Blick-Legende Roger Benoit über seine Freundschaft zu Niki Lauda
«Der Priester fiel mir nach der letzten Ölung vor die Füsse»

Formel-1-Weltmeister Niki Lauda und Blick-Reporter-Legende Roger Benoit – das passte. Eine innige Freundschaft, in der über alles geredet wurde: über Sex, Selbstmordversuche und Geheimnisse.
Publiziert: 17.12.2024 um 23:58 Uhr
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Szenen einer «Ehe»: Roger Benoit (l.) und Niki Lauda 2001.
Foto: Jimmy Froidevaux
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Daniel LeuStv. Sportchef

Lieber Roger, lass uns heute über Niki Lauda reden, der 2019 in der Zürcher Uniklinik verstorben ist. Wie sehr vermisst du ihn?
Roger Benoit: Sehr. Als Mensch und als Freund, da wir uns sehr nahestanden.

Wenn du heute an ihn denkst: Was kommt dir spontan in den Sinn?
Natürlich seine legendäre rote Kappe. Und sein Todesdatum, der 20. Mai 2019, denn am gleichen Tag wurde einer der grössten Formel-1-Visionäre 75 – Laudas Landsmann Didi Mateschitz.

Hast du Lauda mal ohne Kappe gesehen?
Ja, im Privaten ist er oft ohne Kappe rumgelaufen, denn Niki war einer der uneitelsten Menschen, den ich kannte.

Was zeichnete den Rennfahrer und Menschen Niki Lauda aus?
Die Unerschrockenheit, die er im Leben hatte, nahm er auch auf die Rennstrecken mit. Gleichzeitig war er einer der intelligentesten Rennfahrer, den ich bis heute kennengelernt habe. Und er hatte auch noch einen Blick fürs Weltgeschehen. Ähnlich wie später Sebastian Vettel.

Erinnerst du dich noch, wie du ihn kennengelernt hast?
Das weiss ich nicht mehr. Einmal fuhr er aber in Zolder ein Formel-3-Rennen, bei dem er böse abflog und voll in eine Ambulanz reinkrachte. Das war danach auch im Formel-1-Fahrerlager ein Thema. Alle dachten damals: Was ist das denn für ein Wahnsinniger?

Das ist Niki Lauda

Der Österreicher zählt zu den erfolgreichsten Formel-1-Fahrern aller Zeiten. 1975 (Ferrari), 1977 (Ferrari) und 1984 (McLaren) wurde er Weltmeister. Niki Lauda gewann insgesamt 25 Rennen und fuhr 54 Mal aufs Podest. 1979 gründete er die Lauda Air. 1991 stürzte eine seiner Maschinen über Thailand ab. Dabei kamen 223 Menschen ums Leben. Benoit: «Diese Tragödie hat ihm sehr zugesetzt und gezeigt, dass der Rennsport nicht alles ist.» Zwischen 2012 und seinem Tod 2019 war Lauda Aufsichtsratsvorsitzender des Formel-1-Teams von Mercedes. Der fünffache Vater war zweimal verheiratet.

Der Österreicher zählt zu den erfolgreichsten Formel-1-Fahrern aller Zeiten. 1975 (Ferrari), 1977 (Ferrari) und 1984 (McLaren) wurde er Weltmeister. Niki Lauda gewann insgesamt 25 Rennen und fuhr 54 Mal aufs Podest. 1979 gründete er die Lauda Air. 1991 stürzte eine seiner Maschinen über Thailand ab. Dabei kamen 223 Menschen ums Leben. Benoit: «Diese Tragödie hat ihm sehr zugesetzt und gezeigt, dass der Rennsport nicht alles ist.» Zwischen 2012 und seinem Tod 2019 war Lauda Aufsichtsratsvorsitzender des Formel-1-Teams von Mercedes. Der fünffache Vater war zweimal verheiratet.

1973 durftest du ihn und seine Familie auf Ibiza besuchen. Es soll ein legendäres Treffen gewesen sein und der Beginn eurer Freundschaft.
Das war es. Ich traf ihn für ein deutsches Magazin. Heute undenkbar, aber damals rief ich ihn einfach an, und er lud mich zu sich nach Santa Eulalia ein. Wir redeten dann sechs Stunden miteinander. Dabei flogen Konfitürengläser und Fleischstücke durch die Luft.

