Roger Benoit über die Formel-1-Legende Jo Siffert (†1971)
«Ich musste mich wegen Seppi übergeben»

Jo Siffert und Roger Benoit – das passte. Hier zählt die Blick-Legende, warum sich der Rennfahrer einst in seinem Auto versteckte. Welchen Streich er ihm spielte. Und wie es zum letzten Foto kam.
Publiziert: 05.03.2025 um 10:47 Uhr
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Aktualisiert: 05.03.2025 um 22:07 Uhr
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Siffert war nicht nur ein begnadeter Formel-1-Fahrer (hier im Bild in Monaco 1971), sondern ...
Foto: RDB
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Daniel LeuStv. Sportchef

Lieber Roger, lass uns heute über Jo «Seppi» Siffert reden. Er wäre mittlerweile 88 Jahre alt, wenn er nicht schon 1971 tödlich verunfallt wäre. Was hätte er wohl noch alles erlebt?
Roger Benoit: Er hätte bestimmt noch ein Auto bekommen, mit dem er Formel-1-Weltmeister hätte werden können, vor allem Ferrari war an ihm interessiert. Er hätte sicher auch noch ein paar lukrative Werbeverträge unterschrieben. Und er hätte nach seiner Karriere wohl weiterhin seine Autogarage in Freiburg betrieben.

Wie würdest du Siffert in drei Stichwörtern beschreiben?
Genial, Schlitzohr, Nationalheld.

Warum genial?
Seppi war ein genialer Rennfahrer. Damals stiegen die Piloten in alles rein, was man ihnen hingestellt hatte. Heute wäre das alles vertraglich verboten. Seppi fuhr damals ja auch Langstrecken- und Bergrennen. Das waren alles noch richtige Racer. Auch Clay Regazzoni war so. Ich kann mich noch an eine lustige Anekdote erinnern, die zeigt, wie die Fahrer damals getickt haben.

Erzähl!
Einmal war Clay in Andeer mit seinem Privatauto viel zu schnell unterwegs. Als er von der Polizei angehalten wurde und eine Busse erhielt, meinte er nur: «Sie sollten das nächste Mal wieder vorbeikommen. Dann versuche ich, noch ein bisschen schneller zu fahren.»

Wie hast du Siffert kennengelernt?
Das muss Ende der 60er-Jahre gewesen sein, als Siffert und auch Regazzoni in der Formel 2 fuhren. Der Blick-Sportchef Fridolin Luchsinger sagte damals: «Da kommt etwas Grosses auf uns zu, über das wir berichten sollten.» Es kamen dafür zwei Journalisten in Frage. Luchsinger wählte dann mich, weil ich der jüngere Kandidat war.

Jo Siffert

Zwischen 1962 und 1971 bestritt der Freiburger 96 Formel-1-GP. Dabei gewann er zweimal (1968 in Brands Hatch und 1971 in Spielberg). 1971 verunglückte er in Brands Hatch tödlich, wohl wegen eines Bruchs der Radaufhängung. Siffert hinterliess zwei Kinder: Véronique und Philippe, der sich später auch als Rennfahrer versuchte.

Zwischen 1962 und 1971 bestritt der Freiburger 96 Formel-1-GP. Dabei gewann er zweimal (1968 in Brands Hatch und 1971 in Spielberg). 1971 verunglückte er in Brands Hatch tödlich, wohl wegen eines Bruchs der Radaufhängung. Siffert hinterliess zwei Kinder: Véronique und Philippe, der sich später auch als Rennfahrer versuchte.

Das zweite Stichwort, das du vorhin genannt hast, war Schlitzohr. Welche Episode fällt dir spontan dazu ein?
Flughafen Wien-Schwechat 1971. Damals bot mir Seppi an, meine geliebte Hermes-Baby-Schreibmaschine an Bord zu nehmen. Als ich einstieg und die Schreibmaschine nirgends war, meinte er nur: «Sorry, die habe ich auf der Damen-Toilette vergessen.» Ich sagte deshalb der Stewardess, ich müsste nochmals raus und rannte zur Toilette. Dort stand ich junger Mann dann ziemlich hilflos vor dem Damen-WC. Doch dann kam eine ältere Frau. Ich erklärte ihr, dass ein verrückter Kollege meine Schreibmaschine dort drinnen versteckt haben müsse. Und tatsächlich, hinter der Tür lag mein oranges Baby. Als ich danach wieder zurück zum Flieger rannte, wurde ich mit Beifall empfangen, da Seppi einige der Passagiere informiert hatte. So eine Aktion war typisch für ihn.

