Beim SC Bern ist Sven Bärtschi heute ein Leader. Seine Aufgabe ist es, den Liga-Krösus wieder richtig auf die Erfolgsspur zu bringen.
Es gab allerdings eine Zeit, da musste sich 30-jährige Stürmer ganz anderen Herausforderungen stellen: Bärtschi erlitt immer wieder Panikattacken. Im Einkaufszentrum. Im Restaurant. «Ich zitterte, bekam kaum mehr Luft», sagt der Berner zu Blick.
Der Ursprung der Leidenszeit liegt in Nordamerika. In einem NHL-Match mit den Vancouver Canucks gegen Las Vegas zieht sich Bärtschi im Oktober 2018 nach einem Check eine Hirnerschütterung zu. Der 30-Jährige erinnert sich noch genau: «Unmittelbar nach dem Check gingen mir so viele negativen Gedanken durch den Kopf. Ich spürte sofort, dass es mir nicht guttut.» Darüber zu sprechen fällt dem Profisportler anschliessend aber schwer. Erst nach sechs Wochen vertraut er sich endlich seiner Frau Laura an.
Ein paar Pillen reichen nicht
Das war vor vier Jahren. Heute kann Bärtschi offen über seine Leidenszeit reden. Der Vater eines dreijährigen Sohnes weiss, dass sich bei einer Erschütterung die Botenstoffe im Gehirn verändern. Doch damals war der Eishockeyspieler noch ahnungslos, was auf ihn zukommt. «Ich war erschrocken, wieso ich plötzlich alles hinterfragte.» In Vancouver bekam er Pillen, die seine Laune aufhellen sollten. Doch sie stumpften ihn ab.
Als ihm die Ärzte Wochen später versicherten, dass seine Hirnerschütterung ausgeheilt sei, war der Langenthaler ratlos. «Ich fragte mich, was falsch läuft mit mir.» Denn gewisse Symptome waren geblieben. Dazu entwickelte Bärtschi eine Angststörung. «Ich zweifelte plötzlich an mir und hatte Angst, dass mir im Spiel etwas passieren könnte. Ich fiel in ein Loch. Und fand nicht raus.»
Auch der Druck im Klubumfeld stieg. «Wenn man wöchentlich im Stadion die Frage hört, wann man endlich zurückkehrt, hilft das nicht.» Man sagte ihm, er solle die Hirnerschütterung vergessen. Zweifelhaft: In der NHL werden Events unter dem Thema «Mentale Gesundheit» veranstaltet, andererseits werden die Probleme heruntergespielt.
Der 10. Oktober als Tag der psychischen Gesundheit wurde 1992 vom Weltverband für psychische Gesundheit (WFMH) gemeinsam mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ins Leben gerufen. Im Vergleich zu 2017 hat sich 2020/2021 der Anteil der 18- bis 29-Jährigen mit erhöhter psychischer Belastung in der Schweiz mehr als verdoppelt. Die Unterversorgung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, welche bereits vor der Pandemie festgestellt wurde, hat sich in der Krise noch verschärft. Der Welttag der psychischen Gesundheit soll die Solidarität mit psychisch Kranken und ihren Angehörigen ausdrücken.
Der 10. Oktober als Tag der psychischen Gesundheit wurde 1992 vom Weltverband für psychische Gesundheit (WFMH) gemeinsam mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ins Leben gerufen. Im Vergleich zu 2017 hat sich 2020/2021 der Anteil der 18- bis 29-Jährigen mit erhöhter psychischer Belastung in der Schweiz mehr als verdoppelt. Die Unterversorgung in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, welche bereits vor der Pandemie festgestellt wurde, hat sich in der Krise noch verschärft. Der Welttag der psychischen Gesundheit soll die Solidarität mit psychisch Kranken und ihren Angehörigen ausdrücken.
Bärtschis Ängste wurden schlimmer. In ihm reifte die Erkenntnis, dass er Hilfe braucht. Er fand sie bei einem Psychologen. Während zwei Monaten besuchte er ihn jeden zweiten Tag. Er merkte, wie ihm Meditation hilft und wieder Ruhe gibt. Heute meditiert er täglich, auch vor den Spielen. «Ich spürte meinen Körper wieder positiv. Ich realisierte, dass ich mir die Zeit nehmen muss, um zu heilen.» Das tut er. Trotz der bitteren Erkenntnis, «dass mich das einige Jahre in der NHL gekostet hat. Doch die Gesundheit ging vor».
«Man sieht einem Menschen diese Probleme nicht an»
Bärtschi ist dankbar dafür, was ihn seine Leidenszeit über Körper und Kopf gelehrt hat. Seine Verfassung sei nicht immer perfekt. «Aber ich habe gelernt, mit den negativen Gedanken umzugehen, sobald sie sich einnisten. Ich kann ihnen Adieu sagen, das hat mich wieder gestärkt.»
Seine Erfahrungen haben ihn auch achtsamer werden lassen – sich selbst sowie seinen Mitmenschen und Teamkollegen gegenüber. Mit seiner Offenheit möchte er auch andere Betroffene ermuntern. «Es war damals schwierig, mich zu offenbaren», betont Bärtschi, «denn man sieht einem Menschen diese Probleme nicht an. Aber darüber zu reden hilft.»