BLICK: Herr Surer, wie ist es, von Muammar al-Gaddafi, dem ehemaligen Staatsoberhaupt von Libyen, entführt zu werden?
Marc Surer: (lacht) Das war, als ich nach meinem schweren Rallye-Unfall 1986 im Koma lag. Ich hatte richtige Albträume, in denen er mich entführte und mir die Nieren rausnehmen wollte. Das war der absolute Horror.
Am 31. Mai 1986 verunglückten Sie bei der Hessen-Rallye schwer. Ihr Beifahrer Michel Wyder kam dabei ums Leben. Welche Erinnerungen haben Sie an diesen Tag?
Ich weiss noch, wie ich diese sehr schnelle Sonderprüfung in Angriff nahm. Dann kommt der Filmriss. Erst Wochen später wachte ich im Spital wieder auf.
Wie haben Sie von Wyders Tod erfahren?
Ich war intubiert und konnte deshalb nicht reden. Irgendwann schaffte ich es, auf einen Zettel die Frage «Wo ist Michel?» hinzukritzeln. Sie antworteten mir, dass alles in Ordnung sei und er mich bald besuchen komme. Als es mir dann Wochen später besser ging, haben sie mir die Wahrheit gesagt. Zuvor hatten sie mich angelogen, weil ich ja selber noch ums Leben kämpfte.
Direkt gefragt: Sind Sie Schuld an seinem Tod?
Diese Frage habe ich mir selber lange gestellt. Ich habe mir deshalb das Unfallvideo oft angeschaut. Man sieht darauf, dass es am linken Hinterreifen eine leichte Rauchentwicklung gab. Jahre später erhielt ich von einem Mann einen Brief, der damals Zuschauer war. Er schrieb mir, dass ich vor dem Unfall in einer Kurve mit dem Reifen die Mauer eines Blumenbeetes touchiert hätte. Möglicherweise ging dabei der Reifen kaputt.
Hilft so eine Erklärung bei der Verarbeitung?
Ja, meine Schuld ist zwar noch immer da, aber mit dieser Erklärung konnte und kann ich besser leben.
Sie selbst wurden beim Unfall schwer verletzt. Grenzt es an ein Wunder, dass Sie überlebt haben?
Ich habe mein Leben einem Streckenposten zu verdanken. Da der Baum, mit dem wir touchierten, den Tank traf, explodierte das Auto. Ich brannte lichterloh. Der Streckenposten nahm mich und legte mich zum Löschen in einen Bach. Das hat mir das Leben gerettet.
Beim Indy 500, das zeitgleich stattfand, wurde über Lautsprecher bereits Ihr Tod vermeldet.
Auch beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans wurde mein Tod verkündet. Niemand konnte sich damals vorstellen, dass man bei so einem Crash lebendig davon kommt.
Bevor wir über weitere spektakuläre Momente in Ihrem Leben reden, möchte ich von vorne beginnen. Wollten Sie schon als Kind Rennfahrer werden?
Nein, ich war damals fasziniert von Cowboy-Filmen und Pferden. Deshalb habe ich später, als ich Formel-2-Europameister wurde, mir auch gleich mein erstes eigenes Pferd gekauft.
Wie sind Sie aufgewachsen?
Ab etwa zehn Jahren auf einem Bauernhof. Das war der Traum meines Vaters, der zuvor für Ciba-Geigy gearbeitet hatte und der dann mit dem verdienten Geld einen kleinen Bauernhof mit etwa 20 Kühen kaufte.
Haben Sie im Stall mitgeholfen?
Natürlich, es war ein richtiger Familienbetrieb. Ich fuhr dann schnell einmal den Traktor.
Wie sind Sie zum Motorsport gekommen?
Ich machte eine Lehre als Schlosser. Ein Arbeitskollege von mir fuhr Kart-Rennen. Ich begleitete ihn dann als Mechaniker zu den Rennen und durfte dort jeweils den Motor einfahren. Irgendwann kam er zu mir und sagte: «Du bist ja schneller als ich. Das nächste Rennen fährst du, und ich bin dein Mechaniker.» So fing alles an.
Was sagte Ihr Vater dazu?
Der hat mich zuhause rausgeworfen. «Wenn du Zeit und Geld für so einen Blödsinn hast, musst du nicht mehr bei uns wohnen», sagte er mir. Er war halt darauf angewiesen, dass ich auf dem Hof mithalf. Doch weil ich an den Wochenenden dann Rennen fuhr, hat es ihm ausgehängt. Später war er aber dann doch stolz auf mich.