Warum?
Niki und seine damalige Frau Marlene gaben es sich so richtig. Sie sagte immer, er sei ein Wahnsinniger, und er meinte, sie sei ebenfalls eine Wahnsinnige. Was sie am meisten an ihm aufregte, war übrigens die Tatsache, dass er die Zahnpastatube jeweils nicht richtig zugemacht hatte. Heute würde man sagen, dass sie eine schrecklich nette Familie waren. Aus dem Interview wurden schliesslich vier Teile gemacht. Zum Glück musste ich das nicht alles selber abtippen, ich schickte damals einfach die Kassetten zur Sekretärin nach München, die dann diesen unliebsamen Job übernehmen musste.

Ebenfalls 1973 tätigte er einen bis heute legendären Satz: «Wir werden nicht fürs Parkieren bezahlt.»
Damals verunglückte Roger Williamson in Zandvoort schwer. Er lag kopfüber in seinem brennenden March. Während David Purley anhielt und versuchte, ihn zu retten, fuhren alle anderen an ihm vorbei, auch Niki. Als er nach dem Rennen darauf angesprochen wurde, sagte er nur: «Wir werden nicht fürs Parkieren bezahlt.» Das war einer der dümmsten Sätze, die ich je gehört habe. Niki hat halt immer gesagt, was er gedacht hat, und erst nachher darüber nachgedacht, was er gesagt hat.

Hast du ihm das auch selber mal gesagt?
Klar, wir hatten keine Geheimnisse voreinander. Ich habe ihm ein paarmal gesagt: «Dass du an Williamson vorbeigefahren bist und nicht angehalten hast, war okay, aber dann hättest du nachher einfach die Klappe halten sollen.» Niki hat meine Ehrlichkeit immer geschätzt. Ich war nicht wie die österreichischen Journalisten, die wegen ihres Patriotismus kaum wagten, ihn zu kritisieren.

Hast du ein Beispiel dafür?
Monza, das Jahr weiss ich nicht mehr. Im Training fuhr er raus und flog dann gleich in der ersten Runde in der Parabolica ab. Als er zurück in die Boxengasse kam, wartete ich zusammen mit zwei österreichischen Journalisten auf ihn. Einer fragte ihn: «Was war los? Waren die kalten Reifen schuld?» Lauda sagte nur: «Nein, ich bin einfach abgeflogen.» Doch die Kollegen hakten nach: «Da war doch bestimmt Öl auf der Strecke, oder?» Lauda: «Nein, schreibt auf: Der Niki Lauda hat einen Fehler gemacht.» Und was stand am anderen Tag in einer österreichischen Zeitung? «Lauda auf Öl ausgerutscht.»

Auf eine Zigarre mit Roger Benoit

Er kennt die Formel 1 wie kein anderer Journalist: Blick-Reporter-Legende Roger Benoit. Seit 1967 schreibt er für Blick, ab 1970 vorwiegend über die Formel 1. Mittlerweile hat er von 811 Rennen berichtet, verfasste rund 90 GP-Berichte aus Zürich und war bei rund 1000 Testtagen dabei.

In unserer Serie «Auf eine Zigarre mit Blick-Benoit» blickt der heute 75-Jährige auf über ein halbes Jahrhundert Formel-1-Erfahrung zurück. Frauen, Partys, Streiche – was der leidenschaftliche Zigarrenraucher in dieser Zeit erlebt hat, ist heute unvorstellbar. Hier erzählt er nun regelmässig seine besten Anekdoten. Und zwar so, wie man ihn kennt (und fürchtet): direkt, ehrlich, pointiert.

Er kennt die Formel 1 wie kein anderer Journalist: Blick-Reporter-Legende Roger Benoit. Seit 1967 schreibt er für Blick, ab 1970 vorwiegend über die Formel 1. Mittlerweile hat er von 811 Rennen berichtet, verfasste rund 90 GP-Berichte aus Zürich und war bei rund 1000 Testtagen dabei.

