind
«Nach der verkorksten WM wurde Flick von den Medien grösstenteils in Ruhe gelassen. Jetzt wird er nicht mehr geschützt, er kriegt wahnsinnig viel Gegenwind ab. Ich bin sehr gespannt, wie er reagiert, ob er dem Druck standhält und ob er wieder eine gute Stimmung erzeugen kann. Wie gesagt: Es steht und fällt mit den Ergebnissen. Da ist momentan dermassen der Wurm drin, dass es vielen schwerfällt, zu glauben, dass wir dann bei der Euro eine Mannschaft haben, die alles in Grund und Boden spielt.»