1979 haben Sie es endlich in die Formel 1 geschafft. Der Legende nach dank BLICK-Reporter-Urgestein Roger Benoit.
Die Legende stimmt, er hat das eingefädelt, ohne dass ich davon etwas wusste. Als ich in Donington Formel-2-Europameister wurde, kam Roger abends an der Feier zu mir und sagte: «Du testest in wenigen Tagen den Formel-1-Ensign.» Doch dann wäre mir meine Pferdeliebe beinahe zum Verhängnis geworden.
Warum?
Ich ging zuerst noch für zwei, drei Tage nach Hause. Wenige Stunden bevor mein Flieger nach England abhob, ging ich reiten. Ich wollte ein Pferd auf die Seite scheuchen. Doch dann schlug es aus und traf mich voll im Magen. Ich war sogar kurz bewusstlos und wachte auf dem Stallboden liegend wieder auf. Ich stieg dann mit starken Schmerzen im Bauch in den Flieger.
Und wie verlief der Test?
Naja, meine Leistung war nicht überragend. Ich hatte vor allem beim Bremsen heftige Schmerzen. Zum Glück durfte ich dann eine Woche später noch einmal testen.
Ein halbes Jahr später hatten Sie Ihren ersten schweren Unfall. In Kyalami 1980 brachen Sie sich beide Fussgelenke.
Ich fuhr wegen Bremsproblemen geradeaus in eine Mauer. Zuerst war ich überrascht, dass ich überhaupt noch lebte, dann wollte ich möglichst schnell aussteigen, weil die Fahrzeuge damals sehr schnell Feuer fingen. Doch ich kam nicht mehr raus, da ich eingeklemmt war. Die Schmerzen waren höllisch.
Wie lange fielen Sie aus?
Nicht sehr lange. Wenn du neu in der Formel 1 bist, musst du dich beweisen. Die Splitterbrüche wurden zusammengeschraubt und ich fuhr dann bald wieder einmal mit Schmerztabletten.
Zwei Jahre später crashten Sie erneut in Kyalami und wieder kehrten Sie schnell zurück. Dies soll sogar den legendären Enzo Ferrari beeindruckt haben.
Ich war damals bei Arrows unter Vertrag. Mein Ersatzfahrer, der mich während meiner Verletzung vertrat, konnte sich jeweils nicht für die Rennen qualifizieren. Als ich zurückkehrte, gelang mir das auf Anhieb. Das hat Enzo Ferrari beeindruckt. «So einen müssen wir haben», hat er nach dem tödlichen Unfall von Gilles Villeneuve offenbar gesagt. Er nahm dann Kontakt zu Ex-Ferrari-Rennleiter Daniele Audetto auf, der mir mitteilte: «Ich kann dich zu Ferrari bringen, aber ich will die Hälfte deines Einkommens.»
Was antworteten Sie?
Ich sagte natürlich ja, hatte aber immer noch einen Vertrag mit Arrows. Die fuhren damals mit Pirelli-Reifen, hätten aber lieber wie Ferrari Goodyear gehabt. Also sagten die Arrows-Chefs: «Wenn Ferrari uns Goodyear-Reifen gibt, darfst du gehen.» Enzo Ferraris Antwort dann: «Mit mir macht man keine Deals.» Und Aus war der Traum.
Apropos Arrows. Der Teamchef Alan Rees soll Sie mal gefragt haben: «Welchen Reifen willst du?» Kennen Sie noch Ihre Antwort?
Nein.
«Die Schwarzen!» Rees sei dann stinkwütend gewesen und hätte gesagt, beim nächsten Spruch würde er Sie entlassen.
Das kann schon sein, Rees hatte nicht viel Humor.
BLICK wählt die Sport-Champions des Jahres! Weil die traditionellen «Sports Awards» bei der SRG im Corona-Jahr 2020 den «Besten aus 70 Jahren» weichen müssen, springen wir in die Bresche. Denn auch dieses Jahr gab es grosse Leistungen, die es zu honorieren gilt. Die BLICK-Sportredaktion hat die stärksten Athleten und Athletinnen des Jahres nominiert.
