Nur Andreas muss dran glauben. Jeden Samstag. Als Martin Schmidt im März 2020 in Augsburg als Trainer entlassen wird, kehrt er ins Wallis zurück – und schaut Woche für Woche mit seinen besten Freunden die Bundesliga-Konferenz. «Ich habe einen schönen Fernseher», sagt Schmidt, in der Stube laufen gleichzeitig drei andere Partien auf PC, Tablets und Smartphones.
Nur Andreas, von Beruf Schreiner, der steht draussen. Allein. Am Grill. «Er interessiert sich nicht so für Fussball. Und es ist ja auch wichtig, dass die Würste gut sind und das Kulinarische und Gesellige stimmt», sagt Schmidt augenzwinkernd. Es ist seine Zeit des Aufladens, und dazu gehören Freunde wie SFV-Mediendirektor Adrian Arnold oder Chicago-Trainer Raphael Wicky. Mit einigen von ihnen hat er vor 25 Jahren in der Briger Altstadt einen Stall umgebaut zu einer zweistöckigen Bar, die zur Fasnachtszeit in Nicht-Corona-Zeiten für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Sonst trifft man sich zum Tischgrill, zum Fussballschauen. Schmidt geniesst es neben seinen Auftritten als «Sky-Experte». Er nimmt es ruhig, hat gerade das Ski-Saisonabonnement gekauft und freut sich auf einen schönen Winter. Bis zum Weihnachtsabend.
Telefon am Weihnachtsabend
Denn dann, am 24. Dezember, klingelt sein Telefon. Christian Heidel, legendärer Mainz-Sportchef und bei Schalke zuletzt geschasst, ist dran. Er will Schmidt, als Sportdirektor. Und zwar sofort.
«Ich sass gegen 16 Uhr zuhause am Küchentisch, schrieb Weihnachtskarten machte mich für den Weihnachtsabend mit der Familie fertig. Ich freute mich auf einen ruhigen Abend, aber den hat mir Christian ganz schön zerstört», sagt Schmidt lachend. «Ich ging dann zur Familie, sass an den Tisch und habe nichts erzählt. Aber mein Kopf war voller Gedanken und ich wusste, dass es bald los geht.»
Und wie! Schmidt sagt am nächsten Tag zu, rast im Auto nach Mainz. Eine Verabschiedung von Familie und Freunden fällt ins Wasser. Sein 89-jähriger Vater weiss noch von nichts zu jenem Zeitpunkt. «Mein Vater war ein bisschen überrascht, ich konnte ihm nicht mal richtig tschüss sagen. Es ging alles so schnell. Ich habe dann ein, zwei Tage später angerufen und ihm gesagt, dass es wieder los geht. Er sagte mir: ‹Ich habe gedacht, dass du nie mehr gehst.›» Schmidt sagt ihm, dass es noch ein wenig früh sei für die Frühpension. «Aber der Job, den ich jetzt habe, wird mir auch ermöglichen, ein bisschen mehr ins Wallis zu gehen.» Mitte Januar ist es ein erstes Mal so weit: «Ich musste noch ein paar Klamotten holen, weil mein Aufbruch so überstürzt war ...»
«Lehn dich zurück, du musst nichts reincoachen ...»
Die Planungssicherheit, sie ist mit ein Grund, warum der Ex-Bundesliga-Coach von Mainz, Wolfsburg und Augsburg vorerst nicht mehr Trainer sein will. 13 Monate betrage die durchschnittliche Amtsdauer eines Bundesliga-Trainers, sagt Schmidt. «Ich spürte in der Corona-Zeit, dass ich regelmässiger leben und strategischer arbeiten will. Zudem interessierte mich schon als Coach das ganzheitliche: Sportmedizin, Scouting, Marketing, Medien, Athletik und so weiter. Oder wie sich ein 16-jähriges Talent auf Strecke entwickelt. Als Trainer kann man das kaum verfolgen. Denn wenn er so weit ist, bist du meist schon weg», sagt Schmidt, der aber langfristig ein Engagement als Trainer nicht komplett ausschliessen möchte.
Seine Nähe zum Team bleibe, darum müsse er auch nicht immer im Anzug und mit akkuratem Kurzhaarschnitt auftreten. «Ich will als Bindeglied zwischen Mannschaft, Trainer und Vorstand wirken.» Sinnbildlich verfolgt er die Spiele direkt hinter der Trainer-Bank, aber auf der Tribüne. Und arbeitet an sich: «Ich lese das Spiel immer noch als Trainer. Und sage mir während der Partien oft: Lehn dich zurück, du musst jetzt nichts reincoachen.» An der Linie steht sein ehemaliger Co-Trainer Bo Svensson.
Er bleibt auch bei Abstieg
Er soll den Abstieg verhindern. Ein heisser Konkurrent ist Schalke mit Christian Gross, die beiden Teams liegen auf den letzten Plätzen. Schmidt sagt: «Ich bin guten Mutes, dass wir es schaffen, aber kann mir auch vorstellen, dass auch Schalke rankommt. Es wird Wochenenden geben, die für die letzten laufen und dann werden die auf Platz 13, 14, 15 schnell nervös, weil sie sich lange in Sicherheit fühlten. Wir hingegen kennen die Situation schon lange und unser Job ist es, Nervosität bei denen vor uns zu schüren.»
Aber ob Bundesliga oder 2. Bundesliga, Schmidt wird bleiben. Er zieht in denselben Wohnkomplex wie zu seiner Zeit als Trainer, sein Projekt ist mittelfristig. So planen auch Heidel und Svensson. Schmidt abschliessend: «Wir haben es mit allen Risiken übernommen. Wir haben Papiere und Konzepte für beide Ligen. Aber jetzt machen wir erstmal alles Menschenmögliche, um doch noch in der Bundesliga zu bleiben.»