Die längste F1-Saison der Geschichte ist zu Ende
Ein Sprücheklopfer, ein Sorgenkind – und der Kuss des Jahres

Die 75. Formel-1-Saison ging erstmals mit 24 Rennen über die Bühne. Sie sorgte für etliche Geschichten, Emotionen und Aufreger. Der grosse Jahresrückblick von Formel-1-Reporter Roger Benoit.
Publiziert: 10.12.2024 um 00:14 Uhr
|
Aktualisiert: 10.12.2024 um 17:14 Uhr
1/20
In Abu Dhabi werden am Dienstag bereits erste Tests im Hinblick auf nächste Saison absolviert.
Foto: Lukas Gorys
2 Frage21 Tupfer Benoit1_2 Benoit1_18 Aufmacher3.JPG
Roger BenoitFormel-1-Experte

Test des Jahres: Nach Saisonschluss

Die Formel 1 sagt der längsten Saison aller Zeiten (24 GP, 6 Sprints) am Dienstag mit einem neunstündigen Testtag ade. Dabei kommen bei Audi-Sauber (Hülkenberg, Bortoleto) und Haas (Ocon, Bearman) beide neuen Fahrer zum Einsatz. Wie der emotional angeschlagene Sainz («der Ferrari-Abschied tut weh») bei Williams und der am Wochenende kranke Antonelli bei Mercedes. Red Bull testet Tsunoda und Hadjar. Hamilton ist nicht dabei. Er geht auf seine weltweite Mercedes-Abschiedstour.

Knaller des Jahres: Lewis Hamilton

Bevor die Saison begann, blieb am 1. Februar Mercedes-Chef Wolff im eigenen Haus das Frühstück im Hals stecken. Der eingeladene Sir Lewis Hamilton (39) verkündete ihm: «Ich verlasse euch. Ich fahre 2025 für Ferrari!» Der rote Aktienkurs stieg sofort um 12 Prozent. Noch zweifeln viele Fans, ob es der Brite nochmals packt. In Abu Dhabi zeigte er allen seine Kämpferqualitäten. Wie beim Silverstone-Sieg nach fast drei Jahren!

Hamilton verabschiedet sich von seinem Mercedes
0:26
Emotionaler Moment:Hamilton verabschiedet sich von seinem Mercedes

Klinkenputzer des Jahres: Mick Schumacher

Das mediale Theater dauerte bis zum letzten Rennen. Dann hatte Mick Schumacher (25) alle Formel-1-Türen abgeklopft. Der berühmte Name öffnete ihm nach zwei Jahren Pause keine. Da halfen auch alles Bitten und Betteln seiner Mutter Corinna und Managerin Sabine in vielen Teamräumen nichts. Bei Williams bekam er die ehrliche Antwort: «Mick ist ein guter, aber kein aussergewöhnlicher Fahrer.»

Rauswurf des Jahres: Andreas Seidl

Er kam von McLaren und war in Hinwil als grosser Chef für das Audi-Projekt 2026 vorgesehen. Er musste also das Sauber-Team bis an die Premieren-Türe der Deutschen führen, Personal einstellen, Infrastruktur schaffen. Doch Seidl stolperte über Oliver Hofmann, den Audi als Supervisor eingesetzt hatte. Es kam zum Kompetenz-Streit. Audi feuerte beide und holte im Sommer Ex-Ferrari-Chef Mattia Binotto und Red-Bull-Direktor Jonathan Wheatley ...

Schrott-Team des Jahres: Williams-Mercedes

Insgesamt elfmal brachten die Abschleppwagen 2024 mehr oder weniger zerstörte Williams an die Boxen zurück. Albon produzierte vier Unfälle, genau wie Einsteiger Colapinto. Der gefeuerte Sargeant brachte es auf drei schwere Unfälle. Der WM-Vorletzte mit 17 Punkten schaffte es mit den letzten Ersatzteilen gerade noch zum Finale in Abu Dhabi. Dort verpasste Albon (11.) den letzten Punkt.

Spruch des Jahres: Valtteri Bottas

Wer mit 10 Siegen, 20 Pole-Positionen und 67 Podestplätzen die Formel 1 ohne WM-Punkte in der letzten Saison verlassen muss, ist sicher auch der Verlierer des Jahres. Doch ein Spruch in der Verzweiflung der aktuellen Situation war noch stärker. Der Finne in Singapur: «Ich fahre heute besser als bei Mercedes.» Jetzt darf er nach zwei Crashes in Abu Dhabi zu den Silberpfeilen zurück – als dritter Pilot. Auf diesem Ersatz-Posten wartete schon Mick Schumacher auf ein Wunder. Nach dem Crash-Finale zeigte Bottas sein wahres Gesicht: «Die drei Jahre bei Sauber waren ein Fehler!»

Sauber-Team verabschiedet sich von Bottas und Zhou
0:29
Nach drei Jahren:Sauber-Team verabschiedet sich von Bottas und Zhou

Marathon-Mann des Jahres: Oscar Piastri

Dem 23-jährigen Australier gelang 2024 ein seltenes Kunststück – der WM-Vierte drehte in seiner erst zweiten Saison im McLaren-Mercedes alle Rennrunden, also 1386. Diese Marathon-Bestleistung erreichten bis jetzt erst drei Superstars, die im gleichen Jahr Weltmeister wurden: Michael Schumacher (2002), Hamilton (2019) und Verstappen (2023). Piastri hatte in 46 Rennen erst drei Ausfälle.