Eine Jury aus ehemaligen Sportlerinnen und Sportlern des Jahres sowie die BLICK-Leser küren den Sieger, wobei Jury-Voten und Leser-Abstimmung zu jeweils 50 Prozent zählen. Die Sieger werden am Sonntag, 13.12. bekannt: In einer Blick-TV-Spezialsendung küren Schwingerkönig Christian Stucki, Eiskunstlauf-Legende Sarah van Berkel und Rad-Olympiasieger Fabian Cancellara die besten Sportler des Jahres.
Der Preis: BLICK spendet im Namen der beiden Sieger in den Hauptkategorien (Sportlerin und Sportler des Jahres) je 2000.- Franken an eine Nachwuchs-Sportorgnisation ihrer Wahl.
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Eine Jury aus ehemaligen Sportlerinnen und Sportlern des Jahres sowie die BLICK-Leser küren den Sieger, wobei Jury-Voten und Leser-Abstimmung zu jeweils 50 Prozent zählen. Die Sieger werden am Sonntag, 13.12. bekannt: In einer Blick-TV-Spezialsendung küren Schwingerkönig Christian Stucki, Eiskunstlauf-Legende Sarah van Berkel und Rad-Olympiasieger Fabian Cancellara die besten Sportler des Jahres.
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Ein anderer Teamchef von Ihnen war bei Brabham Bernie Ecclestone. 1985 in Monza wurden Sie knapp hinter Ayrton Senna Vierter, obwohl Sie ihn mit dem BMW-Turbo-Motor eigentlich hätten überholen können. Daraufhin sagte er zu Benoit: «Surer ist soeben zurückgetreten, nur weiss er es noch gar nicht.»
Mein Plan war es, Senna in der letzten Runde zu überholen. Doch ich hatte so starke Vibrationen, dass ich die Boxentafel nicht lesen konnte. Ich dachte, das Rennen würde noch eine Runde länger gehen. Als ich auf der Start-Zielgeraden zum Überholen ansetzte, wurde ich abgewunken. Das war sicherlich mein Fehler.
In Ihrer gesamten Formel-1-Karriere fuhren Sie nie aufs Podest. Woran lags?
Ich hatte sicherlich nie Glück. In Brands Hatch 1985 schied ich auf Platz 2 liegend wegen eines Turbo-Schadens aus. In Monaco 1983 wurde ich an dritter Stelle liegend von Derek Warwick abgeschossen. Und in Adelaide 1985 wäre ich auch aufs Podest gefahren, wenn nicht eine Einspritzpumpe kaputt gegangen wäre.
Lag es nur am fehlenden Glück?
Definitiv nein! Ich war wohl auch zu wenig verbissen und hatte nicht jedes Detail ausgelotet, um noch schneller zu werden. Ich war schon happy genug, es in die Formel 1 geschafft zu haben. Thierry Boutsen zum Beispiel hatte sich jeweils mit den Ingenieuren befreundet und bekam so bessere Teile. Ich habe das nicht gemacht.
Sind Sie trotzdem zufrieden?
Das grösste Kompliment hat mir mal Weltmeister Keke Rosberg gemacht. Er sagte: «Im Regen habe ich nur einen Gegner, das ist der Surer.»
Haben Sie eigentlich gut verdient?
Nein, immer zu wenig. Als Boutsen von Arrows zu Benetton ging, sagte er mir: «Weisst du Marc, wenn du in ein Top-Team aufsteigst, kannst du an die Summe, die wir bei Arrows verdient haben, eine Null anhängen.»
Waren die 80er-Jahre in der Formel 1 so wild, wie es heute rückblickend heisst?
Ja, damals konnte man im Gegensatz zu heute mit Risiko noch Zeit gutmachen. Wir haben es auch abseits der Pisten krachen lassen, denn wir wussten: Wenn du crashst, wirst du es vielleicht nicht überleben. Wir waren uns immer bewusst, dass alles irgendwann schnell zu Ende gehen kann.
Haben Sie damals auch Blödsinn angestellt?
Das kam schon mal vor. Ich kann mich noch an eine Episode in Spa erinnern.
Schiessen Sie los!
Abends nach dem Training wollte ich mit dem Auto die Rennstrecke verlassen. Da kam ein Ordner und sagte mir, ich dürfe hier nicht raus. Er stellte sich einfach vor mein Auto und versperrte mir den Weg. Also fuhr ich leicht nach vorne. Er legte sich dann auf meine Motorhaube und sagte: «Nur über meine Leiche.» Also legte ich den Rückwärtsgang ein, fuhr zurück und er fiel runter auf den Boden. Dann fuhr ich raus.