Eine Aktion von dir soll aber auch ihn mal richtig geärgert haben. Stichwort Zeltweg.
Stimmt, das war beim 1000-Kilometer-Rennen. Ich sass damals vor einer Kurve auf der Leitplanke und wechselte nach ein paar Minuten meinen Platz. Nach dem Training kam Seppi aufgeregt auf mich zu und sagte: «Gopferdammi, wegen dir bin ich fast abgeflogen. Du warst mit deinem roten Pullover immer mein Bremspunkt. Dann bist du offenbar weitergelaufen. Deshalb bremste ich zu spät und wäre beinahe gecrasht.»

Wenn wir schon bei den 1000-Kilometer-Rennen sind. Was war los in Spa 1970?
Seppis grösster Rivale war Pedro Rodriguez. Die zwei hatten sich im Team von John Wyer gehasst, Senna/Prost später war nichts dagegen. Als ich mit Seppi an der Boxenmauer stand und Rodriguez mit 300 km/h angebraust kam, nahm Seppi einen Apfel und warf ihn einfach gegen das Auto von Rodriguez.

1971 war das Schicksalsjahr von Siffert. Es fing an im Januar mit Argentinien.
Auch das war ein 1000-Kilometer-Rennen. Kurz vor dem Start bekam Siffert ein Telegramm zugeschickt. Er steckte es in seinen Rennoverall und fuhr das Rennen. Nach seinem Sieg kam ihm plötzlich das Telegramm wieder in den Sinn. Also las er es. Darin stand: «Jo, du bist wieder Papa geworden.»

Im Mai 1971 warst du dann mit Siffert an der Targa Florio.
Das war ein legendäres Rennen auf Sizilien. Eine Runde war 72 Kilometer lang. Es ging durch enge Dörfer, erst hoch, dann wieder runter ans Meer. Am Mittwoch vor dem Rennen sagte er zu mir: «Ich muss jetzt noch eine Runde fahren, komm doch einfach mit.»

Wie wars?
Unglaublich. Seppi setzte sich in seinen Knickerbocker und einem T-Shirt hinters Steuer seines Porsches 914, ich auf dem Beifahrersitz, beide natürlich ohne Helm. Dann fuhr er los. Während des Trainings war die Strecke noch nicht abgesperrt. Auf der Strasse waren die Einheimischen mit ihren Mauleseln unterwegs. Und Siffert gab richtig Gas, raste durch die Dörfer. Als wir oben auf dem Berg ankamen, sagte ich ihm, er müsse sofort anhalten. Ich konnte gerade noch die Tür öffnen, bevor ich mich übergeben musste. Just in dem Moment kam auch Rennfahrerkollege Rolf Stommelen angebraust. Er hielt an und fragte, ob er ein Problem hätte. Doch Seppi meinte nur: «Alles gut, du kannst weiterfahren, Roger hat nur gekotzt.» Nach der Runde fragte er mich dann, was ich für ein Auto hätte.

Warum?
Als ich ihm sagte, dass ich einen Volvo fahren würde, meinte er nur: «Das ist falsche Auto, du brauchst auch einen Porsche.» Danach verkaufte er mir mit vielen Prozenten einen grünen Porsche 914, den ich dann auch einige Jahre fuhr.

Auf eine Zigarre mit Roger Benoit

Er kennt die Formel 1 wie kein anderer Journalist: Blick-Reporter-Legende Roger Benoit. Seit 1967 schreibt er für Blick, ab 1970 vorwiegend über die Formel 1. Mittlerweile hat er von 811 Rennen berichtet, verfasste rund 90 GP-Berichte aus Zürich und war bei rund 1000 Testtagen dabei.

