Ist die Bilanz von Nati-Trainer Patrick Fischer (47) ungenügend? Seit der Zuger «das scheinheilige Ziel Viertelfinal» im November 2021 auf den Index setzte, war für die Schweizer Nationalmannschaft stets genau im Viertelfinal Feierabend. Kritiker werfen Fischer deshalb vor, seinen eigenen Ansprüchen nicht gerecht zu werden. Rein rechnerisch gesehen, ist das korrekt, weil internationale Turniere immer mindestens ein wahres Ergebnis liefern: das Resultatbulletin.
Fischers Zielkorrektur nach oben war damals weder dem Übermut noch der Selbstüberschätzung geschuldet, vielmehr schwang im Subtext die Enttäuschung über den im Frühling zuvor verlorenen Viertelfinal gegen Deutschland mit. Nicht die Niederlage an sich, sondern vielmehr die Art und Weise: Die Schweiz hatte in einer Art Flashback plötzlich zynisches, defensives Angsthasen-Hockey gespielt und nach einer Führung im Penaltyschiessen verloren.
Verjüngungskur – oder doch eher Frischzellenkur?
Der 47-jährige Fischer will aber kein Underdog-Hockey verantworten müssen. Damit liess sich in früheren Zeiten anekdotisch ein Grosser auf dem falschen Fuss erwischen, wenn die Sterne günstig standen. Fischer will eine auf Krawall gebürstete Nati. Seine Grundidee von Enthusiasmus, Mut und Kreativität wurde in jenem Viertelfinal im Frühling 2021 aber plötzlich zu einer Ironie am Rande. Monate später korrigierte er die Zielsetzung nach oben und begann einen Prozess, der im Hinblick auf Olympia 2026 gemäss offizieller Erklärung eine «Verjüngungskur» einleitete. Diesem Schritt fielen Spieler zum Opfer, die zum Kreis der Leader gezählt hatten, als die Schweiz im Frühling 2021 gegen Deutschland verloren hatte.
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Vielleicht hätte der Begriff «Frischzellenkur» Fischers Ansinnen besser umschrieben, weil danach auch noch Spieler einberufen wurden, die für Olympia 2026 aufgrund ihres Alters kaum noch infrage kommen dürften. Die korrigierte Zielsetzung und der Prozess der Erneuerung – die Frischzellenkur – stecken ziemlich sicher unter einer Decke. Fischer hat mit seinem Staff wohl mit dem Mikroskop nach Auslösern der Panik-Attacke in diesem Viertelfinal von 2021 gesucht und das Verhalten der Spieler dann mit chirurgischer Präzision analysiert.
NHL-Stars haben keine Lust auf Underdog-Hockey
Hätte er eine andere Wahl gehabt? Die NHL-Verstärkungen äussern sich jeweils entschieden, wenn sie bezüglich Zielsetzung befragt werden. «Weltmeister» oder mindestens «wir wollen eine Medaille» bekommt man dann zu hören. Was man von ihnen nicht zu hören bekommt, ist: Viertelfinal. Die NHL-Spieler sind Vorbilder, kultiviert in einem angriffslustigen Umfeld mit höchsten Ansprüchen an Kreativität, Technik, Mobilität und Widerstandskraft. Wären sie etwa scharf auf WM-Teilnahmen mit einer Nati, die den Totalverzicht auf das Konzept der Spielfreude übt?
Wer den Halbfinal will, muss zuerst in den Viertelfinal
Defensives Angsthasen-Hockey und die Rolle des Aussenseiters, der nichts zu verlieren hat, sind nicht mehr Teil der DNA dieser Nati. Das bedeutet nicht, dass keine Spiele mehr verloren werden. Vor Jahresfrist gewann die Nati in Finnland sämtliche Partien – bis auf den Viertelfinal gegen die USA. Die Mannschaft spielte da unter ihrem Wert, machte zu viele Fehler – aber sie spielte zu keiner Zeit Angsthasen-Hockey. Fischer zieht den gepflegten Untergang mit fliegenden Fahnen einer zögerlichen, elenden Niederlage unter dem Motto «bloss keine Fehler machen» vor.
Aus diesem Grund kann man Fischers Kritikern widersprechen, selbst wenn sie rein mathematisch natürlich recht behalten: Fischer hat der Nati endgültig die Biederkeit ausgetrieben, unabhängig von Schlusstabellen und Weltranglisten (die Schweiz steht aktuell auf Rang sieben). Im Zweifel spricht nur schon für ihn, dass er bei der Manöverkritik keine Floskeln und Ausreden sucht. Mut und Enthusiasmus verlangt er nicht nur von seinen Spielern auf dem Eis.
Die Weltmeisterschaft 2023 ist Fischers neuntes Turnier. Seine Bilanz lautet: Einmal Vizeweltmeister, sieben Viertelfinals, zwei Viertelfinals verpasst. Zuletzt stand die Mannschaft fünfmal in Folge in der Runde der besten Acht. Immer wieder dieser Viertelfinal. Ganz wegzudenken ist er im Kontext der Schweizer Nati dennoch nicht, selbst wenn Fischer in diesem Zusammenhang nicht von Zielsetzung sprechen will. Wer den Viertelfinal gewinnen will, muss ihn zuerst einmal erreichen. Verpasst Fischer dieses Ziel, das gar keines sein soll, ist seine Bilanz ungenügend. Mindestens in der Momentaufnahme.