Hatte das ganze ein Nachspiel?
Ja, am nächsten Tag kam mein Teamchef und sagte, er hätte wegen mir 1000 Dollar Strafe bezahlen müssen. Sonst hätte das Team nicht am Rennen teilnehmen dürfen.
Sie haben zeitgleich auch viele Rennen ausserhalb der Formel 1 bestritten und dabei viele Rennfahrerkollegen verloren. 1981 haben Sie gar beinahe einen Toten überfahren.
Das war ein Horror-Erlebnis. 24 Stunden von Le Mans. Auf der langen Hunaudières-Geraden hatte Jean-Louis Lafosse offenbar einen Reifenplatzer. Ich kam dann angerauscht und sah die riesige Staubwolke. Als ich bremste und durch diese durchfuhr, sah ich das Wrack und wie er tot aus dem Fahrzeug raushing, die Füsse noch im Auto. Ich hätte ihn beinahe überfahren. Dieser Anblick ging mir lange nach, denn ich war mir bewusst: Das hätte auch ich sein können.
1985 kam Ihnen der Tod noch näher.
Das 1000-Kilometer-Rennen von Mosport, das ich zusammen mit Manfred Winkelhock bestritt. Ich übergab ihm das Auto und in der ersten fliegenden Runde crashte er nach einem technischen Defekt und starb.
Wie nahe ging Ihnen das?
Sehr nahe, Manfred war mein Freund. Er kam noch schwerverletzt ins Spital. Weil sich vom Team niemand darum kümmerte, lag alles an mir. Ich redete mit den Ärzten, rief seine Frau und seine Familie an. Holte sie dann am Flughafen ab und brachte sie ins Spital. Doch leider überlebte Manfred den Unfall nicht.
Wie gingen Sie mit der Angst vor tödlichen Unfällen um?
Ich war mir immer bewusst, dass es auch mich erwischen kann. Natürlich hat man immer gehofft, dass es die anderen erwischt. Doch nach dem Unfall von Manfred machte ich mir ernsthafte Gedanken übers Aufhören. Ich entschied mich dann, es wenige Tage später beim nächsten Formel-1-Rennen in Österreich nochmals zu versuchen. Das Erstaunliche daran: Sobald ich im Fahrzeug sass, konnte ich die Gedanken verdrängen. Deshalb setzte ich meine Karriere fort.
Sind Sie jeweils an die Beerdigungen Ihrer Kollegen gegangen?
Nur bei Manfred, sonst nie. Das war ein bewusster Entscheid. Ich wollte die Fahrer immer so in Erinnerung behalten, wie ich sie gekannt hatte.
1986 titelte BLICK: «Zwei Frauen kämpfen um Formel-1-Star Marc Surer!» Was stimmte daran eher: Dass Sie ein Formel-1-Star waren? Oder dass zwei Frauen um Sie kämpften?
(Lacht) Naja, das mit den zwei Frauen stimmte.
Waren Sie ein Playboy?
Sagen wir es so: Schöne Frauen haben mich immer fasziniert. Ich habe einfach das Leben genossen und meine Chancen wahrgenommen. Wenn Sie dem Playboy sagen wollen, lasse ich das gelten.
Sie werden im nächsten Jahr 70. Haben Sie noch Träume?
Ich bin total glücklich, dass ich überlebt habe und konnte all meine Träume erfüllen. Ich habe eine gute Frau und besitze eine kleine Pferde-Ranch. Ich mache jetzt nur noch, was ich möchte und geniesse das Leben.
Letzte Frage, mit aktuellem Bezug zur Corona-Krise. Sie sollen bereits 1983 die «Schweizer Grippe» nach Österreich importiert haben?
(Lacht) Das stimmt. Wir hatten vorher mein neues Haus eingeweiht. Dort war auch eine Frau dabei, die die Grippe hatte. Sie hat mich offenbar angesteckt. Ich wollte dann in Österreich zur Jänner-Rallye starten. Zuerst gab ich dort den Virus meinem Beifahrer weiter und dann noch dem halben Team. Deshalb mussten wir schliesslich die Rallye aufgeben und das Team sprach nur noch von der «Schweizer Grippe» ...