Das Schreckensszenario, es droht, wahr zu werden. Die Fussball-WM 2034 wird wohl in Saudi-Arabien stattfinden. Was nun passieren wird, im Schnelldurchlauf. Wir regen uns tierisch darüber auf. Zu Recht. Wir prangern die dort herrschenden Verletzungen der Menschenrechte an. Zu Recht. Wir beklagen uns darüber, dass der Fussball für Sportswashing missbraucht wird. Zu Recht. Wir sehen uns Dok-Film über Dok-Film zum Thema Abgründe des Fussballs an und schütteln dabei nur noch den Kopf. Zu Recht.
Und dann, in elf Jahren, sitzen wir gemütlich vor dem Fernseher und schauen uns die Saudi-Gaudi an. Vielleicht mit einem schlechten Gefühl und gewissen moralischen Bedenken, aber das Vergnügen einer Fussball-WM lassen wir uns trotzdem nicht entgehen.
Warum nicht Aarau?
All diese Mechanismen konnten wir in den letzten Jahren schon oft miterleben. Sei es bei der Vergabe der WM nach Katar. Sei es bei der Aufblähung der nächsten WM-Endrunden, der EM, der Klub-WM, der Champions League und der Einführung der Nations League.
Unser Reflex ist immer der gleiche: da die böse Fifa mit ihrem durchtriebenen Präsidenten Gianni Infantino und hier wir armen Gutmenschen/Fussballfans.
Ja, dieser Reflex ist nicht falsch, er ist aber auch nicht richtig. Wir alle sind mitschuldig. Unsere Ausrede «Die da oben machen ja eh, was sie wollen» ist zu kurz gegriffen. So stehlen wir uns feige aus der Verantwortung.
Wir alle schauen uns lieber das Manchester-Derby am TV an statt das Challenge-League-Spiels der sympathischen Thuner gegen die sympathischen Aarauer. Wir alle reisen lieber nach Deutschland und besuchen dort einen Bundesliga-Kracher, statt im Nachbardorf ein Amateurspiel zu verfolgen. Wir alle finanzieren damit die Auswüchse des modernen Fussballs mit und sind deshalb Teil dieser Kommerzialisierung.
Geil, Geld!
Ein typisches Beispiel dafür ist Newcastle United. Die dümpelten im Mittelfeld der Premier League rum. Bis 2021 ein saudischer Staatsfonds den Klub übernahm. Die Reaktion von uns Fussball-Romantikern darauf: Empörung! Skandal! Wie kann man nur! Ein Grossteil der heimischen Fans sah es aber anders. Geil, Geld! Jetzt sind wir wieder wer. Ein Plan, der bislang aufging. Zum ersten Mal seit 20 Jahren spielt Newcastle nun wieder in der Champions League, mit begeisterndem Fussball. Powered by Saudi-Arabien.
Ein naives Gedankenspiel. Was wäre, wenn die Newcastle-Fans seitdem ihren Klub boykottieren würden? Zuerst nur einer, dann zehn, dann hundert, dann tausend, dann zehntausend. Wenn keiner mehr ein Trikot kaufen würde? Wenn das Stadion bei Heimspielen stets leer bleiben würde?
Auf den gesamten Fussball umgemünzt würde das bedeuten: Was wäre, wenn die TV-Quoten an der WM in Katar miserabel gewesen wären, weil wir uns das nicht angeschaut hätten? Was wäre, wenn bei Champions-League-Spielen die Stadien regelmässig halb leer wären, weil wir das nicht unterstützen wollen? Was wäre, wenn immer weniger Fans sich ein teures TV-Sport-Abo kaufen würden, weil wir nicht mehr bereit dazu sind, dafür viel Geld auszugeben?
Das alles würde dem globalen Fussball längerfristig wehtun. Denn eines haben wir in den letzten Jahren gelernt: Ein Umdenken kann nur stattfinden, wenn es ans Geld geht. Moralgeschwängerte Einwände bringen nichts. Wir alle sind mitschuldig. Naives Gedankenspiel zu Ende.
Der Witz mit der Demut
Und noch etwas: Wer glaubt, das wird sich alles irgendwann automatisch wieder auf ein gesundes Mass einpendeln, der irrt sich. Wie hiess es nochmals zu Beginn der Corona-Zeit, als plötzlich auch die Fussballwelt am Abgrund stand? Jetzt ist die Zeit der Rückbesinnung. Diese Auswüchse wird es in Zukunft nicht mehr geben. Die Zeit der Rekordablösesummen ist vorbei. Der Fussball wird demütig werden.
Alles Quatsch, weil wir alle das Spiel seitdem weiterhin munter mitmachen. Das traurige Fazit dieser Geschichte: Wir alle sind mitschuldig. Das schöne Fazit dieser Geschichte: Wir alle können etwas verändern. Es liegt an uns.