Comeback des Jahres: Flavio Briatore

Mit 74 Jahren ist noch niemand in die Formel 1 zurückgekehrt. Doch im Sommer holte ihn Renault-Boss Luca de Meo als Berater und Rettungsengel zum am Boden liegenden Alpine-Team. Der Italiener war 1994/95 (mit Schumacher, Benetton) und 2005/2006 (mit Alonso, Renault) für vier WM-Titel verantwortlich. 2008 wurde Briatore wegen des «Crashgates» in Singapur (absichtlicher Piquet-Unfall, um Alonso zu helfen) für fünf Jahre gesperrt.

Sorgenkind des Jahres: Sergio Pérez

Nach vier Podestplätzen in den ersten fünf Rennen war für Vizeweltmeister Pérez die Welt noch in Ordnung. Sein Vertrag wurde um zwei Jahre verlängert. Dann begann bei Red Bull ein Absturz mit Folgen: 285 Punkte weniger als Weltmeister Verstappen – und dadurch nur WM-Rang drei für die Bullen. Jetzt ist der Mexikaner für 2025 seinen Job los. Nachfolge-Favorit: Lawson.

Schlusslicht des Jahres: Sauber

Man kann es drehen und wenden, wie man will: Das Hinwiler Team erlebte die schlechteste Saison seit 2014 (null Punkte). Die vier Zähler von Zhou in Katar hellten zwar die Mienen in der Truppe kurz auf. Doch es war nach drei Jahren längst Zeit, Bottas und Zhou zu ersetzen. Mit Formel-2-Meister Bortoleto und Haas-Sensation Hülkenberg (41 Punkte) kommt Hoffnung und Leben ins letzte Jahr vor dem Audi-Einstieg.

Zahl des Jahres: 400

Der Spanier Fernando Alonso feierte das einzigartige Jubiläum zwar in Mexiko. Aber tatsächlich wurde der zweifache Weltmeister erst in Katar 400 Rennen alt. Denn dreimal war er zwar dabei (wie beim Reifenskandal in Indy 2005, als nur drei Teams starteten), aber er sah nie die Startlichter. «Solange ich Spass habe, werde ich noch im Aston Martin sitzen.» Seine Einsätze werden dort mit Millionen vergoldet. Okay, für zwei WM-Titel und 32 Siege – zuletzt in Spanien 2013.

Podest des Jahres: Brasilien

Ja, wenn es regnet, schreibt die Formel 1 immer dramatischere Geschichten. Wie in Interlagos, als Verstappen aus der 17. Startposition wie Moses über das Wasser fuhr. 17-mal verbesserte er den Rundenrekord. Doch die Sensation waren die zwei Fahrer, die mit ihm aufs Podest kletterten: Ocon und Gasly im Alpine. Es war 2024 das einzige Mal, dass nicht Fahrer aus den vier Topteams die ersten drei Plätze belegten.

Applaus des Jahres: Sieben Fahrer siegten

Das gab es seit der Hybrid-Ära (ab 2014) noch nie. Erstmals siegten sieben Piloten, aus eigener Kraft – nur der Teamkollege von Champion Verstappen, Pérez, blieb ohne Erfolg. Während der Holländer neunmal vorne lag, jubelten Norris vier- und Leclerc dreimal. Auf zwei Siege brachten es Russell, Hamilton, Piastri und Sainz. Aber aufgepasst: Im wilden Jahr 1982 gewannen sogar elf Fahrer aus sieben Teams.

Dusche des Jahres: Fürst Albert von Monaco

Nach 93 Jahren Wartezeit im Fürstentum: Mit Charles Leclerc (Ferrari) siegte wieder ein Einheimischer beim Chaos-Spektakel – nach Louis Chiron 1931 auf Bugatti. 1955 beendete Chiron mit 58 Jahren, Platz 6 und fünf Runden Rückstand in Monte-Carlo auf Lancia seine Karriere. Der Nationalstolz liess 2024 Fürst Albert ausflippen. Er verspritzte in der Ehrenloge den Champagner, als hätte er selbst gewonnen.

Absteiger des Jahres: Aston Martin-Mercedes

Die Hoffnung bei den Grünen (nach nur 26 Punkten in den letzten zwölf Rennen) hat einen Namen: Aero-Guru Adrian Newey (66). Das Superhirn mit über 200 GP-Siegen verliess nach 18 Jahren Red Bull – und lehnte ein Ferrari-Angebot ab, blieb mit Aston Martin lieber auf der Insel. Kann er bereits 2025 die Talfahrt stoppen? Ein 5. WM-Rang mit nur 94 Punkten ist dem milliardenschweren Teambesitzer Lawrence Stroll zu wenig: «Ich will den Titel.» Vielleicht sollte er mal Sohn Lance entlassen …

Kuss des Jahres: Zehnder/Zhou

Kein Hinwiler Mitarbeiter hat sich in den über 30 Jahren von Sauber in der Formel 1 mehr über WM-Punkte gefreut als Beat Zehnder (58). Das Zürcher Urgestein trat in Abu Dhabi mit Tränen in den Augen als Sportdirektor ab. Er arbeitet dann vor allem hinter den Kulissen weiter, wird aber in Imola 2025 den 600. GP «seines» Teams live mitfeiern. Für die einzigen Punkte des Jahres bekam Zhou (8. in Katar) von Zehnder beim Finale einen dicken Schmatzer. Blick-Fotograf Lukas T. Gorys war dabei.

Weltmeister des Jahres: Verstappen und McLaren

Nach einem tollen Start (sieben Siege in den ersten zehn Rennen) kam für Verstappen die Durststrecke mit elf sieglosen Auftritten. Doch die nasse Show in Brasilien genügte dem Holländer zum vierten Titel. Und beim Finale verkündete er stolz, dass er Vater wird. Mit McLaren-Mercedes holte nach 26 Jahren das stärkste und ruhigste Team wieder den Titel – mit 14 Punkten Vorsprung auf Ferrari, das auf und neben der Strecke mehr Fehler machte. Aber die Roten sind 2025 heiss.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?