In unserer Serie «Auf eine Zigarre mit Blick-Benoit» blickt der heute 75-Jährige auf über ein halbes Jahrhundert Formel-1-Erfahrung zurück. Frauen, Partys, Streiche – was der leidenschaftliche Zigarrenraucher in dieser Zeit erlebt hat, ist heute unvorstellbar. Hier erzählt er nun regelmässig seine besten Anekdoten. Und zwar so, wie man ihn kennt (und fürchtet): direkt, ehrlich, pointiert.

1976 verunglückte Lauda auf der legendären Nordschleife schwer und kämpfte danach während Tagen ums Überleben.
Ich durfte damals zusammen mit Marlene in die Unfallklinik Ludwigshafen und wartete tagelang in den Gängen auf Neuigkeiten. Als einziger Reporter weltweit. Am Freitag nach dem Unfall ging plötzlich die Tür auf, der Priester stolperte aus dem Zimmer raus und fiel mir regelrecht vor die Füsse. Ich verstand die Welt nicht mehr, doch wenig später kam auch Marlene raus und sagte nur: «Der Idiot hat dem Niki die Letzte Ölung gegeben.» Als ich später mit Niki mal darüber sprach, sagte er mir: «Als ich die Hand vom Priester auf meiner Stirn spürte, sagte ich mir: So kannst du nicht abtreten. Da wusste ich, dass ich kämpfen musste.»

Und wie er gekämpft hat. 40 Tage nach seinem Unfall nahm er bereits wieder an einem GP teil.
In Monza wurde er auf Ferrari gleich Vierter. Das war wohl das grösste Comeback der Formel-1-Geschichte. Beim letzten GP des Jahres im japanischen Fuji zeigte er aber das erste Mal auch gegen aussen sein menschliches Gesicht. Als es unglaublich stark regnete, fuhr er an die Boxen, gab auf und erklärte: «Ich will mich nicht noch einmal umbringen …» So schenkte er seinem Rivalen James Hunt mit einem Punkt Vorsprung den WM-Titel. Da fällt mir der Inhalt des legendären Films «Rush» ein. Da wurden die beiden praktisch zu Feinden abgestempelt, dabei wurden die zwei beste Freunde. James lernte Niki den Umgang mit den Frauen, und der Österreicher brachte dem Briten einige Tricks im Cockpit bei.

Lauda erlitt beim Unfall 1976 starke Verbrennungen und verlor dabei einen Grossteil eines Ohrs. Störte ihn das?
Nein, wie zu Beginn des Gesprächs gesagt, war er uneitel. Er lehnte auch Schönheitsoperationen ab, weil die nur Geld kosten, aber nichts bringen, wie er oft sagte. Das klingt jetzt vielleicht komisch, aber die Folgen des Unfalls haben ihn attraktiver gemacht. Vorher sah er aus wie ein langweiliger Internatsschüler, nach den Verbrennungen aber wie ein echter Rennfahrer. Ich habe ihm deshalb oft gesagt: «Niki, ohne deine Verletzungen im Gesicht würdest du in der Discothek keine Frau finden.»

Und wie hat er jeweils darauf reagiert?
Er hat immer nur gelacht.

Apropos Nordschleife. Dort durftest du mal mit Lauda in seinem privaten Mercedes auf dem Beifahrersitz für eine Runde Platz nehmen. Wie wars?
Sehr schnell. Vor dem Start meinte er nur: «Schnall dich gut an.» Dann gings los. Mir war richtig übel. Kurz vor Schluss sagte er: «Wenn du die Runde unter sieben Minuten fahren willst, musst du in der nächsten Streckenpassage voll auf dem Gas bleiben, aber das machst du nur einmal in deinem Leben.» Kurze Zeit später unterbot er als erster Fahrer mit seinem Ferrari die Sieben-Minuten-Schallgrenze.

Was fällt dir zum Stichwort Kyalami 1977 ein?
Damals gab es in Südafrika Testfahrten. Da es neblig war, hatte der Helikopter keine Starterlaubnis, trotzdem stieg Niki ins Auto. Als ich ihm erklärte, das sei doch viel zu gefährlich, sagte er nur: «Heute brennen wir nicht.» Auch das war ein Satz, den er sich hätte sparen können.