In unserer Serie «Auf eine Zigarre mit Blick-Benoit» blickt der heute 76-Jährige auf über ein halbes Jahrhundert Formel-1-Erfahrung zurück. Frauen, Partys, Streiche – was der leidenschaftliche Zigarrenraucher in dieser Zeit erlebt hat, ist heute unvorstellbar. Hier erzählt er nun regelmässig seine besten Anekdoten. Und zwar so, wie man ihn kennt (und fürchtet): direkt, ehrlich, pointiert.

Er kennt die Formel 1 wie kein anderer Journalist: Blick-Reporter-Legende Roger Benoit. Seit 1967 schreibt er für Blick, ab 1970 vorwiegend über die Formel 1. Mittlerweile hat er von 811 Rennen berichtet, verfasste rund 90 GP-Berichte aus Zürich und war bei rund 1000 Testtagen dabei.

In unserer Serie «Auf eine Zigarre mit Blick-Benoit» blickt der heute 76-Jährige auf über ein halbes Jahrhundert Formel-1-Erfahrung zurück. Frauen, Partys, Streiche – was der leidenschaftliche Zigarrenraucher in dieser Zeit erlebt hat, ist heute unvorstellbar. Hier erzählt er nun regelmässig seine besten Anekdoten. Und zwar so, wie man ihn kennt (und fürchtet): direkt, ehrlich, pointiert.

In jener Zeit erschien auch eine Blick-Schlagzeile, die Siffert gar nicht gefallen hatte.
«Jetzt ist Siffert Millionär», titelte ich damals. Da war er sauer, weil es nicht zu seinem Image des bescheidenen Mannes aus der Freiburger Unterstadt gepasst hatte. Aber inhaltlich war das richtig. Er hatte damals gutes Geld verdient und war dadurch der Armut seiner Kindheit entflohen.

Wie bescheiden wuchs die Familie Siffert denn auf?
Er hat mir mal Folgendes erzählt: «Nachts bin ich früher oft in fremde Gärten geschlichen und habe Blumen geklaut, um sie am nächsten Tag zu verkaufen.»

An einer Blick-Aktion von dir hatte er aber Spass.
Da muss ich kurz etwas ausholen. Während seiner Formel-1-Karriere fiel Siffert oft aus. Manche nannten ihn deshalb einen Motorenmörder, weil er mit den Autos nicht sehr sorgsam umging. Andere nannten ihn einen Pechvogel. Egal, als er 20 Rennen lang nicht in die Punkteränge fuhr, riefen wir die Aktion «Helft Jo Siffert!» ins Leben. Unsere Leser sollten uns Maskottchen oder Glücksbringer einschicken.

War die Aktion ein Erfolg?
Und wie, wir erhielten über 800 Einsendungen. Danach packten wir die alle ein und fuhren nach Freiburg. In Seppis Garage legten wir sie auf den Boden und setzten dann seine Tochter Véronique, die etwa zwei war, in die Mitte. Obwohl es viele Plüschtiere hatte, nahm sie immer wieder einen rot-weissen Kreisel in die Hand. Da sagte Seppi: «Den nehme ich. Das ist ab jetzt mein Glücksbringer.»

Und war es ein guter Glücksbringer?
Definitiv. Beim nächsten Rennen, dem GP von Holland, fuhr er zum ersten Mal seit 686 Tagen als Sechster wieder in die Punkteränge. Damals ging der Siebte noch leer aus …

Zwei Monate später kam es noch besser: Da gewann er in Österreich seinen zweiten GP.
Wir waren beide zuvor in Wien. Er mit seinem Porsche 914, ich mit einem Mietauto, einem blauen VW Käfer. Da sagte er mir, er hätte zu wenig Platz für sein Gepäck und wäre froh, wenn ich deshalb unter anderem noch seine Schuhe mitnehmen könnte. Ich sagte, kein Problem. Als ich in Zeltweg ankam, fragte er nur, ob ich eingeschlafen sei. Er wäre schon seit 90 Minuten hier und warte auf die Schuhe.