Einen anderen legendären Satz hat er dir gegenüber 1979 in Montreal geäussert.
Damals fuhr er für Brabham. Kurz vor dem Training standen wir an einem Drahtzaun und plauderten. Ich erklärte ihm dann, dass ich wegen der Zeitverschiebung möglichst schnell eine Geschichte für den Blick bräuchte. Da sagte er mir: «Heute trete ich zurück.» Ich habe ihn daraufhin beschimpft und ihm gesagt, er solle keinen Schmarrn erzählen. Da meinte er nur: «Der Niki Lauda hat heute keine bessere Geschichte.» Dann trottete er davon.

Wie ging die Geschichte weiter?
Nach dem Training kamen nacheinander erst zwei österreichische Journalisten und dann auch noch sein Teamchef Bernie Ecclestone zu mir und wollten wissen, ob ich den Niki gesehen hätte. Da dämmerte mir langsam, dass er vielleicht doch die Wahrheit gesagt hat. Deshalb sagte ich dem Journalisten Heinz Prüller irgendwann, dass der Niki auf dem Weg zum Flughafen sei, da er zurückgetreten sei. Deshalb fuhr Prüller dorthin und traf ihn dann tatsächlich beim Einchecken. Tags darauf erschien in der «Krone»: «Exklusiv – Lauda tritt zurück.» Im TV erklärte Lauda dann aber, dass dies nicht exklusiv gewesen sei, ein Schweizer Journalist hätte das schon vorher gewusst.

Du hast mal über Lauda geschrieben: «Mit ihm über Themen wie Tod, Sex oder Selbstmord zu diskutieren, war wegweisend.» Habt ihr auch über deinen Selbstmordversuch in Kanada gesprochen?
Ja, klar. Als er davon erfuhr, sagte er nur: «Roger, du bist der grösste Idiot, den ich kenne. Du kannst doch nicht einfach abtreten. Das wievielte Rennen begleitest du hier?» Es war das 461. Später sagte er mir deshalb oft: «Wie stehts mit der Zahl 461?»

Hatte er recht mit der Aussage, dass du ein Idiot bist?
Ich habe ihm zumindest nicht widersprochen. Rückblickend betrachtet ist das auch eine schöne Aussage, weil sie zeigt, dass ich ihm nicht egal war und ihm an unserer Freundschaft auch etwas lag.

Dass ihr ein inniges Verhältnis hattet, zeigte auch eine Anekdote aus Singapur 2017.
Ich kam rein ins Mercedes-Motorhome. Er sagte nur: «Heute haben meine Zwillingskinder Geburtstag. Kannst du ein Video von mir machen?» Also sang er «Happy Birthday» und winkte dabei in die Kamera. So hatte man zuvor Lauda in der Öffentlichkeit noch nie gesehen.

Zwei Monate später verriet er dir mal wieder exklusiv einen Rücktritt, und wieder hast du es nicht geglaubt.
Er war damals bei RTL Star-Kommentator. In Abu Dhabi kam er zu mir und meinte nur: «Montreal ist wieder da.» Ich glaubte ihm wieder nicht, doch am nächsten Tag erklärte er dann offiziell seinen Rücktritt bei RTL.

2019 ist Lauda im Universitätsspital Zürich verstorben, wohl an den Folgen seines schweren Unfalls von 1976. Wann hattest du das letzte Mal Kontakt mit ihm?
Das war zwei, drei Monate vor seinem Tod. Ich schrieb damals unter dem Titel «Lauda nervt die Ärzte» einen Artikel. Er hat wohl gemerkt, dass seine Reise langsam zu Ende geht.

Obwohl du Beerdigungen normalerweise fernbleibst, hast du bei ihm eine Ausnahme gemacht.
Das war ich ihm schuldig. Die Trauerfeier fand in Wien im Stephansdom statt. Bei der anschliessenden Trauerfeier sprach ich dann übrigens das erste Mal in meinem Leben lange mit Nigel Mansell.

Du bist 40 Tage vor Lauda zur Welt gekommen. Wie möchtest du eigentlich mal beerdigt werden?
Eine seltsame Frage, darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Eigentlich habe ich geplant, mit Bernie Ecclestone noch ein paarmal Backgammon zu spielen, und er ist fast 20 Jahre älter als ich …

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