Während des Österreich-GP 1971 habt ihr auch über den Tod geredet.
Wenige Wochen zuvor war Pedro Rodriguez bei einem Rennen auf dem Norisring tödlich verunglückt. Als wir über den Tod sprachen, erzählte mir Seppi: «Ich glaube, dass jeder Rennfahrer so etwas wie ein Scheckheft besitzt. Und bei jedem Unfall reisst dir das Glück oder Schicksal ein Blatt aus dem Heft. Doch keiner weiss, wie viele Blätter noch in deinem Heft sind.» 70 Tage später war er tot.

Doch zuerst gewann er noch – wie schon erwähnt – den Österreich-GP.
Nach dem Rennen kam er auf mich zu und sagte, er könne unmöglich mit seinem Auto hier rausfahren, weil unzählige Fans auf ihn warten würden. Deshalb stieg er auf die Rückbank meines VW Käfers und versteckte sich unter einer Decke. Dadurch konnte er unerkannt das Gelände verlassen.

Am 24. Oktober 1971 verunglückte Siffert tödlich. Bei einem Rennen, das ursprünglich gar nicht geplant war.
Eigentlich hätte damals ein GP von Mexiko stattfinden sollen. Doch dieser wurde aus Sicherheitsgründen abgesagt, unter anderem weil ständig Hunde über die Strecke rannten. Da sagten sich die englischen Teams einfach: Dann lass uns doch in Brands Hatch ein Formel-1-Rennen austragen, das nicht zur WM zählt. Ausser Ferrari waren alle Teams am Start.

Stimmt die Legende, dass du der letzte Mensch bist, der mit Siffert geredet hat?
Ja, worüber werde ich aber nie verraten, ich bin übrigens auch der Letzte, der ihn noch in der Startaufstellung fotografiert hat. Seppi stand damals auf der Pole.

Was passierte dann?
Ich stand an den Boxen und sah plötzlich schwarzen Rauch über der Strecke. Über die Lautsprecher hiess es dann, das Rennen sei unterbrochen. Irgendwann kam Jackie Stewart angelaufen, und als er mich sah, schüttelte er nur den Kopf. Da wusste ich, dass Seppi tot ist. Es war genau 14.18 Uhr, als Siffert starb, weil zu dieser Zeit seine Uhr stehen geblieben war.

Wenig später rief Radio Beromünster bei dir an.
Am Apparat war der legendäre Radiomoderator Charles Raedersdorf. Da ich der einzige Schweizer Journalist vor Ort war, fragte er mich, ob ich Radio machen könne. Ich meinte nur, das hätte ich noch nie in meinem Leben gemacht. Danach stellte er mir live im Radio ein paar Fragen zum Tod von Siffert, die ich beantworten musste. Als Honorar dafür erhielt ich später 80 Franken.

Zu Beginn unseres Gesprächs war dein drittes Stichwort zu Siffert Nationalheld. Dass er einer war, zeigte sich bei der Trauerfeier eindrücklich.
Das war ein Staatsbegräbnis mit 50’000 Leuten in Freiburg.

Warst du einer davon?
Du kennst mich doch, ich mag keine Beerdigungen. Doch bis heute treffen sich Jahr für Jahr an seinem Todestag Menschen in Freiburg, um ihm zu gedenken. Wie wichtig Siffert für die Menschen war, zeigt übrigens noch eine kleine Anekdote eindrucksvoll.

Welche?
Ich habe früher jedes Jahr im Blick an seinem Todestag ein paar Zeilen geschrieben, im Sinn von: «Heute vor 33 Jahren verstarb Siffert.» Als ich das einmal nicht machte, rief mich eine Mutter an und erklärte mir, sie sei entsetzt, dass diese Zeilen nicht erschienen seien. Ihre Tochter hätte sich Jahr für Jahr darüber gefreut und bete jeden Abend für Seppi. Das zeigt, wie Seppi die Menschen bewegt und berührt hat. Und dass er ein echter Typ war. Kein Vergleich zu den heutigen Fahrern, die von ihren Teams und Pressefuzzis wie Marionetten durch den Formel-1-Zirkus geführt werden.

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